Publik-Forum Nr.22 19.11.2010
In Berlin sprechen Experten und Lobbyisten über Kindesmissbrauch. Kein Betroffener sitzt am Tisch. Warum? Fragen an Norbert Denef
Von Britta Baas
Nachgefragt bei Norbert Denef
Herr Denef, in Berlin gibt es seit März einen Runden Tisch, der sich mit dem Thema »sexueller Kindesmissbrauch« in Familien, privaten und öffentlichen Einrichtungen beschäftigt. Betroffene sitzen nicht mit am Tisch. Sie und andere kritisieren das heftig. Warum?
Norbert Denef: Die Betroffenen werden nicht anerkannt. Man spricht nicht auf Augenhöhe mit ihnen, sondern über sie. Stattdessen müsste zwischen ihnen und den Vertretern von Institutionen am Runden Tisch ein Beteiligungsverhältnis von 1:1 herrschen. Betroffene müssen über notwendige Reformen auch wirksam mitentscheiden können.
Warum ist das nicht so?
Denef: Ich will nicht spekulieren. Sachlich kann man feststellen, dass von der Bundesregierung konstruierte Runde Tische bislang immer ohne Betroffene stattfanden. Es gibt ein Übergewicht an Macht zugunsten derer, die sich um Schadensbegrenzung für ihre jeweilige Institution bemühen.
Mit anderen Worten: Der Runde Tisch ist ein Ausdruck des Lobbyismus?
Denef: Ja, so ist es.
Rechnen Sie damit, dass Ihre Forderung, den Personenkreis am Tisch neu zusammenzusetzen, Erfolg haben wird?
Denef: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Der Runde Tisch wird am 1. Dezember zum dritten Mal tagen. Er könnte dann entscheiden, etwas zu ändern. So wie es jetzt ist, geht es nicht.
Gibt es Menschen am Runden Tisch, die Ihre Position vertreten?
Denef: Ja, etwa die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig.
Was würde sich ändern, wenn Betroffene an den Gesprächen beteiligt wären?
Denef: Erstens würde überhaupt erst ein demokratisches Ergebnis entstehen. Zweitens würden Themen in den Mittelpunkt rücken wie die Aufhebung der Verjährungsfrist für sexuelle Straftaten. Diese Verjährungsfrist muss unbedingt fallen. Jetzt von Prävention zu reden bringt wenig, wenn die zurückliegenden Verbrechen nicht aufgearbeitet werden.
Eckhard Nagel, Mediziner und evangelischer Präsident des Ökumenischen Kirchentags 2010, wurde von Journalisten kritisiert, weil das offizielle Podium zum Thema Kirche und Missbrauch in München ohne Betroffene stattfand. Er antwortete, man dürfe Opfer nicht ins Rampenlicht zerren. Wie sehen Sie das?
Denef: Hinter dieser Argumentation steckt eine tief sitzende Angst vor den Betroffenen.
Angst vor den Opfern?
Denef: Ja. Im Allgemeinen beschäftigt sich die Öffentlichkeit mit Tätern. Fast jeder Krimi im Fernsehen ist so aufgebaut. Auf diese Weise wird man nicht mit sich selbst konfrontiert; der Täter ist ja »der Andere«. Vom Schicksal, den abgebrochenen Lebensläufen der Überlebenden mag man weniger hören. Das würde belasten und erscheint bei Weitem »nicht so spannend«. Hinter dieser Abwehrhaltung verbirgt sich oft große Angst: Wenn man mit Opfern auf Augenhöhe spräche, käme man an das eigene Leid heran, das man verdrängen möchte. Und man würde mit einer zerstörten Ordnung der Welt konfrontiert, in der es »die gute Kirche« und »die heile Familie« nicht mehr gibt.
Norbert Denef wurde 1949 in Delitzsch geboren. Als Jugendlicher wurde er von einem Priester und einem Organisten missbraucht. Er gilt als das erste Opfer in Deutschland, das von der römischen Kirche eine Entschädigung erwirken konnte. Im März 2010 gründete Denef ein Netzwerk Betroffener. Kontakt: www.netzwerkb.org
Grüss Gott Herr Denef,
ich danke Ihnen für das interessanten Interview.
Ihre Meinung und Erfahrung kann ich mitunterschreiben, habe ich auch ebenfalls schon mehrmals gemacht.
Gerne würde ich da noch was anfügen.
Ja, die Menschen haben Angst vor Opfern, also haben sie auch Angst was zu verändern, in ihrem Bewusstsein und in der Realität. Auch machte ich oft die Erfahrung und tue es noch, dass Opfer sexuellen Missbrauchs, diese Erfahrung meist in der Kindheit machten und danach als ERWACHSENE Person, noch IMMER als Kind behandelt werden. Siehe dazu auch das Verhalten der Kirche.
Opfer klein halten, wie Kinder behandeln, so muss man sie nicht an sich heran lassen. Deren Schmerz nicht mitfühlen und verstehen lernen, sondern weiter an MACHT und Ohnmacht festhalten. UND GENAU DAS IST ES, was den OPFERN den Stempel lebenslänglich verpasst.
Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass ich nie in dem Stigma sex. Opfer hängen bleiben wollte, meine Seele hat mich da rausgeführt, es war ein Spaziergang durch die Hölle.
Der Erkenntnis, dass ich das aufarbeiten musste, nicht der Täter, nicht die Familie, nicht die Gesellschaft. Dass ich darum kämpfen musste, gute und unterstützende Menschen an meiner Seite zu haben, selbst um die Therapien, Lebensunterhalt etc… vieles was anderen selbstverständlich zufällt.
Wenn die Kirche, der Staat wohl Betroffene an den runden Tisch holen würden, dann müssten sie wahrlich was ändern, müssten auf Augenhöhe was tun und müssten sich ihrer Verantwortlichkeit als Politiker und Kirchenmannn stellen.
Für mich ist die katholische Kirche mittlerweile zu einem Männerkonzern verkommen und hat an Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit verloren und sie hinkt und jahrhunderte der Realität hintennach. Ich war mal sehr kirchengläubig. Nun bin ich gottgläubig ohne Kirche (wann und ob ich austrete, weiss ich noch nicht).
Aus dem Kind wurde eine erwachsene Frau, die selber entscheidet, wem sie glaubt, wer nicht.
Gerne würde ich es mir mal wünschen, wenn in vielen Deutschen Städten soviele Betroffene wie möglich einen Marsch der Erinnerung machen würden, ich denke, erst dann würden die anderen sehen, wie gross das Leid ist und dass da niemand mehr vorbeischauen wird können und dies solange (wie bei den Montagsdemonstrationen) – bis das Wasser den Stein ausgehölt hat….und die Mauern im Innern der anderen fallen werden und sie bereit sind, die Betroffen wieder als MENSCHEN in die Gesellschaft aufzunehmen…….
Noch hat die Macht das Wort, überall wo das Geld vor dem Menschen regiert….
Und so haben sich viele entschieden lieber dem Mannon zu dienen, statt dem Menschen und Gott, der in jedem Menschen steckt…
Ich bleibe für mich auch dran, suche Wege, noch besser in die Gesellschaft mich zu integrieren, was leider gar nicht so einfach ist…
Herzliche Grüsse
Jacqueline