MAIN POST 17.10.2010

Der Jurist Klaus Laubenthal nimmt im Bistum Würzburg Vorwürfe über Missbrauch und Gewalt entgegen. Im Interview spricht er über die Ergebnisse und seine Erfahrungen seit seinem Amtsantritt am 19. März.

Frage: Sie sprechen im Bericht von neun bei Ihnen gemeldeten Vorgängen, bei denen der Beschuldigte noch lebt und die nicht abgeschlossen sind. Können Sie das aufschlüsseln?

Klaus Laubenthal: Drei Vorwürfe von körperlicher Gewalt betreffen den emeritierten Weihbischof. Es bleiben noch sechs Vorwürfe, in denen Opfer noch lebende Personen beschuldigen. Dies sind unterschiedliche Fälle, die derzeit untersucht werden. Es sind ganz überwiegend Fälle von sexuellem Missbrauch. Es handelt sich zum Teil um Priester, die nicht mehr aktiv sind, wir haben aber auch ein paar Fälle von noch im Amt aktiven Priestern.

Können Sie das konkreter sagen?

Laubenthal: In einem Fall geht es um einen Priester, der schon einschlägig verurteilt ist. In einem weiteren Fall hat sich ein Gefängnisseelsorger selbst angezeigt und den Fall haben wir bereits vergangene Woche öffentlich gemacht. Es bleiben also noch vier Fälle, die das Bistum betreffen und wo wir beschuldigte Priester bereits angehört haben oder anhören werden. Aus Gründen des Opferschutzes hört man bei ausreichender Information durch das Opfer zuerst die Beschuldigten.

Sie legen großen Wert auf den Opferschutz und beziehen klar Position in einer Frage, die unter den Bischöfen noch kontrovers diskutiert wird. Warum?

Laubenthal: Es geht hier um die Weiterleitung von Vorwürfen an die Staatsanwaltschaft. Ich bin der Auffassung, dass sie nur erfolgen sollte, wenn das Opfer einverstanden ist. Wenn wir solche Fälle generell an die Strafverfolgungsorgane weitergeben würden, könnte das dazu führen, dass Opfer abgeschreckt werden, sich zu melden. Zum Teil haben sie ihrem Partner nichts von einem solchen Vorfall gesagt oder es ist ihnen peinlich, wenn es im näheren Umfeld bekannt wird. Es könnte auch Angst sein, dass in kleineren Ortschaften Druck auf Anzeigende ausgeübt wird. Deswegen sollte die Entscheidung beim Opfer liegen. Wir müssen aber mit diesem Schutz der Anonymität das Strafverfolgungsinteresse abwägen, und zwar wenn eine aktuelle Gefahr besteht, also wenn zum Beispiel ein Seelsorger noch in der Jugendarbeit aktiv ist.

Welche Erfahrungen machen Sie in den Gesprächen mit den Betroffenen?

Laubenthal: Es ist für einen Außenstehenden erstaunlich, wie verletzt diese Menschen zum Teil nach Jahrzehnten noch sind, wie aufgewühlt sie sind. Manche sagen, sie hätten gedacht, sie hätten all das schon verarbeitet. Jetzt, nachdem es in der öffentlichen Diskussion aufgetaucht ist, seien die Erlebnisse auch bei ihnen wieder hochgekommen. Personen, die psychische Folgen wie Bulimie (Ess- und Brechsucht, Anmerkung der Redaktion) oder Ähnliches überwunden zu haben glaubten, berichten von Rückfällen. Es berührt sehr, wie erwachsene, gestandene Leute noch nach Jahrzehnten das Weinen beginnen, um eine Pause bitten, nicht mehr weiterreden können, wenn sie von erlittenem sexuellem Missbrauch berichten.

Sie sind ja auch Rechtsprofessor und haben auch eine Forderung an den staatlichen Gesetzgeber: Er soll die Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch abschaffen?

Laubenthal: Ein Grund für Verjährungsfristen ist ja, dass der Gesetzgeber sagt, nach so langer Zeit sei der Rechtsfrieden wieder hergestellt, die Opfer selbst wollten nichts mehr davon wissen. Diese Fälle zeigen mir aber, wie intensiv die Opfer sich damit auseinandersetzen. Viele sagen mir: Endlich kann ich darüber reden. Andere sagen, sie seien erst jetzt bereit, sich darüber mit jemandem auszutauschen. Außerdem könnte eine Abschaffung der Verjährungsfristen eine abschreckende Wirkung auf mögliche Täter haben. Sie müssten damit rechnen, bis an ihr Lebensende verfolgt zu werden.

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