Leseprobe:
Die allermeisten Menschen hegen tausend und tausend Dinge in sich, welche niemals an die helle Oberfläche kommen, welche unten faulen und sich quälen. Darum, weil sie faulen und Qual machen, werden diese Dinge vom Bewußtsein immer und immer wieder zurückgewiesen, sie stehen unter Verdacht und werden gefürchtet. Dies ist der Sinn jeder Moral – was als schädlich erkannt ist, darf nicht nach oben kommen! Es ist aber nichts schädlich und nichts nützlich, alles ist gut, oder alles ist indifferent. Jeder einzelne trägt Dinge in sich, die ihm angehören, die ihm gut und zu eigen sind, die aber nicht nach oben kommen dürfen. Kämen sie nach oben, sagt die Moral, so gäbe es ein Unglück. Es gäbe aber vielleicht gerade ein Glück! Darum soll alles nach oben kommen, und der Mensch, der sich einer Moral unterwirft, verarmt.
Das, was ich in den letzten Jahren erlebt habe, erscheint mir im Bild dieses Gleichnisses so, als sei ich ein See gewesen, dessen Tiefenschicht abgeschlossen lag, woraus Qual und Todesnähe entstand. Nun aber fließt wieder Oben und Unten reger ineinander, vielleicht noch mangelhaft, vielleicht noch lange nicht rege genug – aber immerhin, es fließt.
Passend zur gegenwärtigen Zeit, in bestimmten Situationen, auch:
Im Nebel
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den anderen,
Jeder ist allein.
Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.
Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allem ihn trennt.
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.
(Hermann Hesse)
Danke für die Hessetexte, hier besonders für das Nebelbild, das ich etwa so selbst einmal erlebte.
Wie wahr Worte von H. Hesse werden können weiß, wer sich vom „reger-in-einander-Fließen“ einmal hat mitnehmen oder berauschen lassen, dankbar und still wurde.
Die Bilder unserer Seele demonstrieren uns, wie wir diese wunderlichen „Wirklichkeiten“ einordnen und verstehen können – was sich aber anderen Menschen nicht unbedingt genau so erschließen wird.
Jeder Mensch ist anders, auch in seiner Wahrnehmung.
Wo ein Mensch einen Mitmenschen ermutigt ein eigener Mensch zu werden, kann ‚es wieder fließen‘, auch zwischen Oben und Unten.
Wo äußere Instanzen das intensive innere Erleben unter Verdacht stellen, verbietet Moral dem Menschen Freiheit und eigenes Sein.
Nichts empfand ich heilsamer als mich von solch veräußerlichter Instanz zu distanzieren, meine inneren Bilder auf mich wirken und mich auf ihre Bedeutung für mich(!) ein zu lassen.
Was Religion „Offenbarung“ nennt, vernebelt oft unseren Menschen-Verstand. Es „fault“ vor sich hin, entfernt uns von unserer Urteilsfähigkeit und „quält“ uns und alle Beteiligten bis zum Tag der Befreiung.
Martin Urbahn empört sich als Physiker und sieht sehr klar, Unbildung [sei] sozusagen im Vormarsch. http://www.deutschlandfunk.de/protestantischer-fundamentalismus-die-kirchen-haben-angst.886.de.html?dram:article_id=350365 – er empfiehlt: „… diese Diskussion muss geführt werden. … aber sie muss öffentlich werden. Und das vermeidet die EKD jetzt insbesondere unter ihrem neuen Vorsitzenden.“ Sein neues Buch „Ach Gott, die Kirche“ versteht er – kurz vor dem Reformationsjubiläum – als Weckruf.
Teil 2:http://www.deutschlandfunk.de/protestantischer-fundamentalismus-jesus-war-eben-auch-nur.886.de.html?dram:article_id=350457 … ein Mensch.
Christlichen Fundamentalismus ernst nehmen!