Deutsche Kinderhilfe e.V. 04.04.2012

Zu den Ermittlungspannen im Fall des mutmaßlichen Mörders von Lena: Fatale Folgen der bestehenden Rechtslage

(Berlin) – Die Polizei in Wittmund sieht sich derzeit schweren Vorwürfen ausgesetzt. Es ist die Rede von schweren Ermittlungspannen bis hin zur Frage, ob der Tod von Lena hätte verhindert werden können. Es ist wenig nachvollziehbar, dass der Durchsuchungsbeschluss des zuständigen Amtsgerichts nicht umgesetzt wurde und nach der Anzeige des Stiefvaters wegen Besitzes kinderpornographischer Dateien sowie der Selbstanzeige des Täters keine weiteren Ermittlungen erfolgten. Es bedarf der gründlichen und schonungslosen Aufklärung aller Umstände.

Eine der wesentlichen Ursachen wurde bislang von den Verantwortlichen, insbesondere der Politik, nicht angesprochen. Nach bestehender Rechtslage sind die in Rede stehenden Delikte nur „Kriminalität niederen Ranges“. Der Besitz kinderpornographischer Dateien wird nach § 185 b StGB nur mit einer Höchststrafe von zwei Jahren geahndet. Zum Vergleich: das Herunterladen illegaler Software oder kommerzieller Filme wird mit bis zu drei Jahren Haft und einfacher Diebstahl mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Dies obwohl die Kinderpornographie den realen Missbrauch immer jüngerer Opfer zeigt und eine pädokriminelle Neigung des Täters deutlich manifestiert. In der Praxis wird die überwiegende Zahl der Verfahren entweder gegen Auflage eingestellt oder im Strafbefehlswege abgeurteilt. Therapieauflagen werden nicht angeordnet. Zu Haftstrafen kommt es wegen der geringen Höchststrafe von zwei Jahren praktisch nie. Aus diesem Grund werden auch beschlagnahmte Rechner häufig erst nach langer Zeit ausgewertet. In Sachsen-Anhalt trat der international anerkannte Oberstaatsanwalt Peter Vogt, der sich im Kampf gegen Pädokriminalität im Internet einen Namen gemacht hat, im Jahr 2010 zurück, da zahlreiche Verfahren wegen zu langer Auswertungszeiten eingestellt werden mussten.

Vor diesem Hintergrund hat eine Bewertung des Verhaltens der Polizei zu erfolgen. Wenn nun aus der Politik harsche Kritik an den ermittelnden Beamten erfolgt, dann darf dabei die Verantwortung der Politik für die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht außer Acht bleiben. Sexualdelikte an Kindern haben einen anderen Stellenwert als solche an Erwachsenen. Der Grundtatbestand des sexuellen Kindesmissbrauches – dazu zählt der Besitz von Kinderpornographie ohnehin nicht – ist im Grundtatbestand nur ein Vergehen. Im Gegensatz dazu sind Raub, Drogenhandel oder die sexuelle Nötigung Erwachsener ein Verbrechen. Auch dies ist zu berücksichtigen, wenn nun Kritik geäußert wird. Wenn ein Kind durch einen Pädokriminellen zu Schaden kommt, werden Rufe nach höchstmöglichen Strafen und gründlichen Ermittlungen laut. Strafrechtlich und strafprozessual werden dafür allerdings in keiner Weise die Rahmenbedingungen gesetzt. Dies spiegelt sich auch in der geringen personellen Ausstattung der Polizeibehörden für diesen Deliktsbereich wieder.

Unabhängig von dem fatalen Signal, dass Kinder Opfer zweiter Klasse und die Täter nur mild bestraft werden, sprechen auch präventive Gesichtspunkte für einen höheren Strafrahmen. Würde es zu Hauptverhandlungen auch in diesem Deliktsbereich kommen, könnten Therapieauflagen angeordnet werden. Auch hier hält sich die Politik vornehm zurück – flächendeckende Therapieangebote für noch nicht straffällig gewordene Männer mit entsprechenden Neigungen gibt es ebenso wenig wie solche für verurteilte Pädokriminelle. Es scheint einfacher zu sein, nun auf Einzelne zu zeigen, als auf die gravierenden Defizite der Rechtslage und der politischen Rahmenbedingungen einzugehen.

„Die Deutsche Kinderhilfe fordert seit Jahren eine Strafrechtsreform: der sexuelle Missbrauch von Kindern ist ein Verbrechen und sollte auch im StGB diesen Unrechtsgehalt haben. Die derzeitige Rechtslage ist einer Gesellschaft, die Kinder ernst nimmt, unwürdig. Die so genannte Kinderpornographie wird seit Jahren von der Politik unterschätzt. Vielleicht bedurfte es erst wieder eines tragischen Falles, um Politik zum Handeln zu bewegen. Wenn dieses Delikt ein Höchststrafmaß von fünf Jahren erhält, dann ist dies ein klares lägst überfälliges rechtspolitisches Signal“, so RA Georg Ehrmann, Vorsitzender der Deutschen Kinderhilfe.

Daneben sollten sich Politik und Gesellschaft darüber verständigen, die Taten der Pädokriminellen nicht länger als Taten „Pädophiler“ (aus dem Griechischen: Kinderfreunde) zu verharmlosen.

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