6.12.2007
Frage von
Norbert Denef

Sehr geehrte Frau Zypries,

Der bisherige Begriff „sexueller Missbrauch” ist irreführend. Es handelt sich um Gewalt, die schwere psychophysische Beeinträchtigungen nach sich zieht. Darüber muss die Gesellschaft informiert werden. Dass Opfer sich dem Verbrechen und dessen Folgen erst Jahrzehnte später stellen können, werden Fachleute wie Betroffene bestätigen können/müssen. Das gilt es anzuerkennen, sowie die lebenslangen Schäden, die durch sexuelle Gewalt entstehen.

Der Gesetzgeber macht sich mitschuldig an dem leidvollen Schweigen der Opfer. Er verhindert die Aufarbeitung der Verbrechen. Die bisherige Verjährungslogik verstößt gegen die Menschenrechte.

Warum wird die Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch im Zivilrecht nicht aufgehoben?

Freundliche Grüße

Norbert Denef
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14.12.2007
Antwort von
Brigitte Zypries

Sehr geehrter Herr Denef,

zivilrechtliche Ansprüche unterliegen grundsätzlich der Verjährung. Ziel ist es, klare Verhältnisse für den Rechtsverkehr zu schaffen. Denn im Lauf der Zeit wird es immer schwieriger, in einem gerichtlichen Verfahren zu klären, ob ein bestimmter Anspruch besteht oder nicht – Zeugen erinnern sich nur mehr ungenau oder sind nicht mehr erreichbar, Dokumente werden weggeworfen oder gehen verloren. Die Verjährung dient daher dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit.

Das gilt im Grunde auch für Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche von Opfern eines sexuellen Missbrauchs. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass Kinder und Jugendliche, die sexuell missbraucht wurden, erst eine bestimmte Reife benötigen, um die Folgen dieser Tat verarbeiten zu können. Häufig müssen sie zuvor auch erst die häusliche Umgebung verlassen, wenn dort der Missbrauch stattgefunden hat.

Aus diesem Grund gibt es eine besondere Regelung für die Verjährung von Ansprüchen, die auf einer Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung beruhen: Die Zeit bis zum 21. Lebensjahr des Opfers wird in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet. Gleiches gilt für die Zeit, in der das Opfer mit dem Täter in einer häuslichen Gemeinschaft lebt. Das Gesetz spricht dabei von einer „Hemmung“ der Verjährung. Hierdurch gewinnt das Opfer zusätzliche Zeit, um in Ruhe entscheiden zu können, ob es seine Ansprüche verfolgen will oder nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Brigitte Zypries
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15.12.2007
Frage von
Norbert Denef

Sehr geehrte Frau Zypries,

Rechtsfrieden und Rechtssicherheit haben aus meiner Sicht die Täter, denn ihre Verbrechen verjähren – Opfer finden weder Frieden noch Sicherheit, wenn sie per Gesetz schweigen müssen!

Warum sollten bei sexueller Gewalt Dokumente weggeworfen werden oder verloren gehen? Es geht um Mord, um Seelenmord, das schlimmste Verbrechen was man einem Menschen antun kann. Die Verjährungsfrist ist Täterschutz und fügt den Opfern erneuten seelischen Schaden zu.

„Eine bestimmte Reife, um die Folgen dieser Tat verarbeiten zu können,“ dafür legt der Gesetzgeber eine Zeit fest. Das empfinde ich als unmenschlich. Denn Opfer können in der Regel erst viele Jahrzehnte nach der Tat darüber sprechen, wenn die Verjährungsfrist bereits eingetreten ist.

Die „besondere Regelung für die Verjährung von Ansprüchen“ hilft aus meiner Sicht den Tätern. Denn bevor die Opfer sprechen können, ist das Verbrechen verjährt.

Mord verjährt nicht. Warum Seelenmord?

