netzwerkB Pressemitteilung 14.03.2012
Die Koalition im Bundestag will am 14. März 2013 zusammen mit den Oppositionsparteien, insbesondere den Grünen, ein Gesetz namens StORMG verabschieden.
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger bezeichnet das Gesetz in ihrer Pressemitteilung vom 13.03.2013 als einen „Durchbruch“ (Link: http://www.pressrelations.de
Norbert Denef, Sprecher des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt, kurz netzwerkB, erklärt hierzu:
Der Gesellschaft wird von der Bundesjustizministerin vorgegaukelt, man tue etwas. In dieser Reihe stehen auch die gescheiterte Studie der Bischofskonferenz zusammen mit Prof. Pfeiffer, drei Jahre Runder Tisch der Politik zusammen mit den Täterorganisationen und die unwürdig geringen Entschädigungen der römisch-katholischen Kirche an die Opfer in ihren Einrichtungen.
1.
Die Rahmenbedingungen für die Gerichtsverfahren mögen erleichtert worden sein, aber leider gilt diese Erleichterungen nur für Opfer bzw. Zeugen bei Prozessen im Strafrecht, aber nicht im Zivilrecht.
Im Strafrecht selbst hätten die Höchststrafen (also der mögliche Strafrahmen) für Kindesmissbrauch und schweren Kindesmissbrauch erhöht werden müssen, ebenso die Verjährungsfristen. In schweren Fällen von Kindesmissbrauch hätten die Verjährungsfristen sogar abgeschafft werden müssen, wie es in der Schweiz Anfang 2013 erfolgt ist.
Wirkliche Verbesserungen für das Verfahren im Zivilrecht können wir nicht erkennen. Im Zivilrecht sind die Opfer in der Beweispflicht, sie haben aber nicht die Möglichkeiten, wie sie die Staatsanwaltschaft für die Beweissicherung hat. Hier ist eine unterstützende Kommission mit Kompetenzen zu schaffen. Das fehlt bislang.
Ebenso ist die an anderer Stelle von der Bundesregierung geplante massive Beschneidung der Prozesskostenhilfe zynisch und menschenverachtend. Damit werden sozial schwächer gestellte Personen, darunter zu einem hohen Anteil Frauen, in der Wahrnehmung ihrer Rechte erheblich eingeschränkt.
Zu den notwendigen Reformen hätte auch die bereits von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries 2003 bereits vorgeschlagene und ausformulierte Anzeigepflicht gehört.
In vielen Häusern wären Aufklärungskommissionen, in denen sich auch gerne Politiker und Halbprominente sonnen, überflüssig gewesen, wären die Leitungen gesetzlich verpflichtet gewesen, ihnen bekannte Täter auch anzuzeigen.
Im familiären Bereich würde nach unserer Überzeugung eine Anzeigepflicht ein jahrelanges weiteres Leid für viele Betroffene vermeiden – auch wenn ein Verfahren eine enorm hohe Belastung darstellt, wie wir aus eigener Erfahrung auch wissen.
Auch Therapien helfen nicht überall und auch nicht vollständig, in vielen Fällen verbleibt auch trotz Therapie eine Schädigung für den weiteren Verlauf des Lebens, der in der Medizin als „Komplexes Postraumatisches Belastungssyndrom“ mit einer Reihe von einzelnen Krankheitserscheinungen beschrieben wird.
Deshalb muss die Intervention durch Polizei und Staatsanwaltschaft möglichst sofort erfolgen, um weitere Schäden, Manifestionen und Verschlimmerungen zu vermeiden.
2.
Die geleisteten Schadensersatzbeträge sind in Deutschland, zum Beispiel im Vergleich mit den Vereinigten Staaten, absurd gering. Sie kompensieren den erlittenen Schaden in der Regel, der sich bishin zu chronischen Erkrankungen und Berufsunfähigkeit erstrecken kann, eben überhaupt nicht.
Das Urteil aus Wuppertal 2013 in einem Entführungs- und Vergewaltigungsfall deutet an, dass die in Deutschland geübte Praxis sogar den Richtern selbst peinlich ist.
Hierüber verliert die Politik kein Wort.
3.
Der wesentlichste Punkt sind – mit gravierenden Folgen für die Grundrechte der Betroffenen in kommenden Jahrzehnte – erst einmal die Fristen selbst, damit die Opfer überhaupt die Möglichkeit von Gerechtigkeit und Schadensausgleich gesichert wird.
Zum Thema der Fristen wurde jedoch im Rechtsausschuss auch noch am Vortag zur geplanten Gesetzesverabschiedung mit gemischten Meinungen diskutiert. Dieses Vorgehen adressiert mehr die Öffentlichkeit als die Opfer.
Wir tragen nicht das von verschiedenen Seiten vorgebrachte Argument, bei längerer Zeit seien sexualisierte Gewalt nicht mehr erinnerbar und beweisbar, es drohe somit den Opfern bei einem strafrechtlichen Verfahren eine Enttäuschung, vor die man sie selbst schützen müsse. Gerade beim systematischen Missbrauch geht es oftmals um hundertfach wiederholte Taten. Es gibt Erinnerungen, Zeugenaussagen, in vielen Fällen sogar weitere Betroffene und oftmals Beweismittel wie Fotos, Filme oder Briefe, sogar Geständnisse der Täter selbst. Hier sollten keine Argumente erfunden werden, denn für das zivilrechtliche Verfahren gelten diese auch nicht.
