Aufgewühlt durch die Geschichte von Kerstin F. (die evangelische Kirche verschleppte ihre Beschwerde so dass die Verjährung eintrat) möchte ich von meinen eigenen Erfahrungen mit der evangelischen Kirche und deren Umgang mit mir als Betroffener berichten.

Ich wandte mich mit meiner Beschwerde über die (juristisch bereits verjährten) Verbrechen eines evangelischen Pfarrers an mir zunächst an die zuständige Mitarbeiterin der ev. Landeskirche. Diese zeigte sich verständnisvoll. Dann besuchte mich eine Oberkirchenrätin, die keinerlei Erfahrung im Umgang mit Betroffenen hatte und auch eigentlich nicht befugt war, aber dennoch geschickt wurde, weil sie gerade in meiner Stadt war. Nachdem ich ihr meine Geschichte erzählt hatte, bemerkte sie u.a. dass ich damit rechnen müsse als Lügnerin bezeichnet zu werden, falls der Täter die Verbrechen leugnet. Äh, wie bitte? Die Kirche hatte noch kein Gespräch mit dem Pfarrer geführt! Diese Bemerkung war wirklich unverschämt und retraumatisierte mich enorm.

Dann folgte das Gespräch der Kirche mit dem Täter-Pfarrer, der – wie zu erwarten war- seine Verbrechen leugnete. Ab diesem Zeitpunkt erhielt ich von der Kirche nur noch wenige und sehr einsilbige Antworten. Daß das Verfahren gegen den Täter dann eingestellt (bzw. gar nicht erst aufgenommen) wurde erfuhr ich erst nach Monaten und auch nur auf Nachfrage.

Die Kirche war und ist befugt sämtliche Unterlagen, die ich ihr geschickt hatte, u.a. die (von der Kirche verlangte) genaue Schilderung der Taten an den Täter weiterzuleiten. Dies nutzte der Täter als Steilvorlage für eine – erfolgreiche – Unterlassungsklage. Kirche und Opferschutz? Geht niemals zusammen. In diesem Fall: Kirche und Staat kontra Opferschutz.

Gelackmeiert ist in jedem Fall der/die Betroffene, der/die den Mut gefunden hat, sich zu beschweren. Ich wäre nicht auf den Gedanken gekommen, solch einen Schritt juristisch abzuklären, aber es wäre wirklich besser gewesen. Ich war geblendet durch diverse Leitfäden für den Umgang der evangelischen Landeskirchen mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt, die ich naiv für bare Münze hielt. Sie gelten evtl. für Betroffene von außerkirchlichen Tätern, die sich an die Kirche als Seelsorgestation wenden. Doch sie gelten nach meiner Erfahrung nicht für Opfer von Geistlichen eben derselben Kirche. Besonders dann nicht, wenn das Opfer noch das leibliche Kind dieses Geistlichen ist. Eine derartige Beschwerde ist ein doppelter Tabubruch!

Daß evangelische Pfarrer Familie haben können ist meiner Ansicht nach auch der Grund, warum in der Öffentlichkeit mehr katholische Priester als Täter bekannt werden als evangelische. Hauptopfer von evangelischen Pfarrern sind die eigenen Kinder und diese fallen in den großen Bereich der familiären Opfer und damit in den großen Dunkelbereich. Das schützt die evangelische Kirche. Doch ihre Geistlichen sind nicht weniger häufig Täter als ihre katholischen Kollegen. Die Verbrechen der evangelischen Pfarrer werden nur aus o.g. Grund seltener aufgedeckt.

Gertrud P.