netzwerkB 04.04.2012
Gastbeitrag zum Artikel „Jeder Achte ist betroffen“, Augsburger Allgemeine 04.04.2012
Professor Jörg Fegert klärt bei seinem Vortrag über die Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs in der Kindheit auf
von Doro
Jörg Fegert als Gründer und Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm scheint einfach andere Stärken zu haben als die der Sprache. Oder ist (soll) es wieder der Redakteur (sein), der Fegert falsch wiedergibt?
Zunächst mal stößt auf, dass „Jeder Achte“ betroffen sein soll. Richtiger ist wohl, dass es JEDE ACHTE (weiblich) ist! Es ist mittlerweile Standardwissen, dass der Großteil der Opfer von sexualisierter Kindesmisshandlung weiblich ist (wie übrigens der Großteil der Täter männlich ist), auch wenn ich die männlichen Opfer (und weiblichen Täterinnen) nicht wegdiskutieren will. Aber die Aussage „Jeder Achte“ konstruiert einfach etwas, das so nicht der Realität entspricht.
Ich weiß: Es ist üblich, beide Geschlechter in der männlichen Sprachform zu subsummieren. Aber gerade wenn das tatsächliche Verhältnis bzgl. der Geschlechterverteilung so auffallend einseitig ist, ist es einfach absurd, von „Jedem Achten“ zu sprechen. So wie sich im allgemeinen Sprachgebrauch Frauen, Mädchen, weibliche Opfer von Gewalt selbstverständlich mit der männlichen Ausdrucksweise „mitgemeint“ fühlen sollen, würde die im Falle der sexualisierten Kindesmisshandlung der Realität entsprechende Verwendung von „JEDE Achte“ selbstverständlich auch die männlichen Opfer meinen. Durch die Verwendung der subsummierenden männlichen Ausdrucksweise wird dagegen ein falsches Bild konstruiert und der Großteil der Opfer wieder in die Unsichtbarkeit verdrängt.
Aber wie gesagt, das kann ja auch der übliche Sprachgebrauch des Redakteurs sein. Erschreckend genug, dass seine Entscheidung für „Jeder Achte“ tatsächlich mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann als wenn die Headline „nur“ von „jeder Achten“ sprechen würde. Mädchen/Frauen als Opfer von sexualisierter Gewalt interessieren einfach niemanden.
Das wird u.a. durch weitere Zitate (von Fegert oder dem Redakteur, wie er Fegert verstanden hat) untermauert:
„2010, so der Referent, sei die Problematik in den Medien besonders ins Blickfeld gerückt, denn die Opfer des sexuellen Missbrauchs, die sich damals an die Presse wandten, seien alle gut situierte Männer gewesen.“
Sollte der FACHBERATER der Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten, der sich eigenen Aussagen zufolge schon viele Jahre mit der Thematik sexualisierter Kindesmisshandlung befasst, sich tatsächlich so geäußert haben, dann lässt dies – meiner Meinung nach – auf eine sehr „spezielle“ Sichtweise schließen.
Demnach ist die Problematik der sexualisierten Kindesmisshandlung 2010 deshalb in das Blickfeld der Medien gerückt, weil es sich bei den Opfern um „gut situierte Männer“ handelte. Heißt das, dass die Medien bis 2010 die Opfer – wie gesagt überwiegend weiblich – nur deshalb nicht zur Kenntnis nehmen wollten, weil sie nicht männlich waren und nicht gut situiert? Und wenn das daraus zu lesen ist: Welche Verantwortung tragen diese Medien und auch die Gesellschaft diesen vielen Opfern der Jahrzehnte davor gegenüber?
„Die Politik habe sich gezwungen gefühlt, zu handeln“, wird Fegert weiter zitiert oder interpretiert. Ein Satz, der in den Augen und Ohren von Nichtbetroffenen vielleicht harmlos erscheinen mag. Tatsächlich aber sagt er doch aus, dass die Politik gezwungen werden musste zu handeln. Also dass es ihr zuvor nicht als selbstverständlich erschienen war, etwas gegen diese Pandemie („jede Achte“ immerhin!) zu unternehmen und Kinder (weibliche und männliche) endlich vor ihren Verwandten, Lehrern, Priestern oder sonstigen Machtpersonen zu schützen.
Hier erinnere ich an das Grundgesetz, das ja offensichtlich auch für Kinder in diesem Land gilt:
Grundgesetz Artikel 1, Abs. 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Grundgesetz Artikel 2, Abs. 2: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“
Grundgesetz Artikel 6, Abs. 2: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ (!)
Grundgesetz Artikel 7, Abs. 1: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“
Grundgesetz Artikel 34: „Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.“
Grundgesetz Artikel 37, Absatz 1: „Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetze oder einem anderen Bundesgesetze obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten.“
Grundgesetz Artikel 37, Absatz 2: „Zur Durchführung des Bundeszwanges hat die Bundesregierung oder ihr Beauftragter das Weisungsrecht gegenüber allen Ländern und ihren Behörden.“
Meiner Ansicht nach hätte die Politik (und der Rechtsstaat) schon lange vor 2010 und den „gut situierten männlichen Opfern“ Grund genug gehabt, sich zum Handeln gezwungen zu fühlen! Sexualisierte Gewalt verletzt die grundgesetzlich gesicherten Rechte der Kinder und der Staat ist allein schon deshalb VERPFLICHTET, diese zu sichern, bzw. Verstöße dagegen zu ahnden. Und zwar nicht erst, wenn ihm keine andere Wahl bleibt, weil er aufgrund der Öffentlichkeit nicht mehr wegsehen kann, sondern weil es GRUNDGESETZE sind. KINDER SIND TRÄGER/INNEN VON GRUNDRECHTEN, und wenn Erwachsene diese nicht respektieren können, dann ist es Aufgabe des Staates, für die Einhaltung der Grundgesetze zu sorgen. Punkt.
(Im Übrigen begründet sich meiner Ansicht nach auch genau aus diesen Grundgesetzverletzungen der berechtigte Anspruch der Opfer – kindlicher oder heute erwachsener – gegen den Staat (bsplw. im Sinne von Entschädigung und Ausgleich der schweren Nachteile durch die erfahrene Gewalt während der Kindheit). Der Staat hat seine Schutzpflichten gegenüber den Kindern und seine Aufsichtspflicht gegenüber dem Handeln der Eltern bzw. anderer Personen, denen das Kind als GRUNDRECHTRSTRÄGER anvertraut war, massiv verletzt, bzw. verletzt diese noch immer. Dafür muss er haften.)