„Ich wurde sexuell missbraucht“ ist der Titel meines Buches, in dem ich das lange Schweigen über meine erlebte sexuelle Gewalt beschreibe.
Nach dem ich mein Schweigen gebrochen hatte, wollte die katholische Kirche mich mit 25.000 Euro wieder zum schweigen bringen.
Zeugen sind in meinem Fall erreichbar und erinnern sich sehr genau. Durch die Verjährungsfrist verhindert der Gesetzgeber die Aufarbeitung dieser Verbrechen, warum?

Eine opferfeindliche Sprache bei sexualisierter Gewalt ist leider immer noch in unserer Gesellschaft die Regel.

Ich empfehle dringend die Lektüre:

„Der verlorene Kampf um die Wörter“ (Monika Gerstendörfer)
Ein Plädoyer für eine angemessenere Sprachführung.

Freundliche Grüße

Norbert Denef
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16.01.2008
Antwort von
Brigitte Zypries

Sehr geehrter Herr Denef,

zur Frage der Verjährung habe ich Ihnen bereits auf Ihre Frage vom 6.12.2007 ausführlich geantwortet. Eine völlige Aufhebung der Verjährungsfrist halte ich aus den genannten Gründen für falsch.

Mit freundlichen Grüßen

Brigitte Zypries
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19.12.2007
Frage von
Susanne Lorenz

Sehr geehrte Frau Zypries,

mit großem Interesse habe ich Ihre Antwort auf die Anfrage von Herrn Norbert Denef vom 6.12.07 zum Thema Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch im Zivilrecht gelesen. Die „Hemmung“ der Verjährung, um den Opfern Zeit zu geben, hört sich gut an, geht aber völlig an der Realität vorbei. Gerade Überlebende von schwerem Missbrauch haben kaum eine Entscheidungsfreiheit. Die schweren Schuld- und Schamgefühle vieler Traumatisierter verhindern, überhaupt ein Gefühl für eigene Rechte zu entwickeln; oft bedarf es vieler Jahre Therapie, um stabil genug zu werden, Ansprüche gegenüber den Tätern zu verfolgen. Völlig unter den Tisch fallen die Späterinnernden. Viele Menschen quälen sich durch ein Leben voller Depressionen, Ängste und Schmerzen, bis sie sich erst in einem Alter an den sexuellen Missbrauch erinnern, in dem ihnen jegliche Rechte auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld verweigert werden. Die Wahrung des sogenannten „Rechtsfriedens“ bedeutet somit einen weiteren Schlag ins Gesicht der Opfer.

Ist das nicht Grund genug, die Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch im Zivilrecht aufzuheben?

Mit freundlichen Grüßen

Susanne Lorenz
Heilpraktikerin für Psychotherapie
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30.01.2008

Antwort von
Brigitte Zypries

Sehr geehrte Frau Lorenz,

ich bleibe bei der Auffassung, die ich auch in der von Ihnen zitierten Antwort an Herrn Denef vertreten habe: Verjährungsfristen sind notwendig, weil sie dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit dienen. Es erscheint mir schwer vorstellbar, dass es nach den langen Zeiträumen, von denen Sie sprechen, noch genügend objektive Beweismittel vorhanden wären, um Schadensersatzansprüche zu belegen.

Das Gesetz berücksichtigt die schwierige Situation von Opfern sexueller Gewalt durch die Hemmung der Verjährung. Auch das steht schon in meiner Antwort an Herrn Denef.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre Brigitte Zypries
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31.01.2008
Frage von
Norbert Denef

Sehr geehrte Frau Zypries,

Ihre Antwort in www.abgeordnetenwatch.de vom 16. Januar 2008, auf meine Frage vom 15.12.2007 (von Norbert Denef), kann ich nicht nachvollziehen. Deshalb gestatten Sie mir bitte, weitere Fragen zu stellen, um zu verstehen, warum für Sie die völlige Aufhebung der Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch im Zivilrecht falsch sei.

