Delitzschs Pfarrer Michael Poschlod spricht im Interview über den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche und die Schwierigkeit, öffentlich darüber zu reden.
Delitzsch Auf seinem Internetauftritt schreibt das Bistum Magdeburg, dass nach den schockierenden Befunden der Studie zum sexuellen Missbrauch durch Geistliche katholische Bischöfe erste konkrete Maßnahmen beschlossen haben, um Missbrauch und Vertuschung aufzuarbeiten und zu verhindern. Der Delitzscher Pfarrer Michael Poschlod erklärt, was das für die katholische Pfarrei „St. Klara“ in Delitzsch bedeuten kann.
Pfarrer Poschlod, nachdem auf der Bischofskonferenz in Fulda Ende September eine Erklärung zu den Ergebnissen der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige“ abgegeben und ein Maßnahmenpaket beschlossen wurde: Was heißt das für Delitzsch?
Die Verfahrensweise in der Katholischen Kirche ist erst einmal so, dass Ergebnisse der Bischofskonferenz in den jeweiligen Bistümern angenommen und konkretisiert werden. Wir müssen also nach Magdeburg schauen, was unser Bischof dazu sagt. Außerdem können wir in Delitzsch viele der in Fulda beschlossenen Punkte gar nicht umsetzen. Wenn beispielsweise Personalakten vereinheitlicht werden sollen, dann ist das Sache der Bistumsleitungen. Oder wenn es um neue Akzente in der Priesterausbildung geht, ist das auch nicht unser Geschäft vor Ort.
Einer dieser Punkte beinhaltet die Einrichtung externer, unabhängiger Anlaufstellen. Können Sie jetzt schon sagen, wo es eine solche geben wird – eventuell in Delitzsch?
Es gibt bereits seit 2010 eine in der Nähe – in Wittenberg. Dort ist der unabhängige Missbrauchsbeauftragte Dr. Nikolaus Särchen tätig. Zudem gibt es auf der Bistumsseite im Internet einen großen Button, der zu einer Hotline und einem Online-Hilfsangebot führt. Vorab: Zahlen sind zum Einordnen da, nicht um zu entschuldigen. Doch wir müssen auch auf dem Teppich bleiben. Bei 3677 bekannten sexuellen Übergriffen in 68 Jahren ergeben sich, auf alle 27 deutsche Bistümer heruntergerechnet, maximal zwei Fälle pro Jahr auf das Bistum Magdeburg. Eine Anlaufstelle in Delitzsch wäre also nicht verhältnismäßig. Die Dunkelziffer liegt freilich deutlich höher – sowohl in den Kirchen wie in der gesamten Gesellschaft. Aber diese Betroffenen melden sich ja nicht.
Wie könnten die nicht bekannten Fälle an die Öffentlichkeit kommen?
Es ist ein hochkomplexes Thema. Sie wollen mit mir über etwas öffentlich reden, was nicht öffentlich gemacht wird. Das ist ein Problem. Viele Betroffene haben Angst und schrecken davor zurück. Sie wollen zum Beispiel nicht, dass es negativ auf ihre Familie zurückfällt. Die Angehörigen wiederum wenden sich in vielen Fällen von den Betroffenen ab – glauben ihnen nicht. Familien zerbrechen daran. Die meisten melden sich erst, nachdem ein größerer Fall bekannt geworden ist. Dann ist es aber meist zu spät. Sie sind traumatisiert, und der Täter mitunter gestorben.
Wie könnte dem entgegengewirkt werden?
Noch einmal zur Einordnung: Die Katholische Kirche hat das Thema nicht für sich gepachtet. Auch wenn wir sicher keine Waisenknaben sind: Missbrauch gibt es überall, ist leider ein Massenphänomen. Wenn wir uns jetzt in unserer Kirche verstärkt dieses Themas annehmen, dann könnte das auch Auswirkungen auf Schulen, Sportvereine, Familien haben. Das mag jetzt für manchen wie ein Ablenkungsmanöver wirken – aber die Zahlen sind dramatisch.
Wie fühlt man sich als Katholik mit all den Nachrichten über Kindesmissbrauch in der Katholischen Kirche, für die Sie nichts können?
Es ist mir peinlich, dass es das gibt, denn Kirche will und soll ja mit gutem Beispiel vorangehen.
Spüren Sie Auswirkungen in der Region um Delizsch? Gibt es einen Vertrauensverlust?
Nein, heute nicht mehr so stark. Als 2010 die ersten Missbrauchsfälle bekannt geworden sind, hatte ich schon das Gefühl, dass die Leute auf der Straße anders schauen, wenn ich als Priester erkennbar war. Darauf angesprochen wurde ich aber nie. Einem Kollegen in einer anderen Stadt haben aber kürzlich Eltern verboten, seine morgendliche Spazierrunde, die an einem Kindergarten vorbeiging, weiter zu gehen. Weil er regelrecht bedroht wurde, musste er sie dann ändern.
In Delitzsch gab es in den 1960er-Jahren einen Missbrauchsfall. Der Name Norbert Denef wird vielen hier etwas sagen. Was hat die Katholische Kirche in Delitzsch daraus gelernt, was wurde danach unternommen?
Das ist ein sehr komplizierter Fall. Herr Denef hat lange nicht darüber geredet. Der Täter, der damalige Vikar Alfons Kamphusmann, ist seit 20 Jahren tot; der Missbrauch nach derzeitigem Recht verjährt. Die Kirche hat sich sicher schuldig gemacht, weil dieser und weitere Fälle von Übergriffigkeit vertuscht wurden. Aber es ist schwierig, fast 60 Jahre später das aufarbeiten zu wollen. Wir sollten lieber nach vorne schauen und vorbeugen.
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„Wenn wir uns jetzt in unserer Kirche verstärkt dieses Themas annehmen, dann könnte das auch Auswirkungen auf Schulen, Sportvereine, Familien haben. Das mag jetzt für manchen wie ein Ablenkungsmanöver wirken …“ Genau so wirkt es, darüber hinaus, hat Herr Pfarrer Poschlod die Kinderheime vergessen zu erwähnen!
… offen gelegter, weil gar nicht komplizierter, gar nicht mehr schwieriger Fall – ein Fall, der jedem Gemeindepfarrer peinlich sein muss.
Betroffene stoßen Wahrheit und Klarheit an, weil ’s jedem anderen zu peinlich ist.
Nach vorne schauen und vorbeugen kommt zur Aufarbeitung – sonst wär ’s nur ’ne Halbwahrheit!!