FOCUS ONLINE 24.07.2012

Juraprofessor Holm Putzke hat die Beschneidungsdebatte 2008 entzündet. Nach seiner Einschätzung ist die Beschneidung medizinisch unnötig und damit Körperverletzung eines Kindes. Er hofft auf ein Scheitern des Gesetzes.

Sie haben die juristische Debatte um die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Jungen im Jahr 2008 angestoßen. Das Urteil des Landgerichts Köln bestätigt Sie nun in Ihrer Einschätzung. Was sind die Folgen dieser Entscheidung?
„Allein eine Strafandrohung bringt sicher nichts. Eine Diskussion innerhalb der Religionsgemeinschaften über Alternativen, die es auch im Judentum gibt, ist unverzichtbar. Das Urteil hat einen gewaltigen Denkanstoß geliefert und schon jetzt zu einer Sensibilisierung vieler Eltern geführt. Letztlich müssen die Religionsgemeinschaften sehen, ob sie an der Beschneidung weiter festhalten wollen. Diese Diskussion ist in vollem Gange. Ich glaube, dass mit dem Urteil mittel- oder langfristig das Ende religiöser Beschneidungen von Jungen eingeleitet wurde.“

Ignorieren Sie mit dieser Einstellung nicht das Grundrecht der Religionsfreiheit?

„Natürlich gibt es einen Konflikt von Rechten. Aber die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern werden durch das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und negative Religionsfreiheit begrenzt. Die maßgebliche Frage ist letztlich, welche Grenzen dem elterlichen Erziehungsrecht gezogen sind. Darauf gibt das Gesetz eine klare Antwort: Entscheidendes Kriterium ist das Kindeswohl. Kindern ohne medizinische Indikation einen gesunden, hochsensibel-erogenen Teil ihres Körpers irreversibel abzutrennen, entspricht nicht ihrem Wohl, zumal sie Schmerzen sowie unnötigen Risiken ausgesetzt werden und der Eingriff, jedenfalls im Kindesalter, keinerlei gesundheitliche Vorteile mit sich bringt.“

Sind Sie also konsequenterweise für ein Verbot der religiösen Beschneidung?

„Ein Verbotsgesetz ist gar nicht nötig, weil es im Strafgesetzbuch schon genügend Schutz für die körperliche Unversehrtheit gibt.“

Trotzdem hat der Bundestag fraktionsübergreifend eine Resolution verabschiedet, damit diese in Deutschland straffrei bleibt …

„Die Politik reagiert derzeit reflexhaft, nicht reflektiert. Kaum erklären einige Rabbiner das Kölner Urteil als schwersten Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust, bricht in Berlin Panik aus. Es scheint plötzlich niemanden zu stören, dass die Rabbiner mit ihrem Vergleich sowohl den Holocaust bagatellisieren als auch die Verletzung der Genitalien von Jungen über das Kindeswohl sowie die verfassungsrechtlich garantierte körperliche Unversehrtheit stellen.

Die Bundeskanzlerin erklärt sogar all diejenigen zu Komikern, die dem Kinderschutz Vorrang einräumen gegenüber einem uralten Missbrauch und die bezweifeln, dass religiöse Beschneidungen geltendem Recht entsprechen. Dazu gehören ja nicht nur etwa die Deutsche Kinderhilfe, Terre des Femmes sowie zahlreiche ärztliche Berufsverbände und Juristen, sondern auch viele kritische Muslime und Juden. Wer eine Gesellschaft, in der die körperliche Unversehrtheit von Kindern ernst genommen wird, zur Nation von Komikern erklärt, verliert selber den Anspruch, ernst genommen zu werden. Zur Komiker-Nation hat Angela Merkel Deutschland durch ihre Äußerung gemacht, weil jetzt auch jenseits der Landesgrenzen bekannt ist, dass wir eine Kanzlerin haben, für die Kinderrechte, also die Solidarität mit Schwächeren, weniger Bedeutung haben als der Willen einiger konservativer Religionsvertreter, aus Prinzip und Tradition weiterhin Gewalt gegen Kinder zu verüben. Es wundert mich nicht, dass viele Menschen über die Empathieverweigerung der Kanzlerin kleinen Kindern gegenüber erschüttert sind.“

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