taz.de 25.01.2011
Vor einem Jahr wurde der sexuelle Missbrauch von Schülern an Jesuiten-Gymnasien bekannt. Uwe Nötzel ist Richter bei Sexualstraftaten. Er kritisiert, dass die Missbrauchsdebatte undifferenziert geführt wird.
taz.de 25.01.2011
Vor einem Jahr wurde der sexuelle Missbrauch von Schülern an Jesuiten-Gymnasien bekannt. Uwe Nötzel ist Richter bei Sexualstraftaten. Er kritisiert, dass die Missbrauchsdebatte undifferenziert geführt wird.
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Zitate von Richter Uwe Nötzel:
„Da ist einiges in Gang geraten. Der Blick auf die katholische Kirche und pädagogische Einrichtungen hat sich verändert.“ – Nur der auf den Tatort Familie offensichtlich noch nicht.
„Das sind die Spielregeln: im Zweifel für den Angeklagten. Das sind die Errungenschaften des Rechtsstaats. Also lieber zehn Schuldige freisprechen als einen Unschuldigen verurteilen? Ich kenne keinen Kollegen, der dem widersprechen würde.“
– Also Leute: Lieber zehn Schuldige vergewaltigen weiterhin jahrelang Kinder (=Unschuldige), als dass ein „unschuldiger“ Täter in den Knast wandert. „Unschuldig“ in Anführungszeichen, weil er – „das sind die Errungenschaften des Rechtsstaats“ – auch deshalb als „unschuldig“ zu gelten hat, weil es keine ZeugInnen gibt und ihm die Straftaten nicht zweifelsfrei nachzuweisen sind.
„[Angeklagte] sind zum Teil sehr traurige Menschen, die ein Randdasein und ein Leben ohne Erfolge geführt haben. Ungeliebt und ausgestoßen. Manchmal verhandelt man tagelang, ohne den Angeklagten zu sehen: Er sitzt mit dem Kopf nach unten auf der Bank. Andere hingegen kommentieren verbal, mimisch und gestisch alles, was gesagt wird.“
– „Die große Linie ist, dass Angeklagte versuchen, Verständnis zu erwecken für eine doch hässliche Tat. Das ist menschlich.“
Es ist einfach schön, zu sehen, wie viel Verständnis und Mitgefühl den „armen Tätern“ im Gerichtssaal entgegen kommt. Als UNSCHULDIG Betroffene von jahrelanger sexualisierter Gewalt und anschließend bis heute struktureller Gewalt würde frau sich das auch für sich (und alle anderen Betroffenen) wünschen.
„Sexualtäter verschieben die Schuldanteile gern ein wenig auf die Opferseite. Etwa in der Art: „Das Kind hat sich immer zu mir auf die Couch gesetzt und wollte kuscheln. Dabei ist es dann aber nicht geblieben.“ Das ist keine seltene Verteidigungsstrategie. Es mag stimmen, dass es solche Situationen gab. Aber ein Erwachsener hat die Entscheidung zu treffen: Geht man darauf ein oder nicht.“
– „Es mag stimmen, dass es solche Situationen gab“. Was? Dass das Kind zum kuscheln kam und der Täter das sexualisierte oder dass das Kind sexuelle Kontakte wollte????? Ich vermute (freundlich wie ich bin), er meint ersteres – aber das ist aus seiner Aussage eben nicht deutlich zu verstehen. Und deshalb füttert sie wieder einmal die Mär der Pädosexuellen: Kinder, die Nähe suchen und kuscheln wollen, wollen eigentlich Sex.
„Das Wort Reue höre ich im Gerichtssaal sehr oft. Es ist schwer, das zu gewichten. Und nach 20 Jahren forensischer Erfahrung neigt man ein bisschen zur Skepsis.“
– Na, wenigstens das ist angekommen!
„Die Hintergründe und Motive sind ein ganz wichtiger Punkt. Viele Angeklagte sind intellektuell gar nicht in der Lage, sich zu erklären. Teilweise handelt es sich um Männer, die große Schwierigkeiten haben, unter erwachsenen Frauen eine Sexualpartnerin zu finden. Sie sind dann auf Kinder ausgewichen, um ihre Sexualität auszuleben.“
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– Viele Angeklagte sind nicht „intellektuell“ nicht in der Lage, ihr Vorgehen zu begründen – sie sind es schlicht sprachlich nicht!!! Es kommt NICHT NUR im Gerichtssaal vor, dass sich Männer zu Themen wie Sexualität, Gefühle, Gründe für ihr Ausrasten nicht oder nur spärlich („Ich weiß auch nicht…“) äußern!
Und wenn diese Emotionslegastheniker dann „unter erwachsenen Frauen keine Sexualpartnerin“ finden (auf die schließlich jeder Mann einen Anspruch hat!), dann „muss“ man(n) sich halt an die Kinder halten, „um seine Sexualität auszuleben“. Denn das ist offensichtlich in den Augen des Richters sein gutes Recht. „Sexualtrieb“ und so…
„Zu bedenken ist auch: Alle Statistiken sagen, dass die Zahl der Sexualdelikte seit Jahren zurückgeht.“
– Die Zahl der VOR GERICHT GELANDETEN, bzw. zur Anzeige gebrachten Sexualstraftaten mag rückläufig sein. Frau muss sich nicht fragen, warum!
Ach, es ist einfach traurig! Wenn ich solche Interviews lese, dann mag ich manchmal verzweifeln. Darüber, welche Macht männerzentriertes Denken hat, wie viel Altes (und Falsches) über Frauen und Kinder als Opfer von Männern in den Köpfen der Überzahl überlebt hat und weiter fröhliche Urständ feiert, und wie wenig moderne Erkenntnisse aus der Sexualgewalt- und Traumaforschung ihren Weg in dieselben Hirne finden. Manchmal habe ich das Gefühl, es sind einfach zu viele Mauern, gegen die wir anrennen müssen. Und die geschickteste und gleichzeitig perfideste Strategie ist, uns für gaga (nicht ganz zurechnungsfähig+behandlungsbedüftig) zu erklären.