Frankfurter Rundschau 19.11.2010
Bei einem Konsistorium einigen sich die Kardinäle auf ein Rundschreiben mit Richtlinien für den Umgang mit Missbrauchsfällen. Damit will die Kirche ihrer Vertrauenskrise begegnen. Die Opfer erwarten ein deutliches Zeichen von Papst Benedikt.
Rom –
Als Reaktion auf den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche will der Vatikan ein Rundschreiben mit Richtlinien für den Umgang mit Missbrauchsfällen herausgeben. Das teilte der Vatikan nach Beratungen von mehr als hundert Kardinälen aus aller Welt in Rom mit. Das Schreiben werde Regeln für ein „koordiniertes und effizientes Programm“ im Kampf gegen sexuellen Missbrauch durch Geistliche enthalten. Mehr als hundert Kardinäle aus der ganzen Welt waren im Vatikan erstmals zu Gesprächen über den Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsfällen zusammengekommen.
In einem feierlichen Konsistorium wird Papst Benedikt XVI. 24 katholische Würdenträger in den Kardinalsstand erheben, darunter auch Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, und den Kirchenhistoriker Walter Brandmüller.
Bereits am Freitag disputierte der Papst mit 140 von 203 Kardinälen. Disputiert wurde erstmals auch das Thema, das die Kirche weltweit in ihre größte Vertrauenskrise gestürzt hat: der sexuelle Missbrauch durch Geistliche. Nach draußen drang über die Beratungen zunächst kaum etwas, wie viele Opfer, auch aus Deutschland, beklagten.
Sie waren angereist, um auf ihr Leiden aufmerksam zu machen. Sie forderten die Kardinäle auf, nicht mehr nur symbolisch, sondern endlich auch konkret zu handeln, damit derartige Übergriffe nicht mehr vorkommen. In einem ersten Schritt sollten Kirchenmitarbeiter auf der ganzen Welt „in der kommenden Woche zwei Stunden damit verbringen, öffentlich auf andere zuzugehen, die von der Kirche verletzt wurden und noch immer leiden“, verlangte die US-Selbsthilfeorganisation SNAP, die weltweit mehr als 9000 Mitglieder hat.
Keine Illusionen
Große Illusionen über die Beratungen machten sich die Betroffenen indes nicht. „Die Machtstrukturen in der Kirche verhindern eine offene Auseinandersetzung“, sagte Norbert Denef, Gründer und Sprecher von netzwerkB (Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt) der Frankfurter Rundschau. Denef, der als Ministrant jahrelang von einem Priester und später von einem Organisten missbraucht worden war, war nach Rom gekommen, um an einer Kundgebung teilzunehmen. Sein Martyrium begann, als er neun Jahre alt war, und an den Folgen trägt der 61-Jährige bis heute schwer. Die Kirche sprach ihm eine Entschädigung von 25000 Euro zu, war aber nur widerwillig bereit, ihn von einer Schweigepflicht zu entbinden.
Vom Papst erwartet Denef ein deutliches Signal. „Er könnte ein Zeichen setzen, indem er sagt: Wir haben versagt. Wir haben die Verbrechen vertuscht.“ Stattdessen würden die Opfer noch immer ausgegrenzt.
’netzwerkB ist jetzt in der Vatikanstadt Rom polizeilich registriert – wir
werden trotzdem nicht mehr schweigen!‘
Es ist einfach unglaublich! Polizei gegen Missbrauchsopfer, Polizei gegen Stuttgart21-Demonstranten, Polizei gegen Castorgegner: Immer nur Polizei gegen Bürger, die grundlegende Rechte einfordern. Mit Machtarroganz werden Bürger gegen Bürger gehetzt.
‚Finsternis bedeckt die Erde‘, so der Titel der Geschichte über die Inquisition von Jerzy Andrzejewski. Da er als P0le während des Kalten Krieges seine Meinung zum Stalinismus nicht öffentlich äussern konnte, verlegte er die Handlung ins Mittelalter. Wie erschreckend ähnlich die Machtstrukturen beider Regime doch geblieben sind …
…und irgentwann führt alles wieder zum Bürgerkrieg…..
Wir werden nicht mehr schweigen. Das ist gut so. Aber wenn wir nicht schweigen, dann reden wir und hier ist das große Problem. Wir brauchen auch Menschen die uns zuhören und dafür brauchen wir die Medien.
Kardinälen und Bischöfen räumt man uneingeschränkt ein unzensiert reden zu können. Geben wir jedoch ein ausführliches Gespräch weiter, wird es , manchmal bis zur Unkenntniss, gekürzt. Beispiele hierfür habe ich zu Hauf vor mir liegen.
