Verein ehemaliger Heimkinder e.V. 03.11.2011

Offener Brief

Verleihung des Hans-Ehrenberg-Preises an Antje Vollmer

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 22.11.2011 soll Frau Antje Vollmer den mit 5.000 Euro dotierten „Hans-Ehrenberg-Preis“ verliehen bekommen. Bei dieser Verleihung wird sich auf Frau Vollmers Einsatz am „Runden Tisch Heimerziehung der 50er und 60er Jahre“ (RTH) bezogen, an dem sie als Vorsitzende entscheidend zum Konsens beigetragen habe.

Sicher ist Ihnen bekannt, dass es am RTH um einen nur sehr scheinbaren Konsens ging – keinen jedenfalls, bei dem die früheren Heimkinder ernstgenommene Verhandlungspartner waren. Im Gegenteil:

  • Den VertreterInnen der ehemaligen Heimkinder wurde am RTH ein Rechtsbeistand nach eigener Wahl verweigert mit der ausdrücklichen Argumentation Frau Vollmers, dass der RTH kein „Tribunal“ sei.
  • Den HeimkindervertreterInnen wurde es unmöglich gemacht, eigene Gutachten erstellen zu lassen, eigene Gutachter zu benennen, während die von anderer Seite vorgebrachten Gutachten teilweise erst Tage NACH dem Vortrag in schriftlicher Form vorlagen.
  • Bereits die Bekanntgabe des Zwischenberichts wurde von scharfen Protesten begleitet – besonders von dem ausgewiesenen Kenner der bundesdeutschen Heimgeschichte, dem Berliner Professor Dr. Manfred Kappeler.
  • Die Stellvertreter der Ehemaligen am RTH hatten in der ganzen Zeit nicht nur kein Stimmrecht, sie hatten entgegen demokratischen Gepflogenheiten, nicht einmal Rederecht.
  • Bei der Abstimmung über den Abschlussbericht legte Frau Vollmer größten Wert auf Einstimmigkeit. Zu diesem Zwecke und um eine scheinbar größere Zustimmung zu erreichen, wurden an dieser Stelle auch die Stellvertreter der ehemaligen Heimkinder aufgefordert, ihr Votum abzugeben. Da keiner der HeimkindervertreterInnen dem Abschlussbericht in dieser Form zustimmen konnte und wollte, beschlossen sie, sich der Stimme zu enthalten und verließen den Verhandlungsraum. Frau Vollmer und Frau Rupprecht (SPD) eilten ihnen nach und übten wort- und gestenreichen Druck auf die OpfervertreterInnen aus, indem Frau Vollmer u.a. drohte, der RTH werde im letzten Moment platzen und es werde keinerlei Gelder geben. Die VertreterInnen knickten bis auf eine Ausnahme ein. Diesem beschied Frau Vollmer, dass
  • seine Stimme völlig unmaßgeblich sei, da er „nur“ ein Stellvertreter sei. Und deklarierte die Abstimmung als einstimmig.
  • Ein weiterer Stellvertreter verkündete auf einer Pressekonferenz im direkten Anschluss an die von Frau Vollmer zum Erscheinen des Abschlussberichts einberufene Pressekonferenz von diesem Dissens und dem unmenschlichen Druck, der auf ihn und die anderen VertreterInnen ausgeübt worden sei. Von Frau Vollmer kam dazu – nichts!
  • Fünf der insgesamt sechs HeimkindervertreterInnen haben sich in der Zwischenzeit von dem Abschlussbericht und ihrer eigenen Zustimmung öffentlich distanziert – sogar in einem Schreiben an den Bundestagspräsidenten.
  • In zwei getrennten Abstimmungen über den Abschlussbericht äußerten sich ca. 90% der befragten Ehemaligen gegen den Abschlussbericht und seine nur als skandalös zu bezeichnenden Ergebnisse.
  • In Folge kritisierte selbst Prof. Dr. Schruth, den Heimkindern als Rechtsberatung zugewiesener Berliner Professor, in dem Fachvortrag „Grenzen der Aufarbeitung zugefügten erzieherischen Unrechts – am Beispiel des Runden Tisches Heimerziehung“: „Eine Grenze der Aufarbeitung hat sich auch in unterschiedlichen Bewertungen des Unrechts der damaligen Heimerziehung gezeigt. Ich hebe das hervor, weil ich meine, der möglichen umfassenderen Unrechtsbeschreibung wurde mit geheimem Blick auf die Rechtsfolgen, auf die erheblichen Kosten nicht gefolgt. Das kann dann aber nur zu aus meiner Sicht ungenügenden und vermeidbar ungerechten Lösungen führen“ (S. 9) und „Warum wird offensichtlich im angloamerikanischen Raum ohne gesellschaftliche Bedenken materielle Entschädigungen in beachtlicher Höhe für alle Opfer ähnlichen staatlichen Unrechts pauschal gezahlt, aber nicht in der BRD? Eine Erklärung bietet der Abschlussbericht des RTH an, der in den Lösungsvorschlägen die direkte Geldzahlung ausdrücklich lediglich bei den entgangenen Sozialversicherungsbeiträgen erzwungener Arbeit in der Zeit der Heimunterbringung vorsieht (…)“ (S. 12). Gesamttext des Vortrages von Prof. Dr. Schruth: http://dierkschaefer.files.wordpress.com/2011/09/vortrag_prof-20schruth.pdf

Der evangelische Pfarrer im Ruhestand, Dierk Schäfer, nennt die Preisverleihung obszön. Und führt dazu aus, dass sich heutige Kirchenbehörden mit dem Widerstand gegen die Nazis brüsten und einen Ehrenberg-Preis verleihen und gleichzeitig das Angedenken des Namensgebers, Hans Ehrenberg, schänden, indem sie den Preis einer willfährigen Theologin verleihen.

Wir vom Verein ehemaliger Heimkinder e.V. finden diese Preisverleihung ebenso obszön wie skandalös. Frau Vollmer hat nichts dazu getan, ehemalige Heimkinder zu versöhnen oder auch nur in Konsens zu bringen.

Frau Vollmer hat es – entgegen ihrem eigenen Anspruch und dem der Preisverleiher – verstanden, die Überlebenden der bundesdeutschen Kinderheimhöllen und deren VertreterInnen am RTH

  • zu verhöhnen,
  • zu retraumatisieren,
  • von jedweder Gerechtigkeit fern zu halten,
  • der Lächerlichkeit und Kritik preiszugeben,
  • äußerstem Druck auszusetzen.

Und wird nun – dafür? – mit dem mit 5.000 Euro dotierten Hans-Ehrenberg-Preis bedacht. Man bedenke: 5.000 Euro sind weit mehr als – nach dem Willen von Frau Vollmer – ein ehemaliges Heimkind jemals erhalten wird für jahrelange Pein, für physische und psychische Folter, für sexuelle Gewalt, Jahre der Zwangsarbeit, für eine gestohlene Kindheit und Jugend und eine vorenthaltene Schul- und Berufsausbildung.

Wir bitten Sie, unsere Argumente zu berücksichtigen und Ihre Entscheidung zu überdenken. Diese Entscheidung, die wir nur als Hohn bezeichnen können!

Mit freundlichem Gruß
für den Vorstand
Heidi Dettinger
Schriftführerin