SÜDWEST PRESSE 17.11.2010

Lügen war vor zwei Wochen das acht9-Thema. Unter anderem hatten wir Prof. Jörg Fegert interviewt. Er ist Ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Ulm. Dieses Interview sorgte für Wirbel. Hier eine Stellungnahme von Herrn Fegert.

Rund um das Thema „Lügen“ hatten unsere Mitarbeiter versucht, einige Tage ohne schwindeln auszukommen. Außerdem hatten wir Prof. Jörg Fegert, den Ärztlichen Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Ulm, interviewt. Eine seiner Aussagen war, dass jeder von uns immer wieder lügt. Da aber ein Teil des Interviews verärgerte Reaktionen von Seiten einiger Leser ausgelöst hat, äußert sich Prof. Fegert an dieser Stelle nochmals zu dem Thema. Auch die Redaktion bedauert das Missverständnis.

Prof. Dr. Jörg M. Fegert:

Durch mein Interview zum allgemeinen Thema „Lügen bei Kindern und Jugendlichen“ habe ich offensichtlich zu Missverständnissen, ja teilweise auch zur Empörung von Betroffenen, welche sexuellen Missbrauch erlebt haben, beigetragen. Dafür möchte ich mich ausdrücklich entschuldigen.

Was war passiert?

Auf die per E-Mail gestellte Frage der Journalistin der SÜDWEST PRESSE (eine von zahlreichen Fragen), ob lügen auch krankhaft sein könne, hatte ich das seit 1891 in der psychiatrischen Literatur von Anton Delbrück eingeführte seltene Krankheitsbild der Pseudologia Phantastica erwähnt, das heute mit dem Begriff des pathologischen Lügens meist umschrieben wird. Gleichzeitig hatte ich geschrieben, dass Patientinnen und Patienten mit dieser Störung, wie schon in meinem Buch „Sexueller Missbrauch und das Recht” (1993, Köln) dargestellt, eben nicht primär narzisstische Aufschneider sind, sondern in den Fällen, die ich behandelt habe, Kinder, welche reale Misshandlungs- und Missbrauchserfahrungen über Jahre hatten, aber auch von ihrem Umfeld immer wieder zu Ausreden und Lügen angehalten wurden, und die dann eine solche Störung entwickelt hatten, die dazu führte, dass niemand ihnen Glauben schenkt. Da dieses Krankheitsbild eine spezielle Störung ist, die nur sehr wenige Menschen aufweisen, steht sie mit der Vielzahl der Missbrauchsopfer nicht in Zusammenhang.

Wie häufig war vor Veröffentlichung des Interviews eine redaktionelle Überarbeitung und Kürzung erforderlich. Diesem Vorgehen hatte ich auch zugestimmt. Es war mein Fehler, die dann gedruckte Fassung des Interviews nicht darauf überprüft zu haben, ob durch die Kürzungen und Vereinfachungen in der Wortwahl nicht Missverständnisse entstehen könnten. Die Folge davon ist sehr bedauerlich, denn wie auch meine wissenschaftliche Arbeit aus den letzten 25 Jahren verdeutlicht, kann unsere Arbeit nur gelingen, wenn Betroffene uns vertrauen und auch davon ausgehen können, dass wir ihren Aussagen Glauben schenken.

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