regenbogenWir brauchen nicht mehr Wissen, wir brauchen mehr politischen Willen zu gelebter Menschlichkeit und Empathie

Ein Kommentar von Dr. Marcella Becker

(in Bezug auf die vielen Kommentare zur PM vom 14.09.2016 zum Schulprojekt des Missbrauchsbeauftragten und des Kommentars zur neuerlichen Umfrage durch den UBSKM vom 07.08.2016)

Es geht hier nicht darum wissenschaftliches Arbeiten durch die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs zu diskreditieren. Aber: posttraumatische Belastungen und deren Einfluss auf praktisch alle Aspekte des Lebens von Betroffenen sind mittlerweile recht klar dargelegt und werden mindestens seit den 80er Jahren auch in Bezug auf Menschen mit Erfahrungen sexualisierter Gewalt erforscht. (siehe u.a. Wirtz 1989, Herman 1992, alles von Alice Miller und viele mehr)  Die vielen ACE (adverse childhood effect) Studien machen auch deutlich wie weitverbreitet Gewalt gegen Kinder ist.

Auch ist seit dem Aufbrechen des Themas in der deutschen Gesellschaft (der sogenannte Tsunami ist jetzt schon 6 Jahre her!) klar, wie sehr Familien und Institutionen auch in Deutschland mit sexualisierter Gewalt infiltriert sind. (Was mit der deutschen Vergangenheit von extremer Gewalt, sprich ‚totalem Krieg‘ nun auch wirklich keine Überraschung ist.)

Auch die Nöte von Betroffenen in finanzieller aber auch in persönlicher d.h. emotionaler und sozialpsychologischer Hinsicht sollten – wenn man denn zuhört – hinreichend klar sein.  Gesellschaftliche Anerkennung und nachhaltige Aufarbeitung, die eine bessere Basis für eine sichere Kindheit der jetzigen und kommenden Generationen bieten, können nur herbeigeführt werden durch entsprechende Änderungen der Gesetze. Nur dadurch kann diese Gesellschaft von einem System des Täterschutzes hin zu Opferschutz bewegt werden. Dies ist schon lange der Forderungskatalog, wie er gerade auch von netzwerkB aufgestellt und vertreten wird.

Wenn die Politik wirklich etwas ändern wollte, hätte sie das Thema schon längst zur Chefsache gemacht, und Gesetzesänderungen und Aufarbeitung und echte Entschädigung und Hilfe zu einem menschenwürdigen Leben für die, die es brauchen, in die Wege geleitet.

Mit Verlaub: die Einrichtung des UBSKM zeigt nicht an, dass es der Politik wirklich dringlich ist, den Betroffenen von Gewalt in der Kindheit eine Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen und die Gesetzeslage deutlich zugunsten von Opfern zu verändern.

Der UBSKM ist ein Holzweg, der gute Dienste leistet, die Betroffenen ruhig zu halten.  Die Stelle wurde mit einem Untersekretär besetzt, ohne echte politische Kompetenzen und Zugang zu wichtigen politischen Stellen. Herr Röhrig selbst hat schon seinem Unmut darüber Luft gemacht.

Es wird nur immer übers Reden geredet – als ob wir Betroffene nur – immer wieder! – unsere Geschichten‘ erzählen wollten.

Ein weiteres Forschungsgremium ist dann die nächste Runde dieses Redens.

Die Betroffenen werden weiterhin in der Position des Bittstellers festzementiert- die sich beim Fond um Almosen bemühen, die an Umfragen teilnehmen, und dann eventuell von Forschungsgremien ‚angehört‘ werden.

Wer ist hier oben, wer ist hier unten?

Herr Röhrig behält den Posten bis nach den nächsten Wahlen zum Bundestag inne und so bleibt das Thema schön aus dem politischen Fokus auch des Wahlkampfes heraus. Die Öffentlichkeit – die sich auch nicht tiefer mit der Problematik beschäftigen möchte denkt, dass das Thema jetzt versorgt ist. Opfer haben keine gute Lobby: Es gibt so viele Opfer in der Gesellschaft und mit jedem einzelnen Opfer nicht nur die Täter, sondern auch die Mitwisser, die ihrerseits oft Opfer sind bzw. waren, dass Verdrängungsmechanismen entsprechend weit verbreitet sind. Und so schließt sich der Kreis.

Diese ganzen Konstrukte um den UBSKM herum sind eine Form von struktureller Gewalt – was sich z.B. auch in der Wortwahl ausdrückt: die Betroffenen sollen ‚angehört‘ werden, die Einrichtung eines ‚Hilfs’fonds wird gelobt, Betroffene ‚dürfen‘ beim UBSKM mitwirken. Ja, ein Betroffenenrat wurde zwar eingerichtet – aber es wurde ganz dezidiert bei der Auswahl der Mitglieder des Betroffenenrats darauf abgezielt, keine Vertreter von Betroffenenorganisationen einzustellen, (d.h. Repräsentation zu schaffen) sondern Betroffene (selbst wenn sie einer Organisation angehören) nur als Individuen auftreten zu lassen, die damit aber auch kein Mandat haben, um für andere zu sprechen.

So lange wie wir Betroffene uns mit Almosen abspeisen lassen und uns in der Opferrolle als Bittsteller einrichten, und dann auch noch dankbar dafür sind, dass wir in Berlin auch einmal etwas sagen dürfen, (was dann ungehört verhallt) wird sich auch politisch nichts ändern.

In diesen Kommentarseiten wird immer wieder einmal darüber berichtet, dass es einzelne Menschen gibt, die Betroffenen in ihrer Not einfach helfen.

Es ist jedoch ein Generalversagen des Staates und eine (bewusste) Verschleppung des Themas, wenn von Seiten der Politik nichts getan wird, um Betroffenen mit besseren staatlichen und gesetzlichen Strukturen zu helfen. Und dabei hat der Staat genügend Mitmacher: von Seiten der Verwaltung, der Wissenschaft, der Kirchen, und anderen Institutionen und eben auch viele Betroffene, die meinen, sie bewegen was und die doch nur wieder benutzt werden für andere Interessen.