So lange die Rechtsgemeinschaft, an den langfristigen Schäden die durch sexuelle Gewalt entstehen, ein untergeordnetes Interesse hat, werden Strafverfolgungsorgane mit deren Ahndung sich nicht befassen müssen.

Warum wird das Interesse der Opfer untergeordnet?

Warum gibt es in Deutschland keine Studie zu den ökonomischen Kosten von Gewalt?

Die Studien anderer Länder zeigen ALLEIN für die sog. häusliche Gewalt Beträge in Milliardenhöhe!
Quelle: norbert.denef.com
Und was wäre, wenn man sexualisierte Kindesmisshandlung noch in solche Studien aufnehmen würde? Beträge, die alle zahlen müssen…
Wie hoch wären die kurz-, mittel- und langfristigen Kosten?

Warum gibt es in Deutschland keine Studie zu den psychologischen und gesellschaftlichen „Kosten“ von Gewalt?

Was bedeutet Gewalterleben/Traumatisierung denn wirklich: für die Opfer, für die gesamte Gesellschaft?

Können und wollen wir uns das wirklich leisten?

Müsste eine Gesellschaft hier nicht werten und sagen: „Moment mal! Die Betroffenen von Gewalt sind uns wichtiger. Sie brauchen…“?

Die Aufmerksamkeit gegenüber den Tätern ist hoch! Vom Schicksal, den abgebrochenen Lebensläufen der Überlebenden, mag man weniger hören. Es „belastet“, ist nicht so „spannend“. Wenn die Waage der Justitia austariert ist für die Vielzahl aller Partnerschaften eines größeren Verbundes von Rechtsinhabern, erst dann kann von Rechtsfrieden gesprochen werden. Wenn sich Opfer unterordnen müssen, verstößt das aus meiner Sicht gegen die Menschenrechte!

Freundliche Grüße

Norbert Denef
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8.02.2008
Antwort von
Brigitte Zypries

Sehr geehrter Herr Denef,

ich habe Ihnen bereits ausführlich auf Ihre Fragen zum Thema „Verjährung“ geantwortet – dem ist nichts hinzuzufügen.

Mit freundlichen Grüßen

Brigitte Zypries
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02.02.2008
Frage von
Sabrina Eckert

Sehr geehrte Frau Zypries,

ich würde gerne von Ihnen wissen, ob Sie sich bereits einmal mit den Themen Vergewaltigung und PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) näher auseinander gesetzt haben.

Mit freundlichem Gruß

Sabrina Eckert
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13.02.2008
Antwort von
Brigitte Zypries

Sehr geehrte Frau Eckert,

mit dem Thema Vergewaltigung habe ich mich schon beschäftigt, mit dem von Ihnen angesprochenen Thema PTBS persönlich bislang noch nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Brigitte Zypries
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10.02.2008
Frage von
Sabrina Eckert

Sehr geehrte Frau Zypries,

ich würde gerne von Ihnen wissen, warum Sie so arrogant und ignorant gegenüber Missbrauchsopfern sind.
In Ihrer Antwort zu der Frage von Herrn Denef [Frage vom 6.12., Anm. d. Red.] erzählen Sie etwas von „innerer Reife“ – meinen Sie etwa, wir (die Betroffenen) sind zu blöde, um einzuschätzen, ob eine Vergewaltigung „wirklich schlimm“ ist?
Kann sein, dass Sie nicht selbst betroffen sind – darüber können Sie unglaublich dankbar sein. Dennoch finde ich, Sie sollten den Betroffenen sehr viel mehr Verständnis und Einfühlungsvermögen entgegen bringen.

Hochachtungsvoll

Sabrina Eckert

Nach wenigen Tagen der Freischaltung dieser Frage in www.abgeordetenwatch.de, wurde sie wieder entfernt mit der Begründung: „…dass wir Ihre Nachricht in der uns vorliegenden Version nicht freischalten, da sie gegen den Moderations-Codex verstößt“, es sei „keine konstruktive Frageabsicht“…