vom 25. bis 26. September 2010 in Berlin:

Präambel

Wir, die Teilnehmer_innen des Kongresses „Aus unserer Sicht“, sind Teil der Gesellschaft und haben unterschiedliche Lebensbedingungen. Wir sind keine homogene Gruppe und haben jeweils verschiedene Interessen und Positionen. Worin wir uns jedoch  einig sind, ist die Tatsache, dass die sexualisierte Gewalt sich nicht auf ein individuelles Problem reduzieren lässt, sondern die gesellschaftlichen Strukturen als Ursache und Hintergrund sexualisierter Gewalt hinterfragt werden müssen. In Verantwortung unserer Gesellschaft für nächste Generationen ist eine nachhaltige und umfassende Prävention notwendig.

Die folgenden Punkte haben wir auf dem Kongress „Aus unserer Sicht“ als aktuelle Brennpunkte diskutiert und haben als teilnehmende Betroffene zu ihnen Position bezogen:

Betroffene als Expert_innen

Menschen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, verfügen über ein breites Wissen, zum Beispiel über Täterstrategien, sexualisierte Gewalt begünstigende gesamtgesellschaftliche und institutionelle Strukturen, beeinträchtigende Auswirkungen und Möglichkeiten der Bearbeitung. Dieses Wissen muss in die Arbeit gegen sexualisierte Gewalt einfließen. Deshalb fordern wir:

  • Betroffenenexpert_innen müssen in die Entwicklung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen sowie in die Entwicklung und Durchführung von Unterstützungsangeboten für Erwachsene einbezogen werden.
  • Die in der Selbsthilfearbeit gewonnenen Erkenntnisse und Handlungskompetenzen über Möglichkeiten der Bearbeitung sexualisierter Gewalterfahrungen müssen in die Aus- und Fortbildung von pädagogischen und therapeutischen Fachkräften mit aufgenommen werden. Dies beinhaltet auch, dass Expert_innen der Selbsthilfearbeit in Aus- und Fortbildung als Lehrende eingesetzt werden.
  • In die politischen Entscheidungsprozesse über Maßnahmen zur Intervention und Prävention sexualisierter Gewalt sind Vertreter_innen der Selbsthilfearbeit einzubeziehen. Um dem breiten Spektrum der Fragestellungen gerecht zu werden, sind legitimierte Vertreter_innen unterschiedlicher Gruppen am politischen Diskurs paritätisch zu beteiligen.

Präventionsarbeit

Präventionsarbeit muss sich an den Tatsachen orientieren:

Sexualisierte Gewalt erfüllt in patriarchalen Gesellschaftsstrukturen bestimmte Funktionen. Sie dient der Ausgrenzung, der Demütigung und der Herabsetzung. Dies darf nicht außer Acht gelassen werden.

Gleichzeitig erschwert das weit verbreitete Klischee, Opfer würden später selber zu Tätern, es vor allem Jungen und Männern, sich als Betroffene zu erkennen zu geben.

Außerdem trägt die Leugnung von sexualisierter Gewalt durch Frauen und die Bagatellisierung sexualisierter Gewalt unter Kindern im Vor- und Grundschulalter dazu bei, dass die Betroffenen dieser Gewalt unsichtbar und häufig ohne Unterstützung bleiben.

Präventionsarbeit muss neben dem Verhindern von sexualisierter Gewalt auch dazu beitragen, bestehende geschlechtspezifische Rollenzuschreibungen und zweigeschlechtliche Verkürzungen zu hinterfragen.

Zur Prävention sexualisierter Gewalt in Familien und im sozialen Nahraum fordern wir:

  • Umsetzung der Kinderrechte im Erziehungsalltag von Familien
  • Information über Kinderrechte in Grundschulen
  • Information über Elternschaft, Erziehungshaltung und Kinderrechte in allen weiterführenden Schulen
  • Anerkennung und Aufwertung von Alternativen zur klassischen Kleinfamilie wie erweiterte Familienmodelle, Jugend-WGs etc.
  • Qualifizierte Familienhebammen als Teil des Präventionsangebots
  • Aberkennung der Erziehungsfähigkeit nach Täterschaft.

Wir fordern die Implementierung präventiver Strukturen in allen Einrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Die finanzielle Förderung muss an diese Bedingung geknüpft sein.