Die Aussage „2010 sei die Problematik in den Medien besonders ins Blickfeld gerückt, denn die Opfer des sexuellen Missbrauchs, die sich damals an die Presse wandten, seien alle gut situierte Männer gewesen“ (die Fegert zugeschrieben wird: Zitat „so der Referent“) ist ein Offenbarungseid von Politik, Staat und Fachlichkeit. Denn es kann nicht sein, dass den vielen „Experten“ das Ausmaß und die schweren Folgen dieser Gewalt gegen Kinder so lange verborgen geblieben ist:
Schon viele, viele Jahre lang machen Opfer (überwiegend weiblich, weil die meisten Opfer nun einmal weiblich sind) – insbesondere im Zuge der Frauenbewegung – auf diese üble (überwiegend) männliche Gewalt aufmerksam. Das ist anhand der vielfach vorhandenen Literatur nachweisbar (Kavemann/Lohstöter, Trube-Becker, Rijnaarts, Herman, Wirtz, Bange, Gahleitner, Schalleck, Heiliger/Engelfried, etc).
Auch „dem Staat“ und „der Politik“ sind die (hauptsächlich männliche) Gewalt gegen (hauptsächlich) Frauen und Kinder und ihre dramatischen gesundheitlichen, aber auch volkswirtschaftlichen Folgen vor 2010 nicht verborgen geblieben. Nachzulesen u.a. in Heft 42 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (herausgegeben vom Statistischen Bundesamt in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut) von 2008 (!) zum Thema „Gesundheitliche Folgen von Gewalt unter besonderer Berücksichtigung von häuslicher Gewalt gegen Frauen“ (http://edoc.rki.de/documents/rki_fv/ren4T3cctjHcA/PDF/26Herxag1MT4M_27.pdf). Schon darin wird darauf hingewiesen, dass sexualisierte und speziell häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder erstmals bereits in den der 1970er-Jahren durch die Frauenbewegung thematisiert worden ist, dass es dann aber nahezu weitere 20 Jahre bis in den 1990er-Jahren dauerte, bis diese Gewalt auf nationaler und internationaler Ebene als gesellschaftliches Problem wahrgenommen wurde. Die Frage des Ausmaßes häuslicher Gewalt wurde seither auch auf europäischer Ebene durch zahlreiche Gewaltprävalenzstudien untersucht, u.a. auch in Deutschland (!).
Wenn sich „die Politik“ erst 2010 gezwungen gefühlt [hat], zu handeln, dann muss gefragt werden, wozu eigentlich vorher das viele Geld für Gewaltprävalenzstudien und Gesundheitsberichterstattung usw. ausgegeben wurde?? Und es darf gefragt werden, was wohl aus den vielen nach 2010 angestoßenen Forschungen werden kann, wenn die Ergebnisse dann doch letztlich niemanden zu interessieren scheinen und nicht in den Schutz und eine fachlich fundierte Unterstützung für die Betroffenen münden.
Klaren Widerspruch erfordert folgende Aussage:
„Ein weiteres großes Problem sei die Tatsache, dass Kinder „sexuellen Missbrauch zum Zeitpunkt der Tat als normal empfinden.“ Erst in der Pubertät würden die Opfer realisieren, was ihnen angetan worden ist.“
Frage: Wie kann ein Außenstehender – was Fegert ist, auch wenn er sich eigenen Angaben zufolge schon lange mit der Thematik beschäftigt – wissen, was Betroffene (Kinder) zum „Zeitpunkt der Tat“ empfinden? Welche Anmaßung steckt hinter solch einer Aussage (oder redaktionellen Interpretation)?? „Experten“, die definieren, was Betroffene empfinden oder nicht, missbrauchen ihre Definitionsmacht und stehen damit in der Tätertradition, nicht im Opferempfinden.
Ich kann aus eigener Erfahrung und von der Erfahrung zahlreicher anderer Gewaltopfer berichten, dass wir VOM ERSTEN AUGENBLICK AN dieses sexualisierte und gewalttätige (und im Übrigen STRAFBARE) Handeln der Täter ÜBERHAUPT NICHT NORMAL EMPFINDEN! Und wer – wie Fegert von sich behauptet – schon viele Jahre mit der Situation der Opfer beschäftigt ist, weiß das auch.
Egal, wie alt das Kind ist: es spürt sofort die Demütigung, den Verrat, die Ohnmacht, den Ekel, die Manipulation usw., die mit diesen Übergriffen einhergehen. Natürlich hat es aufgrund seines Alters und seiner Abhängigkeit von Erwachsenen überhaupt keine Möglichkeit, die „Unnormalität“ oder „Normalität“ dieser Handlungen einordnen zu können. Aber das darf doch nicht dem Kind angelastet werden, indem man – noch dazu als „Experte“ und Fachberater der Bundesregierung! – unterstellt, Kinder würden „sexuellen Missbrauch zum Zeitpunkt der Tat als normal empfinden“!!! Höchstenfalls (!!!!!) MÜSSEN Kinder „sexuellen Missbrauch zum Zeitpunkt der Tat als normal empfinden“, um in der gestörten Umgebung, der sie ausgeliefert sind, überhaupt überleben zu können. Welches (abhängige) Kind kann sich schon ernsthaft gegen sein gesamtes nahes Umfeld positionieren?? Das sind doch einfach potemkinsche Dörfer, die hier (von einem „Experten“) inszeniert werden! Sie entsprechen nicht der Realität!
Im Übrigen ist die Argumentation, Kinder würden sexualisierte Gewalt an sich nicht als problematisch empfinden, sondern erst der Kontakt mit den gesellschaftlich vermittelten Normen und Werten (die in der Pubertät bewusst würden) wäre dann traumatisierend, eine veraltete, gleichwohl von so genannten „Pädophilen“ und anderen am Täterschutz orientierten Menschen gerne verwendete Täterentlastungskonstruktion.
