Positionspapier Stand 09.10.2015 (als PDF herunter laden)

Im folgenden Text wird ausgelotet was denn der ‘Akt der Versöhnung’ für uns – netzwerkB – und unsere Gesellschaft bedeuten könnte.

Im Wust der Forderungen an Betroffene, oder von Betroffenen an die Gesellschaft, haben sich begriffliche Ungenauigkeiten eingeschlichen, die deshalb geklärt werden sollten. Es wird danach auf historische und gesellschaftliche Beispiele von ähnlichen Unterfangen verwiesen. Die Notwendigkeit einer Versöhnung wird dargestellt zusammen mit möglichen Wegen, die dann beschritten werden können und warum es für dieses historische Unterfangen notwendig ist, eine Stiftung ‚Akt der Versöhnung‘ ins Leben zu rufen und nachhaltig mit Ressourcen auszustatten.

Begriffsbestimmung

Betroffene sexualisierter Gewalt leben mit einer extremen Herausforderung ein Leben lang. Frustration, Enttäuschung, Entfremdung von der Gesellschaft, Misstrauen, auch Wut, Hass und Bitterkeit, und das Erlebnis der Ausgrenzung gilt es zu verarbeiten. Die Schäden sind prägend fürs Leben, mit ihnen zu leben ist ein täglicher Auftrag.

Artikulieren die Betroffenen ihre Gefühle wird ihnen oft entgegengeschleudert, sie müssten nur vergeben lernen. (s. auch das netzwerkB Positionspapier Mythos der Vergebung). Gerade im sogenannten christlichen Kulturbereich wird das Diktum der ‚Vergebung‘ als eine Grundlage für die eigene Heilung gerne bemüht.

Aber auch im katholischen Kontext muss der Sünder/Täter mitwirken um Vergebung zu erreichen, durch Eingeständnis der Tat, Buße, und Besserung.

Wird vom Opfer eine einseitige Vergebung verlangt – wie dies häufig in der Gesellschaft allgemein, und oft auch im therapeutischen Umfeld geschieht– ohne Eingeständnis durch die Täterseite, Anerkennung der Schwere der Auswirkungen auf das Leben der Opfer und Ausgleich – ist eine weitere schwere Verletzung der Integrität des Opfers.

Wir haben uns auf den Begriff ‚Versöhnung‘ eingelassen, da dies ein Begriff ist, der nicht notwendigerweise mit dem christlichen Denken verknüpft ist, sondern kultur- und religionsübergreifend als wichtig erachtet wird.

In den verschiedensten Kulturkreisen hat der Begriff Versöhnung eine zentrale Bedeutung. Ging es im Christentum und im Judentum noch um eine Aussöhnung mit dem Ewigen durch eine Aussöhnung untereinander, so ist sie in schamanischen Traditionen eine geistige Reinigung, ein Lösen des Problems unter Mitwirkung aller Beteiligten. Im politischen Bereich fand der Begriff seine Anwendung in der Konfliktlösung bzw. Vergangenheitsbewältigung mit dem Anliegen eines Aufdeckens der Wahrheit, meist in sehr tiefgreifenden politischen und sozialen Konflikten, die die Gesellschaft auseinanderriss und eine positive gesellschaftliche Entwicklung nicht mehr zuließ. (Beispiele s.u.)

Für uns und unseren Akt der Versöhnung beziehen wir uns auf ein ethisch-moralisch fundiertes Konzept – unabhängig von religiösen oder rechtsstaatlichen Grundsätzen.

Anwendungsbereich

Es gibt zahlreiche historische Vorbilder für Wahrheits- und Versöhnungsprozesse. Kommissionen bestehend aus Mediatoren bemühen sich um Konfliktlösung in gesellschaftlichen/politischen/historischen Situationen für die es eigentlich keine Lösung geben kann.

Hier geht es um Situationen, bei denen sich das Ausmaß der Verbrechen juristischen Kategorien entzieht, da sie nicht die Tiefe der Verletzungen und Zerstörung von menschlichen Leben abbilden können. Es gibt nicht wirklich die Möglichkeit eines Rechtsfriedens, wenn Leben (auch die von noch Lebenden) zerstört worden sind.

Als Beispiele für diese Art Wahrheits- und Versöhnungskommissionen seien hier genannt: Südafrika – als Vorreiter dieses Verfahrens und die Bewältigung der vielen Schichten von Gewalt (weiß gegen schwarz, schwarz gegen weiß, schwarz untereinander, etc.) und andere Länder wie z.B. Chile, El Salvador, Guatemala, die Konflikte bzw. Phasen von Gewalt verarbeiten müssen, in denen viele Fronten gegeneinander mit ungeheuerlicher Brutalität kämpften.

