netzwerkB Pressemitteilung vom 18. März 2016

Bundeskabinett beschließt Verschärfung des Sexualstrafrechts und bleibt dabei doch übermäßig mild.

Ein paar kleine Schritte mögen das sein, die das Bundeskabinett da gegangen ist und was es eine „Verschärfung des Sexualstrafrechts“ nennt. Doch klingt es eher wie ein Werbeslogan, denn in der Realität wurde nur sehr wenig dessen, was mit sexuellen Gewalttaten zu tun hat, mit Aufmerksamkeit bedacht und ins Visier genommen.

Frauen sollen es etwas leichter haben, ein paar Arten sexuell übergriffigen Verhaltens als Straftat anerkannt zu bekommen. Der § 177 StGB wurde leicht geändert, als mehr kann man das nicht bezeichnen.

Der letztendliche Auslöser für diesen Schritt zur Änderung des Strafrechts dürfte der medienwirksame Skandal in der Silvesternacht in Köln gewesen sein, denn von allen Opfern sexueller Straftaten wurde bei der Begründung zur Gesetzesänderung nicht ausgegangen. Die Rede ist tatsächlich lediglich von „meistens Frauen“ (Heiko Maas).

Mehr war es nicht für dieses Mal! Keine weiteren Verschärfungen des Strafrechts bei sexueller Gewalt und Ausbeutung von Kindern. Wir fragen, warum nicht?

Auch keine Aufmerksamkeit auf Männer, die Opfer derselben Straftaten werden. Wir fragen, warum nicht?

Sind Frauen andere Opfer als Männer? Und Kinder nochmal andere Opfer? Und das möge dann auch sogar juristisch unterschieden werden. Warum das?

Von den Verjährungsfristen war am Ende gar nicht gesprochen worden. Keine Aufhebung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen für Delikte, die zu lebenslangen Gesundheitsschäden führen können – und es oftmals tun. In anderen Ländern gibt es das (Schweiz). Warum nicht hier? Eine rückwirkende Verlängerung der Verjährungsfristen auf 30 Jahre – zumindest dies – lässt das Zivilrecht ohne weiteres zu.

Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht hätte viel weitergehend hergestellt werden können. Anstatt einige Situationen aufzuzählen und juristisch zu beschreiben, hätte man das schlichte „Nein“ eines Menschen – „Nein“ zu einer sexuellen Handlung, in Wort, Gestik oder z.B. durch Weinen zum Ausdruck gebracht – als Ausgangs- und Mittelpunkt zur Strafbarkeit machen können. In anderen Ländern ist dies so erklärt worden (Belgien, Großbritannien, Österreich). Warum nicht in Deutschland?

Und so wurde auch nichts geändert hinsichtlich einer Anzeigenpflicht für Zeugen, Vorgesetzte u.a., die von solchen Taten Kenntnis haben. Obwohl das in Deutschland auch schon vorgeschlagen wurde (Brigitte Zypries). Ebenso eine Meldepflicht solcher Taten im Bereich des Gesundheitswesens gegenüber den Krankenkassen (das wurde in der letzten Legislaturperiode sogar abgeschafft).

Wir fragen, was ist in Deutschland so schwer daran, solche Veränderungen einzuleiten und zu vollziehen?

Letztlich also wurde der § 177 StGB leicht geändert. Verschärft dagegen wurde die Lage der schon zum Opfer Gewordenen, denn es wird von Verschärfung des Strafgesetzes ihre Angelegenheiten betreffend geredet, doch die allermeisten sind gar nicht mal gemeint, sondern werden nur benutzt für eine gutklingende politische Aussage, denn es wird gesagt, jetzt sei was besser geworden. Sie sind aber doch wieder im Stich gelassen.

Gefährlich bleibt die Lage aller Kinder, die in prekären Situationen aufwachsen, ob im eigenen Zuhause, im fremden Zuhause, in Obhut, die doch keine ist und denen innerhalb von Institutionen wie Schule, Kindertagesstätte, Sport- und Gesangsverein kein höherer Schutz geschaffen noch zuerkannt wurde. Wir fragen, warum nicht?

Keinesfalls verschärft hat sich die Lage vieler Sexualstraftäter, und überhaupt nicht die Lage jener, die ihre Gewalt gegenüber Kindern ausleben. In ihre wohl zumeist unbewusste Triebstrukturen ist kein juristisch wirksamer Satz vorgedrungen, um zumindest allen anderen ein Stück dessen ins Bewusstsein zu hieven, was Triebtäterschaft ausmacht, welche Bedingungen ihr entgegenkommen und welche sie bevorzugt und selbst erzeugt und schließlich, wie sie vollzogen wird. Für jene triebtäterisch organisierten Menschen ist diese „Verschärfung des Sexualstrafrechts“ ein weiterer stiller Triumph, denn sie bleiben unbehelligt und doch wird anderes verkündet, und auch noch großspurig.

Insofern ist diese Kabinettsentscheidung eine fatale Fanfare, weil ein Signal an die andere Seite des Bewusstseins – beim einen eine niederschmetternde, möglicherweise retraumatisierend wirkende, beim anderen eine erhebende, ja, einladende. Erlaubnis weiterhin erteilt in Deutschland!

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