So konnte Dr. Herbert Maisch in seinem 1968 (!) in der Reihe „rororo sexologie“ erschienenen Buch „Inzest“ tatsächlich behaupten, dass „Die psychische Belastung weniger durch die Schwangerschaft [als FOLGE VON SEXUELLEM Missbrauch durch den Vater!!!] an sich [entstand], als durch die meist negativen Reaktionen der engeren oder weiteren Umwelt.“ Die schwerwiegende Folge „Schwangerschaft“ soll also für das Mädchen nicht weiter belastend sein (HALLOOO???), während die – meiner Meinung nach durchaus nachvollziehbare – Empörung über solch ein Geschehen im Umfeld das eigentlich Verwerfliche sein soll?? Gut: Die Empörung hat leider nie die Richtigen – nämlich die Täter – getroffen, sondern wurde und wird nach wie vor auf die Opfer projiziert. Dass sich aber auch die „Experten“ schon damals an der Schuldverschiebung beteiligt haben und dies – siehe Fegert (oder Fegertinterpretation) – bis heute offenbar tun, entsetzt. GERADE nach 2010!
Nochmals zum Mitschreiben: Kinder wissen und spüren sehr genau und sehr direkt, dass das, was gewalttätige Erwachsene mit ihnen tun, nicht in Ordnung ist, dass es sie ängstigt, ekelt, überfordert und zu psychischen Notreaktionen zwingt. Sie können aber aufgrund ihres Alters nicht wissen, dass ihre „Normalität“ (die ja eigentlich eine „Gestörtheit“ ist) nicht die „Normalität“ aller Kinder ist (wenn auch – wie wir heute wissen – vieler).
Dass sie sich an die ihnen vermittelte (gestörte) „Normalität“ anpassen, dient ihrem Schutz und ist eine Überlebens- bzw. Traumareaktion (Tipp: Fachliteratur lesen!). Es ist eigentlich eine Höchstleistung der kindlichen Psyche und müsste insofern von einem „Experten“ (Fegert) völlig anders konnotiert werden. Seine (?) Darstellung des Zusammenhangs konstruiert ein Fehlverhalten und/oder sogar eine Art von frühem „Einverständnis“ der Opfer mit der Missbrauchssituation. Das ist das seit Jahrzenten übliche „Blaming the victim“. Schlimm, dass das vom Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm und Fachlichen Berater der Bundesregierung beim Thema sexualisierte Kindesmisshandlung kommt.
Wie gesagt: Es ist nicht klar – da wir nicht dabei waren – welche Aussagen der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm tatsächlich gemacht hat und was die Schlüsse und Interpretationen des Redakteurs aus dem Referat von Fegert sind. So oder so aber machen diese Einlassungen deutlich, wie weit wir noch von der tatsächlichen Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt vorwiegend an Mädchen, vorwiegend von Männern und vorwiegend in der Familie und den komplexen Zusammenhängen und Folgen dieser massiven Grundgesetz- und Körperverletzungen entfernt sind.
Zwei Jahre nachdem sich „gut situierte Männer“ als Opfer von sexualisierter Kindesmisshandlung in so genannten „Kaderschmieden“ geoutet haben, ist das „Wissen“ über sexualisierte Gewalt an Kindern und deren lebenslänglichen Folgen und volkswirtschaftlichen Schäden sowohl bei den so genannten „Expert/innen“, wie leider auch in den Medien (und ihrem ungeheuerlichen gesellschaftlichen Einfluss) erschreckend von veralteten, klischeehaften, populistischen und klar täterperspektivischen Vorstellungen geprägt.
Es ist noch ein so weiter Weg.
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Die Aussage, dass Kinder bis in die Pupertät sex. Misshandlungen als Normalität empfinden würden, empört mich ebenso zutiefst.
Wenn dem so wäre, gäbe es keine traumatisierten Kinder. Denn Normalität traumatisiert nicht!!!
Das wäre dasselbe, als würde man traumatisierten Unfallopfern unterstellen, sie würden ihr körperliches Trauma als Normalität empfinden, weil eben während des Traumaschocks keinerlei Empfindungen wie Schmerz zu spüren sind.
Nur übernimmt in psychischen schweren Traumatas bei permanenter Wiederholungen dieser traumatischen Erlebnisse die Seele den Part, irgendwann den Schmerz „abzuspalten“, auszusteigen. Vergleichbar mit einem schwer traumatisierten körperlichen Trauma, wo der Patient im Schockstadium keinerlei Schmerz empfindet – sogar in der Lage ist, sich mit dem abgetrennten Gliedmaß bis zu einer Klinik zu schleppen. Festzustellen ist, dass dieses Schockstadium so lange anhält, bis sich der Patient in Sicherheit fühlt, wo ihm geholfen wird. Meist bricht dann das Hilfesystem – Schock zusammen.
Dieses Hilfesystem aber scheitert bei sex. misshandelten Kindern. Sie werden ihrem Schicksal überlassen. Die Bringschuld – von der in dem Artikel zu lesen ist – lässt nach wie vor zu wünschen übrig.
Weder das soz. Umfeld, noch der Staat fühlt sich hier verpflichtet, der „Pandemie“ beizukommen und endlich gesetzlich effektive, klare, unwiderrufliche Konsequenzen zu verabschieden.
Und hier wird wieder deutlich, was Kinder in unserem Staat wert sind. Nichts und wieder nichts. Würde in irgendeiner anderen Form jeder 7. männliche Bürger und jede 5. Bürgerin von etwas Schrecklichem betroffen sein, würde der Staat dies als oberste Priorität ansehen, dieser Pandemie Herr zu werden. Krisengipfel würden einberaumt werden usw.
Aber Kinder, die unter Dauerschock stehen – klagen nicht, Betroffene, die seit Jahren gegen Wände reden, zählen nicht.
Es zählt nur das Leid, das gutsituierte Männer ereilt hat. Das macht betroffen! Erst da wird man hellhörig??? Wie schäbig!!! Und das aus dem Munde von einem angeblichen „Fachmann“, der erneut im Fachbeirat des Missbrauchsbeauftragten Hr. Rörigs sitzt.
empörte Grüße von Sarah Mohn
@Doro
vielen Dank für den wertvollen Beitrag!
Sehr guter Beitrag!
Er spricht mir aus der Seele!
Der Gedanke, daß der Staat seine Aufsichtspflicht verletzt hat ist für mich als Betroffene erstmal wohltuend. Zu schön wäre es, wenn der Staat das auch einsehen würde. Doch wenn ich mir ansehe, wer den Staat verwaltet (PolitikerInnen, Verwaltungsapparat, Polizei etc.), dann weiß ich, daß es noch ein langer Weg ist.
Nichtsdestotrotz ist dieser Ansatz ein guter und es lohnt sich für die Kinder zu kämpfen.
Von Fegert erwarte ich übrigens schon länger nichts Gutes mehr.