Hierbei sind für die unterschiedlichen Bereiche unter Berücksichtigung der arbeitsweltspezifischen Risikofaktoren Präventionskonzepte zu entwickeln. Solche Konzepte müssen zum Beispiel beinhalten:

  • Aus- und Fortbildung zum Thema sexualisierte Gewalt für alle Berufe, die mit Kindern arbeiten (Schule, Gesundheitswesen, Justiz, Polizei, Sozialarbeit, Jugendhilfe)
  • Verpflichtung zur interdisziplinären Zusammenarbeit
  • Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses auch bei ehrenamtlichen Tätigkeiten und bei allen angestellten und verbeamteten Mitarbeiter_innen im Schul- und im Gesundheitswesen
  • Verhaltenscodices, die arbeitsrechtliche Relevanz haben
  • Partizipation von Mädchen und Jungen bei der Erstellung institutioneller Regeln
  • Information über und Einlösung der Kinderrechte in allen Einrichtungen, die mit Mädchen und Jungen arbeiten, zum Beispiel das Recht auf Schutz vor Gewalt
  • Nachhaltigkeit der Präventionsangebote, Qualitätsstandards und regelmässige Durchführung und Überprüfung
  • Regelmäßige anonyme Befragung von (ehemaligen) Nutzer_innen bezüglich erlebter oder beobachteter Grenzverletzung in der jeweiligen Institution
  • Gesetzlich verankerte institutionelle Haftung im Falle unterlassener Hilfeleistung bei sexualisierter Gewalt
  • Die Ausübung sexualisierter Gewalt ist unter anderem Beweis für mangelnde Fachlichkeit. Folglich muss Täter_innen die Berechtigung zur Ausübung von Tätigkeiten untersagt werden, bei denen sie mit Kindern oder Jugendlichen in Kontakt kommen oder pflegerisch oder seelsorgerisch tätig sind.

Intervention in aktuellen Fällen sexualisierter Gewalt

Gute Maßnahmen zur Intervention haben oft auch eine präventive Wirkung. Umgekehrt ist Prävention eine wichtige Vorbereitung einer Intervention. Wir fordern:

  • Juristische Verankerung der Kinderrechte und Einrichtung von Instanzen zu ihrer Durchsetzung
    Für eine effektive Intervention bei sexualisierter Gewalt brauchen wir eine juristische Verankerung von Kinderrechten. Diese müssen darüber hinaus Kindern und Jugendlichen bekannt gemacht werden. Außerdem brauchen sie institutionalisierte Möglichkeiten, ihre Rechte auch einzufordern bzw. einzuklagen. Dies beinhaltet das Recht auf anwaltliche Vertretung für den Klageweg und auf der institutionellen Ebene die Einrichtung einer internen vertrauten Beschwerde- und Unterstützungsinstanz bereits für Mädchen und Jungen im Vorschulalter, sowie die Etablierung einer externen und unabhängigen Beschwerde- und Unterstützungsinstanz.
  • Recht auf elternunabhängige Beratung:
    Kindern und Jugendlichen jeden Alters muss ein Recht auf elternunabhängige Beratung zugesprochen werden, unabhängig davon, ob sie als Anlass eine Kindeswohlgefährdung benennen. Diese muss bundesweit flächendeckend ermöglicht werden.
  • Verbindliche Standards und Verfahrenswege:
    Zum Vorgehen bei Bekanntwerden sexualisierter Gewalt oder im Verdachtsfall müssen sämtliche Einrichtungen, die mit Kindern oder Jugendlichen arbeiten (auch solche, die nicht unter das KJHG fallen, wie zum Beispiel Schulen, Institutionen im Gesundheitswesen oder Sportvereine) über verbindliche Standards und Verfahrenswege mit Zuständigkeiten und Pflichten, entwickeln. Bei diesen Standards und Verfahrenswegen muss der Schutz des betroffenen Kindes oder Jugendlichen im Vordergrund stehen und nicht das Interesse der Institution, ihren Ruf zu schützen, oder eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten.
  • Ausdehnung des Geltungsbereichs der Regelungen des §8a SGBVIII:
    Wir fordern die Erweiterung der Verpflichtung nach §8a SGBVIII auf alle Einrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, auch jenseits des Geltungsbereichs des KJHG (zum Beispiel Schule, Sport etc.).
  • Rechtsanspruch auf Soforthilfen:
    Kinder und Jugendliche bekommen einen Rechtsanspruch auf alltagspraktische Soforthilfen nach der Aufdeckung sexualisierter Gewalt. Diese müssen bundesweit flächendeckend zur Verfügung gestellt werden.
  • Beendigung der finanziellen Abhängigkeit von Täter_innen:
    Bei innerfamiliärer sexueller Ausbeutung ist es den Betroffenen nicht zumutbar, weiter mit dem Täter/der Täterin unter einem Dach leben zu müssen. Deshalb muss in diesen Fällen elternunabhängig ein Anspruch auf Hartz VI bestehen.