Warum Versöhnung notwendig ist

Versöhnung kann einen Weg zur Konfliktlösung einschlagen in Situationen wo es eine solche eigentlich gar nicht geben kann. Aber: ohne Lösung geht die Gewaltspirale weiter und dies wiederum vergiftet die Lebensgrundlage für die nächsten Generationen – was unbedingt zu verhindern ist.

In Fällen von Bürgerkriegen ist dies vielen ein einsichtiger Ansatzpunkt.

Im Fall von sexualisierter Gewalt erschließt sich diese Notwendigkeit nur, wenn man sich kritisch mit dem Opfer-Täter-Opfer-Täter Kreislauf auseinandersetzt (den man bei jeglichem Ausbruch von Gewalt – egal welcher Art – betrachten muss).

Eine hohe Prozentzahl von Tätern (von sexualisierter Gewalt) waren einst selbst Opfer (ein Fakt der von vielen heute so populären Programmen der Behandlung von Tätern oft nicht thematisiert wird). Auch darf man nicht ignorieren, dass auch die Familie bzw. das Umfeld von Betroffenen leiden – durch das Ausagieren, obsessives Schweigen, unterdrückte Wut, Misstrauen, etc. von Opfern in ihrem täglichen Leben und in ihrem Umgang mit denen, die ihnen eigentlich am Herzen liegen. Auch dies ist ein wichtiger Teil des Opfer-Täter-Opfer-Täter Kreislaufes, den es zu unterbrechen bzw. zu befrieden gilt.

Dieser Kreislauf der Gewalt in jeglicher Form kann nur durch einen gesellschaftlichen Versöhnungsprozess beendet werden: ein Kraft-Akt jetzt, im Interesse der folgenden Generationen. Es dürfte offensichtlich und klar verständlich sein, dass schiere juristische Kategorien und deren Lösungen hier immer zu kurz greifen werden.

Im konkreten Fall: sexualisierte Gewalt

Trotz verstärkter öffentlicher Diskussion bleiben die meisten der Verbrechen bis heute unaufgedeckt. Die Opfer schweigen – für eine lange Zeit – aus Scham und falschen Schuldgefühlen. Durch sein Schweigen wird das Opfer – ungewollt – zum Komplizen des Täters, was wiederum die Scham und Schuldgefühle verstärkt – ein Kreislauf aus dem zu entkommen sehr schwierig ist. Das Dunkelfeld ist also enorm groß.

Der deutsche Rechtsstaat funktioniert nicht wirklich überzeugend im Interesse der Opfer – Verjährungsfristen (Argument Rechtsfrieden) und die fehlende Melde- und Anzeigepflicht (Argument: Furcht vor einem Überwachungsstaat) geben wohl Zeugnis eines möglichen geschichtlichen Ursprungs dieser Bedenken, helfen aber den Opfern nicht und lassen den Rechtsstaat eher als ein Konstrukt des Täterschutzes aussehen. (s.a. netzwerkB Positionspapier Argumente zur Aufhebung der Verjährungsfristen und netzwerkB Positionspapier Bundeskinderschutzgesetz)

Gesellschaft: in Anbetracht der Tatsache dass eine erhebliche Anzahl von sexualisierter Gewalt innerhalb der Ursprungsfamilie geschieht und nicht angezeigt wird ist immer noch von einem Mangel an Unrechtsbewusstsein in weiten Teilen der Gesellschaft auszugehen. In gewisser Weise ist sexualisierte Gewalt immer noch ‚normalisiert‘. Es wird als ein unausrottbares Übel angesehen, da es eben immer schon so war. Falsche Tabus darüber was aussprechbar ist und was nicht, mauern die Opfer immer noch in ihr Schweigen ein.

Nach den Enthüllungen der letzten Jahre setzt die Politik auf Prävention, die konzeptionell auf ‚starkgemachten Kindern‘ beruht. Hiermit werden die oben erwähnten Sachverhalte nicht adäquat adressiert und die Bürde auf die schwächsten Schultern gehoben: die der Kinder. Außerdem zeigt sich ein geringes Interesse, wenn überhaupt, Konzepte zu entwickeln, wie die Opfer adäquat entschädigt werden könnten, bzw. wie ein Ausgleich für die Verluste geschaffen und finanziert werden könnte. Ein fairer Ausgleich würde den Betroffenen eine gleichberechtigte Integration und Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen. Almosen – wie sie jetzt ausgegeben werden zementieren die Machtverhältnisse weiter:
Täter-Institutionen oben, Opfer unten, die damit in der Rolle als Bittsteller festgehalten werden. Außerdem scheitert eine wirkliche Aufarbeitung weiterhin an der Verjährungsregelung.