Meine große Hoffnung ist, daß sich ein/e Wissenschaftler/in den wirklichen Belangen der Betroffenen annimmt und mutig gegen den Tätersumpf in der Wissenschaft (Beier & Co) kämpft. Er/sie braucht auf jeden Fall einen langen Atem.
Daß es solche „Gallionsfiguren“ braucht, wird mir immer klarer. In Österreich ist es z.B. einem einzigen Kinderarzt zu verdanken, daß dort bereits 1989 Gewalt in der Erziehung verboten wurde.
Und Schweden hat seine Vorreiterrolle ganz sicherlich der mutigen Astrid Lindgren zu verdanken.
Insofern muß es vielleicht nicht unbedingt ein/e Wissenschaftler/in sein. Dennoch eine populäre Figur. Die Supernanny ist da sicherlich nicht geeignet.
@ Doro
Danke, das hast du sehr gut gemacht! In mir brodelte es noch zu stark nach der „speziellen“ Sprache des Berichtes in der Augsburger Allgemeine, so dass ich ‚meine Sprache‘ noch nicht wiedergefunden hatte …
Deine Empörung ist mehr als berechtigt. Denn nachdem seit ’93 mit der damaligen BMF namens Merkel sämtliche zuständige Ministerinnen immer wieder mit der Problematik konfrontiert worden sind und viel parliert wurde, aber quasi nichts in Sachen KINDERSCHUTZPFLICHT durch den Staat geschah, darf sich wahrhaftig niemand mehr wundern über den jüngsten Mordfall in Emden …
Psychiater, Psychologinnen, Sozialarbeiter, Polizeien und Pädagoginnen können in den „verseuchten Ställen“ von Kirche und Staat so viel MIST gar nicht schaufeln – geschweige denn kompostieren – wie allein in den Jahrzehnten unserer Lebenszeit angefallen ist – und jetzt ist buchstäblich „die Kacke am dampfen“ in Rom, in Trier, in Berlin …
„Wir haben eine Bringschuld, was die Aufklärung der Kinder zum Thema sexueller Missbrauch angeht.“ (Zit. Fegert) – wie bitte??? – soll das Kind am Ende selber Schuld tragen? – sich nicht klar genug gewehrt haben? – seine Umgebung nicht überzeugend genug informiert haben … ???
Alle Wissenschaft wird nichts nützen, wenn weiterhin Überlebenden suggeriert wird, sie hätten als Kind versagt – was anderes heißt das Zitat des Professors?! – Die Last der Schutzpflicht wird er dem Staat doch wohl damit nicht abnehmen wollen???
„Aufzuklären“ wären Bürgerinnen und Bürger, die – wie die Verantwortlichen – sich bis heute überhaupt noch nicht für die fürchterlichen Folgen dieses Machtmissbrauchs interessiert haben.
Achten wir auf den täterorientierten Sprachgebrauch in den Dunstkreisen der Mächtigen!!!
Dank virtueller Vernetzung können wir unsere Gedanken hier austauschen.
Das ist sehr gut so.
Das fühlt sich tatsächlich an wie „geistige Verwandte finden“ …
VORSICHT VORSICHT BEI ANSCHULDIGUNGEN!
Ohne den Artikel in der Augsburger Allgemeinen gelesen zu haben und zum Ende des Beitrags von Doro habe ich hier folgendes geschrieben:
**Ich könnte vor Wut echt losbrüllen. Da sprechen doch mittels Fegert und Augsburger Allgemeinen (Augsburg ist übrigens eine Hochburg des Katholizismus), da sprechen doch die Täter über Mittelmänner mit den Betroffenen. Zumindest empfinde ich das beim Lesen der Argumente und Sachverhalte, die da vom Gründer und Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm vorgetragen werden.
Da gefriert mir ja das Blut in den Adern.
Das gehört doch in die Medien zur offenen Auseinandersetzung!
Das können wir doch nicht still und leise hier in „unserem“ Forum behandeln, damit jeder von uns Emotionsarbeit machen kann und sonst niemand gestört wird.**
Dann bin ich vorsichtig geworden und habe den Artikel in der Augsburger Allgemeinen selbst gelesen.
Die Überschrift „Jeder Achte ist Betroffen“ stammt vom Autor Konrad Dreyer.
Laut Dreyer soll Prof. Fegert gesagt haben: „Anhand der Häuser-Studie stellte der Referent dar, dass sexueller Kindesmissbrauch mehr Menschen betreffe als gemeinhin angenommen. So seien 12,5 Prozent der Bevölkerung von sexuellem Missbrauch betroffen.“
Also hat er von Menschen gesprochen, ohne auf das Geschlecht der Betroffenen explizit abzuheben.
Weiter soll Fegert gesagt haben: dass Kinder „sexuellen Missbrauch zum Zeitpunkt der Tat als normal empfinden.“ Doro widerspricht vehement und sagt, dass Kinder das vom ersten Augenblick an als nicht normal empfinden. Dann aber doch, weil sie das Empfinden von Normalität zum Überleben brauchen.
Ich plädiere auf die Unschuldsvermutung und meine Fegert, der Autor und Doro könnten gleiche Standpunkte bezogen haben. Dadurch dass die Rede von Fegert verkürzt in dem Artikel wiedergegeben werden muß, entsteht der Anschein Fegert, wüßte nicht und gibt vor nicht zu wissen, dass Kinder vom ersten Augenblick an spüren, daß da etwas nicht stimmt, mit dem was mit ihnen gemacht wird.
Um das zu klären, müßte man bei Fegert und dem Autor nachfragen, was sie denn wirklich gemeint haben. Dann kann man ja Stellung dazubeziehen.
Ich habe großes Verständnis und fühle mit Doro mit. Es gibt Punkte wo wir zu Recht mit hoher Empfindlichkeit eingestellt sind. An diesen Stellen tritt dann unsere aufgestaute Wut aus und kann, wenn wir nicht vorsichtig sind, auch Unschuldige treffen.
Das führt dann dazu, dass wir als Betroffene diskreditiert werden. Wir müssen aber leider alle nach Glaubwürdigkeit , nach Kreditierung ringen.
Also mahne ich zur Vorsicht und Besonnenheit, besonders dann wenn wir Anderen Fehlverhalten vorhalten und massive Kritik üben.