Frau Vollmer hat zur Bundespressekonferenz im Dezember geladen und uns ausdrücklich ausgeladen. Fragen von Missbrauchten und Gefolterten sind nicht erwünscht. Das dürfen wir nicht so hinnehmen und sollten Einlass begehren. Ein Recht auf Teilnahme an einer Pressekonferenz hat ein jeder der auch nur einen Kommentar schreiben möchte zu diesem Thema .
Auch wenn das Recht auf unsere Seite ist, wird man mit der Begründung, „Gefahr in Verzug“ wiedereinmal die Polizei bitten, die Gefahr die von uns ausgeht zu beheben. Der Rechtsstaat lässt grüßen und alle werden schweigen.
13.09.2009 Kammergericht Berlin ist das beste Beispiel. Die Angst geht um und diese Angst erzeugt Bizarres. Im Namen Gottes wird ein Rechtsstaat (der längst keiner mehr ist) mit Füßen getreten.
Leider gibt es viel zu wenige Menschen, die aufrecht dagegen angehen.
Ich gehöre nicht dazu.
Jonathan
In Rom polizeilich registriert! Ist doch auch irgendwie ein Erfolg!
Da könnne sie unsere Existenz nicht mehr abstreiten..
DIe Arroganz der Macht! Die werden alle noch selbst darüber stolpern..
Wenn alle sexuellen Übergriffe und der Missbrauch allgemein so penibel registriert worden wäre von der Polizei (auch in Italien), wie Norbert und netzwerkB, dann hätten wir heute nicht mehr das Problem der Glaubwürdigkeit. Dann legen in jedem Bistum und im Vatikanarchiv die Fakten klar auf dem Tisch und die Kirche könnte sich an die Aufarbeitung machen.
Norbert, ohne Eitel zu wirken, aber eine Registrierung durch die Schweizer Garde hätte gezeigt, wie nah du dem Papst gewesen wärst.
Dieses Missbrauchs-Konsistorium diente denen doch auch nur zu ihrer rituellen Eitelkeit, das zeigt doch schon, die feierliche Eröffnung. Angeblich waren die Kardinäle, vorne weg die Neuen, so ge(ver)blendet gewesen durch die Eröffnungsfeier, das sie nicht mehr in der Lage waren, als nur ein „Papier“ mit einem koordinierten und effizientem Programm zu erstellen. Dieses Geld, was allein schon die Reisekosten ausmachten, dann noch die neuen Kardinals-Gewänder…, hätte doch schon in ein Missbrauchsfond eingebracht werden können, welcher von diesem Konsitorium gegründet hätte werden müssen.
Der Missbrauch war seinerzeit genauso massgeschneidert, wie die heutigen Kardinalsgewänder, eines Kardinal Marx! Mal sehen, zurück in Deutschland, ob er sich stimmgewaltig auf unsere Seite schlägt, oder den Kardinals-Habit sich erschwiegen hat.
lieber norbert denef, wieder zu dank verpflichtet für den vorbildlichen einsatz in rom. mich persönlich tröstet immer: in deutschland waren 1970 noch 44,6 % der bevölkerung katholisch, 2010 sind es nur noch 29,7 %.
und KONFESSIONSFREI waren 1970 nur 3,9 %, jetzt sind es 34,6 %, also deutlich mehr als katholiken. und die tendenz ist deutlich steigend, gerade wegen der vielen missbrauchsfälle an kindern, der ausbeutung von waisenkindern durch mixas und einer weltfremdheit der kirche, die aufgeklärte zeitgenossen nicht mehr hinnehmen wollen.
prof.dr.gernot lucas
„Vatikan kündigt Regeln für Kampf gegen Missbrauch an“
oder sollte es etwa heissen:
Vatikan kündigt Regeln für Kampf gegen Missbrauchte an?
Das ist die Frage……
Die bisherigen Geschehnisse machen jedenfalls beide Aussagen möglich.
Missbrauchsopfer sind ja unbequem, lästig, hinderlich und teuer.
So wurde jedenfalls bisher damit umgegangen – möglichst kostensparende, lautlose Ruhigstellung….
Die bisherigen Versuche und Vorschläge waren jedenfalls allesamt unbrauchbar beziehungsweise uneffektiv.
„Kampf gegen Missbrauch“ würde für so Einige ja sogar Selbstvernichtung bedeuten.
Naturgemäß wird aber meistens der Weg der Selbsterhaltung gewählt,
was in letzter Zeit gut zu beobachten war und ist.
Man darf weiterhin auf effektive Änderungen gespannt sein.