Akt der Versöhnung

Durch das Verüben von sexualisierter Gewalt bringt der Täter sich außerhalb dessen, was durch soziale, politische und rechtliche Normen als Basis der Gesellschaft festgelegt wurde. Der Täter verstößt damit bewusst gegen das geltende Recht und gegen soziale Normen. Das Opfer ist durch die Tat von der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen. Durch das Schweigen – sowohl des Opfers selbst, als auch der Mitwisser im direkten Umfeld – wird dieser Ausschluss im eigenen Empfinden weiter zementiert, bzw. durch das Schweigen sieht sich das Opfer genötigt‚ ‚so zu tun als ob‘- was wiederum das innere Erleben der Ausgrenzung nur noch verstärkt.

Eine echte Wiedergutmachung ist nicht wirklich möglich, da das Opfer in seinem Sein durch die Tat verändert wurde. Ein Wiederherstellen eines ‚Status quo ante‘ ist nicht möglich.

Als Folge der Offenlegungen von sexualisierter Gewalt, vor allem in Institutionen, aber auch in Familien, hat sich seit 2010 die Politik zwar ein wenig mit der Thematik beschäftigt, blieb aber auf einem eher oberflächlichen Level. Grundlegende gesetzliche Änderungen, die das gesellschaftliche Übel an der Wurzel packen könnten wurden nicht unternommen.

Stattdessen gab es öffentliche Empörung und Bedauern. Auch gab es häufige ‚Anhörungen‘ von ‚Geschichten‘ von Opfern, was aber schon in der Wortwahl einen Mangel an Augenhöhe deutlich macht. Hilfsfonds wurden zwar eingerichtet, doch bedeuten sie aufwendige oft entwürdigende bürokratische Hürden für die Opfer, lange Prozess-Zeiten, häufige Ablehnungen und eher geringfügige sachbezogene Unterstützung. Präventivmaßnahmen wurden aufgestockt.

Diese Maßnahmen sorgten für Ruhe in der Öffentlichkeit – neue Themen wurden ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung gerückt.

Was fehlt ist ein Vorstoß in Richtung einer echten Aufarbeitung. Diese muss auch die Täter, Täter-Organisationen, die Familien, und die Mitwisser einschließen, die durch Wegschauen und Schweigen den Tätern ihr Tun erst ermöglicht haben. Dies ist die Aufgabe einer Wahrheitskommission.

Eine Aufarbeitungskultur und der Wille zur Aufarbeitung müssen entwickelt werden, so dass bessere Voraussetzungen für die nächsten Generationen geschaffen werden können.

Dies heißt, dass auf gesellschaftlicher Ebene der Raum geschaffen werden muss für einen andauernden Diskurs – der nicht mehr verstummen kann, egal welche politischen Richtungen gerade bestimmend sind.

Die Stiftung ‚Akt der Versöhnung‘ zielt darauf ab, diesen Raum zu schaffen, in dem das Schweigen über sexualisierte Gewalt sich nie wieder breit machen kann.

Heute ist die Situation für Betroffene oft so, dass sie selbst sich fürs Schweigen entscheiden, und dass ihnen auch dazu geraten wird, da die juristischen Mühlen so mahlen, dass es für sie extrem belastend, wenn nicht sogar zerstörerisch, wird. Die gesellschaftliche Ausgrenzung, die sie zudem erfahren, erschöpft sie noch mehr. Oft stellt sich ihnen dieses Gemisch als ausweglos dar.

Stellen wir uns vor, dass sich Familien um die Opfer scharen um sie zu unterstützen (anstatt sie auszuschließen), und dass Institutionen in denen Gewalt geschah, sich klar auf die Seite des Opfers stellen ohne Rücksicht auf das ‚Ansehen‘ ihrer Institution. Stellen wir uns weiterhin vor, dass die Unterstützer von Betroffenen wiederum von der Gesellschaft unterstützt werden. Und mehr noch: dass die Gesetzeslage so ist, dass Opfer anerkannt werden, dass sie eine gerechte Chance haben, ihre Täter zur Rechenschaft zu ziehen und dass sie die Gewissheit haben, dass die Täter zumindest keine weiteren Opfer mehr haben werden.

Die Stiftung will Personen ehren, die beitragen zu dieser gesellschaftlichen und juristischen Umstrukturierung, um diese Vision in die Wirklichkeit zu bringen.

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