Mit dieser Einschränkung danke ich Dir Doro für Deine starke Stimme!
wenn das was wir erlebten als normal empfunden geworden wäre…..dann würde heute nciht jede zelle unseres körpers im gleisch zittern bei dem kleinsten trigger und angst-und panik attacken in gang setzen….dann wären wir früher auch ncith mit schlimmen alpträumen nachts hochgeschreckt und hätten nciht verzweifelt „nein“ bis heute!!!! geschrien und verzweifelte hilfe gesucht die wir nciht fanden!!!
Wenn es normal gewesen wäre, dann hätten wir worte gefunden und uns wären nciht die tränen im halse steckengeblieben weil wir die drohende macht verspürt haben von den erwachsenen.
Der feggert dreht alles so wie eres haben will…..er versucht sich rauszuwinden, aber dazu ist es zu spät…..
Wenn es früher hiess „das kommt hin und wieder vor“….so versucht er es heute mit „das doch normal…hat doch fast jeder erlebt“
Und wenn jugendliche in der lage wären ihre traumata in worte zu packen, dann würden es die „phantasien“ welche im dienste des überlebens stehen (thesen von alice miller) ja garnicht geben.
Ich glaube der mann ist selber als kind vergewaltigt worden und weiss es noch nciht!!!….das wäre noch meine einzige denkbare erklärung für solche aussagen….
Und wenn dies nicht so ist….tja….dann weiss ich nun wirklich wo ich ihn einzuordnen habe!!!!!!
Es ist eine Ungeheuerlichkeit, solche Behauptungen aufzustellen, ein Kind würde den Missbrauch als „normal“ empfinden. Dies ist keinesfalls der Fall. Ich kann da auch aus eigener Erfahrung sprechen. Ein fünfjähriges Kind, das missbraucht wird, merkt, dass es nicht als Person wahrgenommen wird, sondern dass es benutzt wird. Es erlebt eine sehr große Demütigung. Das Dilemma ist, dass ein so kleines Kind noch nicht die sprachlichen Möglichkeiten hat, zu sagen, was in ihm vorgeht. Es befindet sich in einer Art Gefühlssumpf.
Es merkt auch ganz genau, dass irgendetwas falsch ist, weiß aber nicht genau, was es ist und es fühlt sich sehr sehr schlecht. Das Kind wird depressiv.
Auch in der Pubertät kann es meistens noch nicht ausdrücken, was in ihm vorgegangen ist, sondern erst viel viel später. Aus der Tatsache, dass das Kind noch nicht ausdrücken kann, was in ihm vorgegangen ist, ist nicht zu schließen, dass es den Missbrauch als „normal“ ansieht. Das ist falsch.
Die Kinder, die sich auf der Station von Herrn Fegert befinden, sind alle krank. Wie kann er da einen solchen Müll von sich geben?
Ich denke, dieser Herr Fegert unterstützt die Täterlobby. Er hat schon mehrmals täterfreundliche Kommentare geäußert. Der Fegert behauptete auch, Kinder würden bewußt lügen und sich Missbrauchsgeschichten ausdenken.
Seit ich Zeugin geworden bin, kann ich sehr gut nachvollziehen, wie kleine Kinder unter Missbrauch leiden und sich bemerkbar machen und Hilfe suchen.
Die Täter sind oft auch Psychosadisten und quälen noch auf andere Weise.
Was ich dann durch meine Anzeige erlebte hat mich derart mitgenommen, dass es mir oft schwer fällt hier zu schreiben.
Es zeigte sich mir bald, dass Frauenbeauftragte der Polizei, Jugendamt und Staatsanwaltschaft auf der Täterseite stehen………es ist der einfache Weg.
Das einzige was unternommen wurde war, dass der Täter verhört wurde und er hatte 6 Wochen Zeit sich vorher einen Anwalt zu nehmen. Weil er kein Geständnis ablegte ist er unschuldig.
Ich wurde kalt gestellt auch vom Rest der Familie und kann den Kindern nicht mehr helfen und dieses Ohnmachtsgefühl ist kaum auszuhalten.
Solange die Behörden und sonstige Zuständige so arbeiten, wird sich kaum viel ändern.
Eine Psychologin die ich ich aufsuchte, sagte mir ich würde das Leben des Täters durch meine Anzeige zerstören.
Armseeliger gehts nicht mehr und es ist eine Schande.
“ Das Böse braucht das Schweigen der Mehrheit“
Fegert sollte inzwischen wissen, welche Folgen Veröffentlichungen seiner Interviews haben, die er vorm Druck nicht gegenliest. hat er doch schon mehrmals nun derartige Interviews gegeben, die gekürzt veröffentlicht wurden und lt. seiner im Nachhinein abgegeben Entschuldigungsversuche nach zuhauf berechtigter Proteste Betroffener missverstanden wurden.
Einem Prof. könnte man derartige Intelligenz durchaus unterstellen, aus Fehlern irgendwann zu lernen.
Mir scheint, dass er nur allzu leichtfertig mit unqualifizierten, weder fachlich noch wissenschaftlich fundierte Äußérungen um sich wirft – ihm Betroffene mehr oder weniger relativ egal sind, und im Zentrum seines Strebens Publikationen und Profilierung seiner Eigenperson liegt.
@patos
daher teile ich Ihre Meinung nicht! „Um das zu klären, müßte man bei Fegert und dem Autor nachfragen, was sie denn wirklich gemeint haben. Dann kann man ja Stellung dazubeziehen.“
Nein, es ist Fegert´s Job, seine veröffentlichten Interviews gegenzulesen und bei Bedarf die Redaktion zur Richtigstellung zu bewegen, falls etwas aus dem Kontext zitiert wurde und damit die ursprüngliche Aussage verfälscht wird.
Das ganze Dilemma hatten wir schon einmal mit Herrn Fegert. warum lernt dieser Herr nicht aus seinen Fehlern???
Ich für meinen Teil werde Hr. Rörig einen Brief schreiben mit der Bitte, Hr. Fegert aus dem Fachbeirat auszuschließen, der sich als täterfreundlich entpuppt.
Sarah Mohn
@ Panos
Vielen Dank für deine Gedanken. Meine Antwort:
Ich mache keine Anschuldigungen. Ich erwähne mehrfach, dass es entweder die Aussage von Fegert oder die Interpretation bzw. Zusammenfassung des Redakteurs sein kann. Und ich spreche von MEINER MEINUNG zu diesen Aussagen.