In jedem Einzelfall entscheidet letztendlich der Richter aufgrund seiner Kompetenz selbst über die Wahrheit. Den Betroffenen und ihren juristischen Beiständen wird das eigene Urteilsvermögen, ob eine Klage Sinn macht, pauschal aberkannt, um es bei den zu kurzen Verjährungsfristen im Strafrecht belassen zu können. Das ist Täterschutz, nicht Rechtsfrieden.
4.
Die Justizministerin legt in ihrer Pressemitteilung vom 13.03.2013 dar:
„Bei den zivilrechtlichen Verjährungsfristen für Schadenersatzansprüche bewirkt das StORMG eine Verlängerung auf 30 Jahre. Diese Verlängerung gilt nicht nur für Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung, sondern auch für solche wegen vorsätzlicher Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit und der Freiheit. Dies ist eine bedeutsame Erweiterung im Gegensatz zu den Vorschlägen der Opposition, die eine Verlängerung nur für Ansprüche wegen Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung vorsehen.“
Diese Behauptung bedarf dringend einer juristischen Überprüfung.
Der § 199 Absatz 2 BGB lautet derzeit:
„Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, verjähren ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.“
Wir haben daher den dringenden Verdacht, dass die Justizministerin der Öffentlichkeit hier sogar einen Bären aufbindet, um dem Gesetz ein Gewicht zu geben, dass es überhaupt nicht hat.
5.
Zu den Fristen müssen wir feststellen: Die Folgen und Spätfolgen von Gewalt und anderen Gesundheitsschädigungen (zum Beispiel durch Giftstoffe, fahrlässige Medikamente, Infektionen durch verborgene Krankheitserreger oder mehr) dauern lebenslang und sind von Art und Umfang her nie im Voraus genau absehbar.
Deshalb darf es für die Einforderung des Schadensersatzes durch Gewalt und andere Schädigungen der Gesundheit überhaupt keine Fristen mehr geben.
Wenn die deutsche Politik nicht bereit ist, sich hier auf die Lebenswirklichkeit der Opfer und ihrer Angehörigen einzulassen, bleibt nur noch die Hoffnung auf eine Abschaffung der Fristen für vorsätzlich oder fahrlässig erlittener Gesundheitsschäden auf europäischer Ebene.
6.
Erkennbar ist für uns auch nicht, inwieweit die 30 Jahre Frist im zivilrechtlichen Bereich für die Opfer von sexualisierter Gewalt nunmehr auch rückwirkend gelten soll.
Wir gehen davon aus, dass es im Zivilrecht kein Rückwirkungsverbot gibt. Als ein Beispiel nennen wir hierzu § 137f UrhG, der am 1. Juli 1995 sogar bereits abgelaufene Urheberrechte wieder herstellte mit der Folge von nachträglich zu leistenden Nutzungsentgelten. Darum halten wir für unsere Forderung nach einer Rückwirkung nicht für unrealistisch.
Wir haben hier den Eindruck, dass sich die Politik auch hier auf die Seite der Täter stellt.
7.
Wir müssen auch noch mal feststellen: Eine wirkliche Beteiligung der Opfervertretungsorganisationen am Runden Tisch fand nicht statt.
Wir selbst wurden 2010 von der Bundesjustizministerin vor laufender Kamera an ihre Sekretärin verwiesen. Eine Vielzahl von Briefen mit einer Bitte um einen Sitz mit Antragsrech und Stimmrecht wurde vom Bundesjustizministerium nie beantwortet.
Wir hätten uns gerne nach bestem Wissen und Gewissen im direkten Dialog mit der Politik eingebracht. Stattdessen wurden die Opfer ausgegrenzt.
Aus unserer Sicht ist diese Gesetzesreform nach wie vor ein Täterschutz und nunmehr sogar ein Freispruch für die Täter. Alle wirklich maßgeblichen Reformansätze im Strafrecht und Zivilrecht fehlen.
Der einmalige Topf in Höhe von 50 Millionen Euro stellt ein konzeptloses Trostpflaster dar. So mögen anhand dieses Topfes von den gesetzlichen Krankenkassen nicht-anerkannte Therapien eventuell nun doch öffentlich finanziert werden. Wir teilen hier die Skepsis und Ablehnung der Bundesländer ausdrücklich.
Wir stellen fest: Die Opfer von sexualisierter Gewaltstehen stehen nach wie vor in großen Teilen ohne die notwendige Unterstützung und Gerechtigkeit da, weil der Bundespolitik der wirkliche Handlungswille fehlt.
Für weitere Fragen stehen wir gerne zur Verfügung – insbesondere reichen wir auch gerne weiterführende Verweise nach.
Für Journalisten-Rückfragen:
netzwerkB – Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt e.V.
Telefon: +49 (0)4503 892782
oder +49 (0)1631625091
Unterstützen Sie Betroffene!