Wir fordern die Entwicklung und die finanzielle Absicherung von Interventionsangeboten für Betroffene, die bis ins Erwachsenenalter hinein im Rahmen inszestuöser Familienstrukturen missbraucht werden.

Unterstützungsangebote für Erwachsene nach sexualisierter Gewalt

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche hat oftmals Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter hinein. Die  Betroffenen haben ein Recht auf angemessene Unterstützungsangebote.

Homepage

Wir fordern eine Homepage (finanziert vom Bund, betroffenenkontrolliert), am besten interaktiv, die unabhängig Informationen zur Verfügung stellt. Diese soll unter anderem über Folgendes  aufklären:

  • Möglichkeiten und Ansprüche auf Soforthilfe
  • Wege der Bearbeitung, ihre Rahmenbedingungen und Finanzierung (dies betrifft sowohl Selbsthilfeangebote und Therapiearten, als auch andere individuell oder kollektiv organisierte Möglichkeiten)
  • Konkrete Hinweise zum Umgang mit Krisen
  • Angebote des psychosozialen Hilfesystems, Nebenwirkungen von psychiatrischen Interventionen und Patient_innenrechte.

Soforthilfen

  • Wir fordern einen Rechtsanspruch auf alltagspraktische und sozialarbeiterische Soforthilfe für Erwachsene nach der Aufdeckung sexualisierter Gewalt, zum Beispiel alltagspraktische psychosoziale Stabilisierung.

Flächendeckende, finanziell abgesicherte Beratungs-, Selbsthilfe- und Therapieangebote:

  • Unterstützung bei der Verarbeitung sexualisierter Gewalterfahrung auch für Erwachsene muss als Rechtsanspruch verankert werden.
  • Das Angebot soll Wahlmöglichkeiten enthalten: Trauma- oder andere Therapieformen, Selbsthilfeangebote, kreative Angebote wie Kunst, Musik, Theater, und andere. Insbesondere müssen betroffenenkontrollierte Angebote finanziell abgesichert werden.
  • Ebenso bedarf es spezialisierter Beratungsangebote für die Kontakt- und Vertrauenspersonen von betroffenen Männern, Frauen, Trans- und Intersexuellen, um diesen dabei behilflich zu sein, die Betroffenen besser unterstützen zu können.

Traumatherapie und andere Therapie

Die derzeitige Begrenzung der Therapiestundenzahl über die Krankenkassen wird den komplexen Belastungen vieler Betroffener nicht gerecht. Ebenso völlig unzureichend sind die Wahlmöglichkeiten und das Angebot an Therapieplätzen.

  • Traumatherapeutische Angebote sollen von den Krankenkassen finanziert werden. Dies verlangt eine klare Definition von Traumatherapie und die Entwicklung von Richtlinien. Evaluation und Qualitätssicherung in der Traumatherapie sind sinnvoll.
  • Für alle Formen von Therapie sollen Beschwerdestellen eingerichtet werden.

Psychiatrie

Da zahlreiche Betroffene sexualisierter Gewalt mit Psychiatrisierung konfrontiert werden, fordern wir:

  • Umsetzung des Rechts auf Selbstbestimmung auch in der Psychiatrie
  • Systematische Nachfrage in psychiatrischen Einrichtungen nach sexualisierten Gewalterfahrungen und kompetenten Umgang damit
  • Keine Täter und Betroffene auf gleicher Station
  • Informationspflicht über die Folgen von psychiatrischer Behandlung und Psychopharmaka
  • Abschaffung von  Zwangsmaßnahmen (Fixierung, Medikation)

Recht

Aktuell sind Betroffene im Strafrecht mit der Tatsache konfrontiert, dass die Unschuldsvermutung bezüglich des Täters dazu führt, dass den Opferzeug_innen mit grundlegenden Zweifeln an ihrer Glaubhaftigkeit begegnet wird. Diese Vermutungen entsprechen  aber nicht der Realität undführen lediglich zu einem strukturell verankerten Ungleichgewicht im Prozess.