Zu deiner Anmerkung: „Dadurch dass die Rede von Fegert verkürzt in dem Artikel wiedergegeben werden muß, entsteht der Anschein Fegert, wüßte nicht und gibt vor nicht zu wissen, dass Kinder vom ersten Augenblick an spüren, daß da etwas nicht stimmt, mit dem was mit ihnen gemacht wird. Um das zu klären, müßte man bei Fegert und dem Autor nachfragen, was sie denn wirklich gemeint haben. Dann kann man ja Stellung dazubeziehen.“
Einem vielfachen Vortragsredner muss erst einmal immer klar sein, dass sein Vortrag in der Presse nicht eins zu eins wiedergegeben werden kann, er also mit Kürzungen und Zusammenfassungen rechnen muss. Dabei können selbstverständlich auch Missverständnisse entstehen. Gerade beim Thema sexualisierte Kindesmisshandlung scheint aufgrund der – von mir erwähnten – verbreiteten Klischees, Vorurteile, Falschmeinungen, Täterperspektiven usw. die Gefahr der „Missverständnisse“ bzw. falschen Wiedergabe besonders hoch. Dies ist ein Problem für sich und insofern ist Fegert sicherlich – hinsichtlich der Medien – Recht zu geben: Sie sind erst auf das Thema aufgesprungen, als es die „gut situierten Männer“ ALS OPFER betraf (als Täter ist ja eine andere Frage).
Daher habe ich ja eben darauf verzichtet, den ersten Teil der Zitate ausschließlich als wörtliche Zitate von Fegert zu verstehen/interpretieren. Es ist mir sehr bewusst, dass dies auch „nur“ die (verleugnende und/oder falschinformierte) Sicht des Autors sein kann. Aber gerade dass die Presse sich so wenig um die TATSÄCHLICHEN Zusammenhänge schert und stattdessen auch nach 2010 immer noch veraltete Täterperspektiven verbreitet, ist ein weiterer Skandal in der ganzen Problematik.
Das Zitat vom „normal empfinden“ muss aber wohl Fegert direkt zugeordnet werden, da es vom Redakteur wörtlich (mit Anführungszeichen) zitiert wird („Ein weiteres großes Problem sei die Tatsache, dass Kinder „sexuellen Missbrauch zum Zeitpunkt der Tat als normal empfinden.“ Erst in der Pubertät würden die Opfer realisieren, was ihnen angetan worden ist.“)
Ich schrieb ja eingangs meiner Ausführungen, dass es vielleicht bei Fegert andere Stärken gibt als die der Sprache, bzw. des Vermittelns von Informationen insbesondere bei einem so heiklen Thema wie sexualisierte Kindesmisshandlung. Denn es ist nicht das erste Mal, dass irritierende Aussagen von ihm in der Presse erscheinen. Es kann also durchaus so sein, wie du schreibst, dass Fegert die Zusammenhänge differenzierter sieht, als sie von dem Redakteur wiedergegeben werden.
Was mir in diesem Zusammenhang aber aufstößt, ist die Tatsache, dass Fegert als Gründer und Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm UND ALS FACHBERATER DER BUNDESREGIERUNG sich der Gefahr des Missverstandenwerdens speziell bei diesem heiklen Thema bewusst sein müsste und sich entsprechend um besondere Sorgfalt und Präzision in seiner Ausdrucksweise bemühen müsste. Er müsste wissen, dass dieses Thema für Betroffene besonders schmerzlich und sie – aufgrund ihrer Gewalterfahrungen – besonders sensibel sind für Worte, Wortverdrehungen, Konnotation usw.. Und er könnte, wenn er feststellt, dass er falsch oder missverständlich wiedergegeben wird, öffentlich für eine Richtigstellung IM SINNE DER OPFER eintreten. Eben weil er weiß (wissen müsste), welche verheerenden Folgen Falschinformationen (oder missverständliche) für die Opfer und die weitere gesellschaftliche Aufarbeitung der Thematik haben.
Diesen Artikel lesen ja nicht nur ein paar Betroffene, die die Aussage, dass Kinder „sexuellen Missbrauch zum Zeitpunkt der Tat als normal empfinden“, – so sie sie emotional bewältigen können – evtl. auf dem Hintergrund IHRES EXPERT/INNENTUMS reflektieren können. Schon gar nicht werden die meisten Leserinnen und Leser beim Autor bzw. Zitierten nachfragen, wie er das denn gemeint haben könnte. Also hinterlässt diese Aussage von den Opfern, die „sexuellen Missbrauch zum Zeitpunkt der Tat als normal empfinden“ – noch dazu vom FACHBERATER der Bundesregierung in Sachen Kindesmissbrauch – den verheerenden Eindruck, den sie eben enthält. Bei den Leserinnen und Lesern setzt sich fest, dass Kinder sexuelle Übergriffe zuerst einmal „normal“ empfinden.
Die Komplexität bzw. Toxizität dieser „Normalität“ begreift der normale Leser in dieser Aussage nicht. Meiner Meinung nach (!) wäre es aber GERADE DIE AUFGABE DES FACHBERATERS der Bundesregierung, wenigstens zu versuchen, hier für mehr Aufklärung in der Bevölkerung, für mehr Differenzierung in der Bewertung von sexualisierter Kindesmisshandlung und der „Normalität“, in der sie stattfindet, zu sorgen.
Wie gesagt: Mir ist schon klar – und ich betonte dies mehrfach in meinen Ausführungen – dass das Ganze auch der beschränkten Wahrnehmung und Wiedergabe des Redakteurs geschuldet sein kann. Dann müsste – meiner Meinung nach (!) – aber jetzt ein Fegert reagieren. Ein „Experte“, der sich schon viele Jahre mit der Thematik beschäftigt, müsste sich bewusst sein, welche fatalen Folgen solche Darstellungen haben und er müsste GERADE sein gesamtes Gewicht als „Experte“ und Fachberater der Bundesregierung nutzen, um hier im Sinne der Betroffenen/Opfer für Aufklärung und Richtigstellung zu sorgen.
Ich bin der Meinung (!), dass wir Betroffene dringend einen Fachberater der Bundesregierung bräuchten, der endlich mit den veralteten Mythen, den Falsch- oder Nichtinformationen, den Vorurteilen usw. die hinsichtlich sexualisierter Kindesmisshandlung und INSBESONDERE DER OPFER DIESER GEWALT aufräumt. Der nicht weiter zu Missverständnissen und Fütterung alter Klischees, sondern dazu beiträgt, dass Betroffene (und Täter) endlich im richtigen Licht gesehen werden können.
