Die Söhne legen sich mit den Vätern an – und besinnen sich auf die Ahnen. 150 Jahre nach dem Verlust von Land und Identität legen die „First Nations“, die Ureinwohner Kanadas, ihre kulturellen Wurzeln frei. Die Jungen setzen bei der Wiederbelebung traditioneller Lebensformen auch auf den Tourismus.

Dunkel ist es in der fensterlosen Hütte. Stockdunkel. Nur der Singsang und die Trommelschläge des Zeremonienmeisters sind zu hören. Die feuchtheiße Luft ist durchdrungen vom Geruch nach Tabak, Salbei und Tannenzweigen, die den Boden polstern. Eben noch ist Wasser zischend auf glühend heißen Steinen verdampft. Ein Reinigungsritual hat begonnen, auf einer winzigen Insel im Lake Kempt in der kanadischen Provinz Québec.

Ein paar Stunden wird diese „Sweat Lodge“, die Schwitzhütte, dauern, und sie ist wahrlich nichts für Klaustrophobiker. Nur auf allen Vieren ist Fortbewegung möglich, der Nachbar schwitzt hautnah. Die Gäste aus Deutschland und die Gastgeber vom Stamm der Atikamekw sitzen Seite an Seite.

Auch die Besucher haben ihre Vorfahren geehrt, ein wenig Tabak dem Feuer übergeben und dann den gelassenen Umgang von Zeremonienmeister Jean-Guy mit Adlerfeder, Pfeife und anderen heiligen Utensilien bestaunt. Zwei junge Stammesangehörige, Jakob und Davon, gehen dem 66-Jährigen zur Hand. Nun sollen die Teilnehmer im Dunkeln ihren Wünschen, Hoffnungen, Ängsten freien Lauf lassen. Die Saunawitze der Gäste sind längst verstummt.

„Man prügelte den Indianer aus uns heraus“

Das hier ist eine ernste Sache, gleichbedeutend mit der Rückkehr in den Bauch von Mutter Erde. Jean-Guy leitet die Zeremonie mit ruhiger Würde, wenn auch in T-Shirt und Trainingshose. Für die Atikamekw geht es nicht nur um individuelle Gefühle. Das Ritual soll auch von kollektivem Schmerz und Leid befreien. Vor wenigen Jahrzehnten noch durften die First Nations, wie die Ureinwohner Kanadas sich selbst bezeichnen, weder ihre eigenen Sprachen sprechen noch ihre Bräuche praktizieren. Eine Zeremonie wie diese war strikt verboten.

Über Generationen hat die kanadische Regierung einen kulturellen Genozid betrieben. So befand es die von der Regierung eingesetzte Wahrheits- und Versöhnungskommission im vergangenen Jahr. Assimilation der Urbevölkerung an die Sitten der europäischen Eroberer und Einwanderer, das war das Ziel gewesen, um jeden Preis. „Man prügelte den Indianer aus uns heraus“, sagen Betroffene. Schon im Kindesalter, über Generationen hinweg.

Mehr als 150 000 Kinder wurden in staatliche Internate gesteckt. Kontakte zu den Eltern waren unerwünscht, körperliche Gewalt, Stromschläge und sexueller Missbrauch gehörten zum Alltag. Mindestens 6000 Kinder starben in den „Residential Schools“ an den Folgen der Gewalt, oder sie begingen Selbstmord. Betrieben wurden die Internate zumeist von den Kirchen. Weiter lesen…