Hierdurch  und durch die mangelnde Ausschöpfung bestehenden Rechts entsteht eine Diskrepanz zwischen der Rechtspraxis und dem Rechtsempfinden der Betroffenen. Zur Verbesserung dieser Situation fordern wir:

  • Erste Vernehmung bei sexualisierter Gewalt gleich durch Richter_innen, um Mehrfachvernehmungen zu vermeiden. Dafür muss eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden
  • Aufklärung über die und verbindliche Umsetzung der bestehenden Opferschutzmaßnahmen
  • Rechtsanspruch auf Zeug_innenbegleitung (wie in Österreich)
  • Aus- und Fortbildung zum Thema sexualisierte Gewalt für Polizei, Staatsanwaltschaft und Richter_innen
  • Sonderdezernate in den LKAs, spezialisierte Kommissariate vor Ort und spezialisierte Abteilungen bei der Staatsanwaltschaft
  • Möglichkeit von Sammelklagen durch Opferschutzorganisationen.

Glaubhaftigkeitsbegutachtung

In Deutschland ist seit dem Jahr 1999 eine Methode zur Begutachtung mutmaßlicher Opfer verbindlich, die nach unserer Erfahrung dazu führt, dass Betroffenen sexualisierter Gewalt häufig und mit steigender Tendenz vor Gerichten und Behörden nicht geglaubt wird. Dies hat gravierende Folgen für ihr Leben, ist aber auch aus Sicht des Gemeininteresses an der Bekämpfung sexualisierter Gewalt nicht zu tolerieren.

  • Wir halten deshalb eine gründliche Überprüfung der verwendeten Methoden und Theorien im Lichte gegenwärtiger wissenschaftlicher Erkenntnisse für dringend erforderlich.

Dabei erscheinen uns folgende Fragen vorrangig:

  • Bilden die verwendeten Kriterien die Realität sexualisierter Gewalt, ihrer Folgen und der entsprechenden Aussagen korrekt ab?
  • Welche alternativen Möglichkeiten der Beweissicherung können entwickelt werden?

Die Behauptung, Helfer und Therapeuten würden durch Suggestion „falsche Opfer“ erschaffen, steht in unvereinbarem Widerspruch zu der Lebensrealität vieler Betroffener.

  • Wir halten dringend eine kritische Überprüfung der so genannten „Suggestionshypothese“ für erforderlich.

Um die Begutachtungsergebnisse zu verbessern, fordern wir generell, dass

  • Gutachter_innen über praktische Erfahrung in der Arbeit mit Betroffenen verfügen müssen

Verwendete Tests und Beurteilungsverfahren das aktuelle und relevante Fachwissen über sexualisierte Gewalt einbeziehen und umsetzen. Als „Fachwissen“ ist in erster Linie anzusehen: 1. Die aktuelle wissenschaftliche Forschung über sexualisierte Gewalt und die Folgen bzw. Psychotraumatologie. 2. Das Erfahrungswissen aus Therapie und Beratung.

Kurzfristig sollte zum Schutz der Betroffenen vor Gutachterwillkür:

  • Ein unabhängiges Gremium aus spezialisierten Fachleuten und Betroffenen zur Überprüfung der Gutachten eingerichtet werden
  • Den Betroffenen das Recht zugestanden werden, Zweitgutachten von spezialisierten Fachleuten in die Verfahren einzubringen.

Verjährungsfristen

Die derzeitige Verjährungsregelung führt dazu, dass zahlreiche Betroffene zu dem Zeitpunkt, zu dem sie in der Lage sind, die Täter_innen anzuzeigen, mit der abgelaufenen Verjährung konfrontiert sind.

  • Wir benötigen an diesem Punkt dringend eine Verbesserung.
  • Die Mehrheit der Kongressteilnehmer_innen fordert deshalb eine Abschaffung der Verjährungsfrist, andere ein Einsetzen erst nach der Aufdeckung, andere plädieren für Möglichkeiten, auch nach Ablauf einer Verjährung Ermittlungsverfahren initiieren zu können.
  • Einigkeit besteht an dem Punkt, dass es nicht tragbar ist, dass Betroffene durch die Verjährung gleichsam doppelt bestraft werden, und Täter unbehelligt davon kommen.

Dies gilt sowohl für das Strafrecht als auch für das Zivilrecht.

Entschädigung

Da die Gesellschaft sich der Unterlassung einer Hilfestellung schuldig gemacht hat, ist sie verpflichtet, für einen Ausgleich des Nachteils zu sorgen. Wir fordern:

  • Die Entschädigung für die erlebte Gewalt muss unabhängig vom Ausmaß der Folgen für die Betroffenen erfolgen. Das Recht auf Unterstützung (zum Beispiel Therapie oder Beratung) hat nichts mit Entschädigung zu tun.
  • Wenn der pädagogische Auftrag einer Institution nicht erfüllt worden ist, weil sie sexualisierte Gewalt gegenüber den ihr Anvertrauten nicht verhindert hat, ist sie verpflichtet, eventuell gezahlte Gebühren zu erstatten. Auch dies hat nichts mit Entschädigung der Betroffenen zu tun.
  • Institutionen und Täter_innen sollen Entschädigungen in einen Fonds oder eine Stiftung einzahlen, die/der zur Auszahlung von Entschädigungen an Betroffene mit herangezogen wird.