Nochmals: Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, bei Fegert oder dem Redakteur nachzufragen, wie er das denn genau gesagt oder gemeint hat. Das tun ja die vielen anderen Leserinnen und Leser auch nicht. Mir geht es darum, darzustellen, welche „Informationen“ dieser Artikel – so wie er tausendfach verbreitet wurde – verbreitet. Sollte Fegert sich ganz anders geäußert haben, ist es SEINE (nicht meine!) Aufgabe, für Richtigstellung zu sorgen. Ehrlich gesagt, befürchte ich aber, dass er es genau so gemeint hat. Aber das ist MEINE GANZ PERSÖNLICHE MEINUNG (!).
@ Panos
Noch eins: Du setzt hier (siehe Zitat unten) etwas gleich, was – meinem Empfinden nach – nicht das Gleiche ist:
Zitat: „Doro widerspricht vehement und sagt, dass Kinder das vom ersten Augenblick an als nicht normal empfinden. Dann aber doch, weil sie das Empfinden von Normalität zum Überleben brauchen.“
Etwas als normal oder nicht normal empfinden ist – in meinem Verständnis (!) – etwas anderes als das „Empfinden von Normalität“, das Opfer entwickeln müssen zu ihrem eigenen Schutz. Das kann jetzt als Wortklauberei ausgelegt werden, aber das ist es nicht.
Denn „dass Kinder „sexuellen Missbrauch zum Zeitpunkt der Tat als normal empfinden“ behandelt das TATSÄCHLICHE ERLEBEN des kindlichen Opfers, während das andere das REAKTIVE Konstrukt ist, das sich im Übrigen die Opfer selten selbst aussuchen, sondern das ihnen von außen (meist den Tätern, aber selbstverständlich auch einer Tatenleugnenden Umgebung/Gesellschaft) AUFGEZWUNGEN wird.
D.h., im REAKTIVEN „Empfinden von Normalität“ ist die erfahrene Gewalt bereits enthalten, bzw. der Zwang zum REAKTIVEN „Empfinden von Normalität“ IST ebenfalls Gewalt.
Dagegen ist das direkte tatsächliche Erleben des Kindes keines von „Normalität“. Ich kenne jedenfalls kein einziges Opfer/Überlebende, die so etwas jemals behauptet hätte.
Das eine ist also das TATSÄCHLICHE Empfinden der Betroffenen, das genau genommen von der „Expertendefinition“ (nämlich sie würden es als „normal empfinden“) zusätzlich vergewaltigt (zumindest völlig ignoriert bzw. als unrelevant behandelt) wird.
Und das andere ist ein nächster Schritt, nämlich eine REAKTION auf die toxischen Verhältnisse, in denen (sexualisierte) Gewalt erlebt wird. Mit dem TATSÄCHLICHEN unmittelbaren Erleben der Opfer hat das nichts zu tun. Das – wie gesagt – ist (für mich) ein großer Unterschied.
Die ganze Aussage (es wird ja als „Tatsache“ zitiert) ist daher für mich (!) auch ein weiteres Indiz für den nach wie vor verleugnenden, gewalttätigen, fremddefinierenden und damit – bekannten – missbräuchlichen Umgang mit Betroffenen von sexualisierter Kindesmisshandlung. Sie selbst, IHR Erleben, IHRE Erfahrungen, IHRE Darstellung kommt doch gar nicht vor, bzw. interessiert nicht. Oder wenn, dann nur als „behandlungsbedürftig“ oder wenn sie „gut situierte Männer aus Kaderschmieden“ sind.
Hallo
Bin männlich und Opfer.UND fühle mich durch die Formulierung „JEDE ACHTE“ gut vertreten. Habe vorher nicht darüber nachgedacht, aber es stimmt.!!!
Vielen Dank für den Hinweis.
Peter
Zur Aussage/Behauptung/Zitierung, dass Kinder „sexuellen Missbrauch zum Zeitpunkt der Tat als normal empfinden“, ergänzend ein Auszug aus dem Buch „Seelenmord“ von Ursula Wirtz:
Um Traumatisierung durch sexualisierte Gewalt während der Kindheit zu verstehen, ist nach Ansicht von Ursula Wirtz das Modell von David Finkelhor (US-amerikanischer Sozialwissenschaftler, der in erster Linie durch seine Forschung auf dem Feld von sexuellem Missbrauch von Kindern bekannt geworden ist) sehr hilfreich. Es beschreibe, welche Dynamik sich traumatisch auf das Verhalten und die psychische Entwicklung des kindlichen Opfers auswirkt.
Wirtz schreibt:
„Dabei werden vier Bereiche unterschieden:
1. Traumatische Sexualisierung
2. Stigmatisierung
3. Verrat
4. Ohnmacht
Ich möchte dieses Modell kurz erläutern. Die traumatische Sexualisierung führt beim Kind zu einer Konditionierung: Sexuelle Aktivität wird mit negativen Gefühlserinnerungen gekoppelt; auch werden dem Kind oft falsche sexuelle Normen und Moralvorstellungen vermittelt, um es für die sexuelle Ausbeutung zugänglicher zu machen. Beispielsweise hört es, dass alle Väter, die ihre Kinder lieben, „dies“ mit ihnen machen. Nicht selten wird auch das sexuelle Verhalten des Kindes belohnt, so dass ein frühes Bewusstsein einsetzt, dass Sex ein Mittel ist, um Zärtlichkeit und liebevolle Zuwendung zu bekommen, und dass es sich eigentlich um eine Art Tauschgeschäft handelt. (…)
Die zweite Dynamik, die Stigmatisierung, das Erleben des Gezeichnetseins, verstärkt den Zwang zur Geheimhaltung, das Schamgefühl und den Eindruck, selber an allem schuld zu sein, denn in der Regel macht der Täter sein Opfer für die Tat verantwortlich. Daraus resultieren Gefühle des Ausgestoßenseins und das schlechte Selbstwertgefühl (Schuld und Scham). (…)
Das dritte traumatogene Element ist der Verrat. Das Kind ist in seinem Vertrauen getäuscht, in seiner Abhängigkeit und Verletzlichkeit manipuliert und missbraucht worden. Statt Schutz zu erfahren, wurde es ausgebeutet. Die Menschen, auf die es angewiesen war, haben ihm gegenüber Machtmissbrauch betrieben. (…)
Der vierte Faktor, der sich entscheidend auf die seelische Entwicklung und das Verhalten auswirkt, ist die Ohnmacht, ein Gefühl restloser Entmachtung. Da das Kind erlebt hat, dass die Körpergrenzen gegen seinen eigenen Willen überschritten worden sind, hat sich das Gefühl des Ausgeliefertseins eingeprägt: die wiederholte Erfahrung der Hilflosigkeit und Unmöglichkeit, dem Missbrauch ein Ende zu setzen, führt zu der Überzeugung, als Mensch keine Wirkung zu haben, keinen Einfluss nehmen zu können auf das, was mit einem geschieht. (…)“
(Quelle: Ursula Wirtz, „Seelenmord“, Kreuz-Verlag 1989, S. 90)
Wirtz bzw. Finkelhor zeigen hier meines Erachtens sehr gut auf, wie kindliche Vergewaltigungsopfer dazu gebracht werden, „sexuellen Missbrauch (…) als normal [zu] empfinden“: Dem Kind werden DURCH DIE TÄTER falsche sexuelle Normen und Moralvorstellungen vermittelt, um es für die sexuelle Ausbeutung zugänglicher zu machen. Es wird behauptet, dies sei „normal“, dies würden alle Väter mit ihren Töchtern machen, dies sei „Liebe“, usw. Die mangelnde Reife des Kindes verunmöglicht ihm, zu erkennen, dass es sich um falsche, täterorientierte Normen handelt.
