2. Wie kam es zu diesem Aufarbeitungsvorhaben:
Im Jahr 2020 hat sich der Betroffenenverein NetzwerkBplus an die
Gemeinderatsfraktionen und den Oberbürgermeister der LHS Stuttgart
mit einem Schreiben gewendet, in dem massive Vorwürfe gegen einen
ehemaligen Heimleiter des Städtischen Jungenheims erhoben wurden:
Er habe über Jahre hinweg männliche Jugendliche systematisch sexuell
missbraucht; dafür gebe es Zeugen, die sich an den Verein gewendet
haben. Gefordert wurde eine Aufarbeitung bzw. eine Stellungnahme.
Dieses Schreiben wurde an die Jugendamtsleiterin weiter gegeben mit
der Bitte um Stellungnahme und den Auftrag, sich darum zu kümmern.
Zu diesem Zeitpunkt war Frau Dr. Heynen seit knapp vier Jahren
Amtsleiterin, sie kannte weder die Zusammenhänge noch die genannten
Namen oder den historischen Kontext. Sie hat sich an mich als
Dienstältesten und für die genannte Einrichtung zuständigen
Abteilungsleiter gewandt mit der Bitte um Aufklärung und Unterstützung.
Wir haben die Verantwortlichen des NetzwerkBplus zu einem Gespräch
in´s Jugendamt eingeladen, um Näheres über die Vorwürfe zu erfahren
und die möglichen und notwendigen nächsten Schritte gemeinsam zu
besprechen. Die Zeit bis zu dem vereinbarten Gespräch haben wir
genutzt, um so viel wie möglich nach Unterlagen und nach dem
genannten Namen des angeblichen ehemaligen Heimleiters, der auch
mir bis dato völlig unbekannt war, zu forschen.
Allerdings sind wir dazu kaum fündig geworden, einen Heimleiter des
genannten Namens gab es nicht.
Es folgte das ca. zweistündige Gespräch an einem
Freitagnachmittag unter den strengen Abstandregeln der Corona-Zeit im
Jugendamt. Die zunächst ziemlich eisige, distanzierte
Gesprächsatmosphäre wurde zunehmend konstruktiver und freundlicher
als deutlich wurde, dass wir die Vorwürfe ernst nehmen, die Möglichkeit
des sexuellen Gewaltgeschehens nicht abstreiten und versichert haben,
dass wir den Vorwürfen weiter nachgehen wollen und uns um Aufklärung
bemühen.
Vereinbart wurde, dass die Vertreter des NetzwerksBplus
versuchen, ihre Hinweisgeber bzw. die Betroffenen zu einem Gespräch
mit uns zu bewegen und wir weitere Nachforschungen anstellen und die
Vorwürfe sehr ernst nehmen.
Leider kam es dann nicht zu dem geplanten nächsten Gesprächstermin.
Uns hat die Sache aber keine Ruhe gelassen, wir haben beschlossen, in
verschiedene Richtungen weiter zu recherchieren und ein
Aufarbeitungsprojekt zu starten.
An dieser Stelle kam mir auch zum ersten Mal der Name Helmut Werner
Kamenzin in den Sinn, denn nach allem, was mir bekannt war, konnten
die erhobenen Vorwürfe der sexuellen Gewalt im Zusammenhang mit
dem ehemaligen Jungenheim am ehesten auf Kamenzin zutreffen.
Warum ich diese Assoziation hatte, ohne Kamenzin persönlich gekannt
zu haben, lässt sich aus den Ausführungen des Aufarbeitungsberichts
zum „Mythos Kamenzin im Jugendamt Stuttgart“ nachvollziehen.