Wir begrüßen die Initiative des Eckigen Tisches, sich bezüglich der Höhe der Entschädigungen an der durchschnittlich gerichtlich zugesprochenen Schmerzensgeldgewährung zu orientieren.

Weitere Forderungen sind:

  • Die Praxis, dass Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz an Strafverfahren gekoppelt werden, muss entsprechend der Gesetzeslage abgeschafft werden.
  • Die Bearbeitungsdauer in OEG-Verfahren muss dringend verkürzt werden.
  • Recht, im OEG-Verfahren bei Anhörungen, Untersuchungen etc. eine Vertrauensperson mitzunehmen.
  • Falls es aufgrund von erlittenen Schädigungen zur Berentung kommt, ist die Höhe der Rente am Durchschnittseinkommen der Bevölkerung zu orientieren.
  • Möglichkeiten zivilrechtlicher Verfahren unabhängig von Strafverfahren
  • Ein betroffenenorientiertes Zeugnisverweigerungsrecht für Berater_innen
  • Sicherstellung der Möglichkeit für Betroffene, ein dauerhaftes Kontaktverbot für Täter_innen zu erwirken (zum Beispiel analog zum Gewaltschutzgesetz)
  • Verbindliche Umsetzung von Auskunftssperren des Melderechts in allen Institutionen
  • Einführung eines Scheidungsrechts von Betroffenen gegen Eltern, damit keine Informationen weitergegeben und keine gesetzlichen Verpflichtungen und Rechte der Eltern im Krankheits- und Sterbefall bestehen.

Öffentliche und mediale Wahrnehmung

Wenn Betroffene auf lebenslängliche Opfer reduziert werden, verstellt das den Blick auf Möglichkeiten der Bearbeitung und erschwert die Situation vieler Betroffener. Dieses eingeschränkte Bild trägt dazu bei, dass Betroffene nicht als Expert_innen gesehen werden können und zwingt sie in zahlreichen Berufen dazu, die eigene Betroffenheit zu verschweigen.

Wünschenswert ist:

  • Den Blick von skandalisierenden Darstellungen weg zu lenken und alltägliche Gewaltmechanismen und die gesellschaftlichen Voraussetzungen, die zu sexualisierter Gewalt führen und diese decken, in den Fokus zu nehmen.
  • Wahrnehmung und Darstellung von reflektierten Betroffenen mit ihren Fähigkeiten und Kompetenzen.
  • Ein bewussterer Umgang mit Sprache, denn Begriffe wie „Kinderschänder“, „Sextäter“ oder „pädophil“ verschleiern und verzerren die realen Gewaltverhältnisse.
  • Sensibler Umgang mit den Betroffenen, keine Interviews ohne Autorisierung.
  • Für die Berichterstattung über sexualisierte Gewalt t wünschen wir uns Fachjournalisten für das Thema, vergleichbar mit Spezialisierungen der  Sport- oder Wirtschaftjournalist_innen.

Forschung und Statistik:

  • Wir fordern Forschung zu Ressourcen und Bewältigungsstrategien in der Verarbeitung sexualisierter Gewalterfahrungen. Eine solche Forschung muss betroffenenkontrolliert durchgeführt werden.
  • Die Bundesregierung soll eine repräsentative Dunkelfeldstudie über das Ausmaß sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Auftrag geben.
  • Die Statistik des BKA über das Anzeigeverhalten bei Sexualstraftaten (insbesondere bei sexuellem Missbrauch) muss transparent machen, in welchen Lebensbreichen die Taten verübt wurden und die Gewaltformen (zum Beispiel rituelle Gewalt) erfassen. Zudem muss statistisch erfasst werden, welche Anzeigen zu Verurteilungen führen.

„Störmal“?

Wünschenswert ist die Errichtung eines oder mehrerer „Störmale“ zum Thema sexualisierte Gewalt – Denkmäler, die „stören“ und zum Nachdenken anregen. Dies erfordert eine öffentliche Ausschreibung, eine gesellschaftlicher Debatte und eine Jury, die sich aus Betroffenen zusammensetzt.

Quelle: www.aus-unserer-sicht-kongress.de