Ferner kann es sein, dass dem kindlichen Opfer zur ABWEHR der Stigmatisierung, des Erlebens des Gezeichnetseins, der Schamgefühle, der Gefühle des Ausgestoßenseins, des Verrats, der Manipulation, der Abhängigkeit, der Verletzlichkeit, des Gefühls restloser Entmachtung und des Ausgeliefertseins einzig und allein die VOM TÄTER VERMITTELTEN falschen Normen und „Normalitäten“ bleiben. In seiner Isolation und damit Kettung an den Täter gibt es für das völlig ausgelieferte kindliche Opfer keine anderen Fluchtpunkte (von der Dissoziation abgesehen, die sich aber ebenfalls in „Scheinnormalität“ ausdrücken kann) vor den destruktiven Erlebnissen und Emotionen.
Drittens ist es sicher so, dass es in einer Gesellschaft, in der Gewalt – insbesondere von Männern und gegen Frauen und Kinder – alltäglich ist, in der besitzergreifendes, grenzüberschreitendes, unterwerfendes Verhalten und die Pornographisierung insbesondere weiblicher und kindlicher Körper in der Werbung, in Filmen, usw. „normal“ ist, Normen vermittelt werden, die die Verfügungsgewalt von Männern und Reduzierung von Menschen auf Sexualobjekte als „normal“ erscheinen lassen. Gerade einem Kind.
Nach wie vor bestreite ich allerdings, dass Kinder „sexuellen Missbrauch ZUM ZEITPUNKT DER TAT als normal empfinden“. KEIN KIND WILL DAS SEXUALOBJEKT EINES ERWACHSENEN SEIN. Punkt.
Das Kind mag die mit der Gewalt verbundenen sexuellen Handlungen nicht immer durchschauen, aber es empfindet die Unterwerfung, den Verrat und den Missbrauch der Vertrauensbeziehung. Es spürt ZUM ZEITPUNKT DER TAT den Hinterhalt des Täters, sein wölfisches Einkreisen und Isolieren des Kindes, sein heiser-manipulatives Sprechen, sein Bedrängen, seinen Geheimhaltungsdruck, seine kaum verhohlene Macht. Aber es erlebt DURCH DIE TATEN – wie Finkelhor und Wirtz gut aufzeigen – UND DURCH DIE REAKTIONEN (bzw. NICHTReaktionen) seiner Umwelt die Verdrehung seiner Wahrnehmung und Verleugnung seiner Situation. Der einzige Ausweg aus seinem Dilemma – seine Wahrnehmung (von Ekel, Beklemmung, Unterwerfung, Verrat, etc.) und Situation versus der Verdrehungen durch die Täter und Mittäter – ist, sich von seiner eigenen Wahrnehmung abzuwenden (abzuspalten) und sich der „Normalität“ seiner komplett gestörten Umwelt anzupassen.
Nochmals: Die – per Anführungszeichen als wörtliches Zitat gekennzeichnete – Aussage „sexuellen Missbrauch zum Zeitpunkt der Tat als normal empfinden“ halte ich für falsch und für fahrlässig, weil sie die Gefahr birgt, Opfer beschuldigende Mythen weiter zu füttern und Vergewaltigung von Kindern durch erwachsene Männer zu bagatellisieren.
Aus der bundesweiten KFN-Repräsentativstichprobe von 11.428 Personen der Altersgruppe 16 bis 40:
Die Anzeigebereitschaft der von Missbrauch Betroffenen hat sich deutlich erhöht. Die heute 31 bis 40-jährigen hatten die ihnen bis zum 16. Lebensjahr widerfahrenen Missbrauchstaten je nach Tattyp nur zu 4,8% bis 13,2% angezeigt. Die Vergleichsquoten der heute 21- bis 30-jährigen liegen bereits bei 16,6% bis 27,6% und die der 16- bis 20-jährigen sogar bei 27,7% bis 41,2%.
Diese Entwicklung korreliert signifikant mit der öffentlichen Aufmerksamkeit und der Anteilnahme für die Leiden der Betroffenen:
Laut der KFN-Studie haben sich diese im Laufe der letzten drei Jahrzehnte deutlich erhöht und damit einhergehend auch die Unterstützung der Betroffenen durch Organisationen der Opferhilfe und durch andere Institutionen. „Sie dürfte erheblich zum Anstieg der Anzeigebereitschaft beigetragen haben“, heißt es in dem Studienbericht.
Das zeigt eindeutig, dass das (angebliche) „Normalfinden“ von sexualisierter Gewalt gegen Kinder genau dann abnimmt, wenn die Öffentlichkeit sexualisierter Gewalt gegen Kinder nicht mehr als „Normalität“ vermittelt bzw. deren pandemisches Vorkommen totschweigt und ignoriert.
Das heißt, nicht die kindlichen Opfer finden „sexuellen Missbrauch zum Tatzeitpunkt normal“, sondern ihnen wurde viel zu lange von ihrem Umfeld (Täter, Mittäter, Gesellschaft, Justiz usw.) vermittelt, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder nichts besonders Bemerkenswertes ist. Ändert sich der öffentliche Umgang mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder und mit den Betroffenen, ändert sich auch das Schweigen der kindlichen Opfer.