DETAILKRITIK AN GESETZENTWURF ZUM THEMA KINDESMISSBRAUCH

Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur „Stärkung
der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“
(20/13183 [2]) hat in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Montag, 4. November 2024, viel
grundsätzliche Zustimmung gefunden. Im Detail gab es aber auch Kritik
und Verbesserungsvorschläge.

Hauptbestandteil des Gesetzentwurfes ist die gesetzliche Verankerung der
bestehenden Einrichtung der oder des Unabhängigen Bundesbeauftragten
gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (Unabhängige
Bundesbeauftragte). Zudem ist eine Berichtspflicht für die Unabhängige
Bundesbeauftragte zum Ausmaß sexueller Gewalt gegen Kinder und
Jugendliche vorgesehen. Um Betroffene wirksam und verlässlich bei
individuellen Aufarbeitungsprozessen zu unterstützen, will der Bund ein
Beratungssystem bereitstellen. Es soll ein Beratungsservice finanziert
werden, der geeignet ist, die individuelle Aufarbeitung zu fördern und
damit die Lebenssituation von Betroffenen zu verbessern. Die
Verbindlichkeit des staatlichen Auftrags zur allgemeinen Aufklärung,
Sensibilisierung und Qualifizierung soll durch einen gesetzlichen
Auftrag an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
konkretisiert werden, heißt es im Entwurf.

Die Unabhängige Beauftragte Kerstin Claus sprach anlässlich der
Anhörung von einem Meilenstein. Elementar sei die regelmäßige
Berichtspflicht gegenüber Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung.
Damit werde es möglich, Lücken im Beratungs- und Hilfesystem zu
adressieren.

Die Präsidentin des Kinderschutzbundes, Sabine Andresen, forderte wie
auch mehrere weitere Sachverständige, zur Erreichung der Ziele des
Gesetzentwurfs „die finanziellen und personellen Ressourcen zu
stärken“. Das sei bisher nicht in ausreichendem Maße vorgesehen. Die
kommunalen Spitzenverbände wiesen in einer schriftlichen Stellungnahme
darauf hin, dass etwa durch das erweiterte Recht der von Missbrauch
Betroffenen auf Akteneinsicht bei den Jugendämtern ein Mehraufwand
entstehe, für den der Gesetzentwurf keinen finanziellen Ausgleich
vorsehe.

Als „verstörend“ bezeichnete der Vorsitzende des Vereins
„gegen-missbrauch“, Ingo Fock, die „Begleitdiskussion aus
ökonomischen Gründen“. Die Nicht-Aufarbeitung von Missbrauch führe
sehr oft dazu, dass Traumatisierte auf Sozialleistungen angewiesen
seien. Fock forderte insbesondere, die Fachberatungsstellen finanziell
besser auszustatten. Silke Noack von der Nationalen Informations- und
Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend wies
auf die Notwendigkeit einer guten Erreichbarkeit von Beratungsangeboten
für Betroffene hin, um die Zugangsschwelle niedrig zu halten. Es gebe
viel zu wenig Fachberatungsstellen und diese seien damit oft zu weit
entfernt. Auch Angela Marquardt, Mitglied des Betroffenenrates bei der
Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs,
kritisierte eine unzureichende finanzielle Unterlegung des
Gesetzentwurfs. „Kostenneutral wird das nicht gehen“, erklärte sie
im Blick auf die erweiterten Aufgaben, „Sie können nicht all die
Dinge im Ehrenamt leisten“.

Mehrere Sachverständige kritisierten, dass der Bereich, für den ein
Recht auf Akteneinsicht geschaffen werden soll, zu eng gefasst ist. So
seien zum Beispiel Unterlagen aus Kinderschutzverfahren der
Akteneinsicht entzogen, bemängelte Karin Böllert, Vorsitzende der
Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe. Franziska Drohsel,
Rechtsreferentin der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung
gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend als Vertretung von
rund 360 Beratungsstellen, forderte die Aufnahme eines
Zeugnisverweigerungsrechts für Betroffene von Missbrauch in
Strafverfahren. Dies würde es vielen erleichtern, eine Beratung
aufzusuchen und über das Erlebte zu sprechen.

Der Kinder- und Jugendpsychiater Jörg M. Fegert, der 2010 von der
ersten Unabhängigen Beauftragten mit der Begleitforschung beauftragt
worden war, forderte eine Berichtspflicht der Unabhängigen Beauftragten
nicht nur einmal pro Legislaturperiode, sondern jährlich oder
mindestens alle zwei Jahre. Letzteres kristallisierte sich im Verlauf
der Anhörung als Konsens heraus.

Mehrere Sachverständige bemängelten so wie der Generalsekretär und
Geschäftsführer des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Marc
Frings, die vorgesehene Altersgrenze von 50 Jahren für das Recht auf
Akteneinsicht. Sehr oft komme das Bedürfnis oder die Bereitschaft zur
Aufarbeitung der Jugenderlebnisse erst im höheren Alter. Mehrfach
kritisiert wurde auch der Geltungsbereich des geplanten Gesetzes, der
sich im Wesentlichen auf staatliche und staatlich geförderte
Einrichtungen der Jugendhilfe erstreckt. Der Psychologe Heinz Kindler
vom Deutschen Jugendinstitut erinnerte an das „sehr viel
weitergehende“ Schutzkonzept des 2010 einberufenen Runden Tischs
Sexueller Kindesmissbrauch, das alle Angebote für Minderjährige bis
hin zu Jugendreisen und Musikschulen umfasse.

David Knöß, Ressortleiter Gesellschaftspolitik bei der Deutschen
Sportjugend, wies auf das geplante Zentrum für Safe Sport hin, das das
Bundesinnenministerium im nächsten Jahr aufbauen wolle. Die
Abgeordneten sollten darauf achten, dass hier keine Doppelstrukturen
geschaffen werden.

Einhellig war in der Anhörung der Wunsch nach einer zügigen
Weiterberatung und Verabschiedung des Gesetzentwurfs. Viele
Sachverständige zeigten dafür die Bereitschaft, ihre weitergehenden
Vorschläge auf die nächste Legislaturperiode zu vertagen.

Das Video zur Anhörung und die Stellungnahmen der Sachverständigen
auf:
https://www.bundestag.de/ausschuesse/a13_familie/Anhoerungen/1025656-1025656