Hula-Hoop am Meer: Bewegung gegen Hass und Wut

Jeden Morgen gegen 7 Uhr fährt Norbert Denef an den Scharbeutzer Strand, packt dort Hula-Hoop-Reifen aus und beginnt mit seinen Übungen. Mal misstrauisch, mal neugierig beäugt wird er dabei von Spaziergängern. Einige trauen sich, ihn anzusprechen. „Wer beweglich ist, kann auch etwas bewegen“, lässt er seine Gesprächspartner wissen.

netzwerkB-Hula Hoop

Scharbeutz. Denen erklärt der 67-Jährige dann, was es mit dieser besonderen Betätigung auf sich hat. Viele der Passanten schütteln ungläubig den Kopf, wenn er ihnen von einer jüngst veröffentlichten Studie berichtet, nach der sich 85 Prozent aller Deutschen kaum bewegen. Denef kann das überhaupt nicht verstehen.

„Beim Hula-Hoop ruhe ich in mir, dann habe ich keinen Hass und keine Wut.“ Norbert Denef (67) aus Scharbeutz

„Wer beweglich ist, kann auch etwas bewegen“, lässt er seine Gesprächspartner wissen. Und bewegt hat Denef schon eine Menge. Viel Arbeit aber liegt noch vor ihnen – vor Denef und den Angehörigen des von ihm gegründeten NetzwerkB, dem Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt. Es hat seine Wurzeln in einer Selbsthilfegruppe, in der bereits im Jahr 1993 Frauen und Männer gemeinsam über die von ihnen erlebte sexualisierte Gewalt sprachen. Als gemeinnütziger Verein offiziell gegründet wurde das Netzwerk im April 2010.

Den Anstoß dazu gab Denef, der als Kind und Jugendlicher erst von einem katholischen Pfarrer und dann von einem Kirchenmusiker missbraucht worden war. 35 Jahre lang schwieg er darüber. Bundesweit machte Denef im Jahr 2012 auf sich aufmerksam, als er in einen Hungerstreik trat. Da er schwere gesundheitliche Probleme bekam, beendete er ihn nach 46 Tagen. Auch danach kämpfte er weiterhin auf verschiedenen Ebenen gegen die Verjährungsfristen für sexualisierte Gewalt.

„Als Kind war ich wegen der schlimmen Erlebnisse körperlich natürlich überhaupt nicht beweglich“, berichtete Denef. Der frühere technische Leiter eines Theaters lebt seit 2008 mit seiner Ehefrau Veronika in Scharbeutz. Dort meditiert er täglich mehrere Stunden lang, und er treibt viel Sport. Dazu zählen Yoga, Chigong, Schwimmen, Reckturnen, Trampolinspringen und anderes mehr.

„Irgend etwas fehlt aber noch für eine ganzheitliche Bewegung“, spürte er eines Tages. Er suchte im Internet und stieß dort auf die seit vielen Jahrhunderten besonders bei Kindern beliebten Hula-Hoop-Reifen. Denef bestellte sich einen, legte ihn sich um die Hüften und trainierte erst einmal zu Hause auf der Terrasse. „Das ist es!“ befand er und radelte zum Strand. „Ich mache das nicht, um Kunststücke zu lernen, die ich im Zirkus aufführen kann. Ich will beweglich bleiben, will nach dem tiefen Einatmen meine Lungen und auch den aufrechten Gang spüren“, gibt er Einblicke in seine Motivation.

Wenn Norbert Denef in aller Seelenruhe die Reifen kreisen lässt und dabei ganz auf sich konzentriert ist, dann „ruhe ich in mir, dann habe ich keinen Hass und keine Wut“. Inzwischen stellt der Scharbeutzer Hula-Hoop-Reifen auch für andere her und passt sie an die jeweiligen Körpergrößen an. Nach den etwa zweistündigen morgendlichen Übungen ist Denef dann auch geistig beweglich genug, um sich weiter seiner Netzwerk-Arbeit zu widmen. Nachdem es ihm und den Vereinsmitgliedern durch zahlreiche Treffen und Aktionen gelang, die Verjährungsfristen für sexuellen Missbrauch von drei auf 30 Jahre zu erhöhen, geht es ihm jetzt um einen „Akt der Versöhnung“. Dazu gehören wieder viele intensive Gespräche, unter anderem mit Bischöfen. Ihnen wird Denef dann als Gastgeschenke selbst gefertigte Hula-Hoop-Reifen mitbringen, denn: „Auch sie müssen sich schließlich bewegen.“

Denef weiß, dass er mit dem Strand einen ganz besonderen Übungsort hat. „Es ist wirklich ein Paradies hier“, sagt er und schaut in den Himmel: „Wenn ich mal da oben ankomme und die haben nicht so etwas wie hier, dann haue ich gleich wieder ab.“

Erreichbar ist er in Scharbeutz, Telefon 04503/892782, sowie im Internet unter www.netzwerkb.org.

Christina Düvell-Veen

Quelle: Lübecker Nachrichten