Wenn Seelsorger zu Täter werden
„Ein Pfarrer macht so etwas nicht“, hat ihr die Mutter geantwortet, als sie als kleines Mädchen davon erzählte, dass ihr der Pfarrer in die Unterhose gegriffen hat. Es wurde noch viel schlimmer. Papst Franziskus hat den Pfarrer vor einigen Wochen aus dem Klerikerstand entfernt. Lesen Sie heute den ersten von drei Teilen über das einst kleine Mädchen, das längst eine Frau und selbst Mutter ist. Sie hofft darauf, dass ihre Wunden verheilen.
Limburg/Würzburg.
„Dort oben ist es passiert.“ Die 33 Jahre alte Christina (Name von der Redaktion geändert) zeigt auf ein Fenster im ersten Stock des Pfarrhauses, die Kirche steht nur wenige Meter entfernt. Passiert: schwerer sexueller Missbrauch. Das Opfer vor vielen Jahren: Die sieben Jahre alte Christina; der Täter Pfarrer Wolfdieter W. Der Pfarrer äußert sich zu den Vorwürfen nicht, sein Rechtsanwalt Norman Jacob beklagt, dass die Entscheidung des Papstes der grundsätzlich zu geltenden Unschuldsvermutung widerspreche und der Beschuldigte keine Möglichkeit der Verteidigung habe. Weiter lesen…
Mehr:
http://www.fnp.de/nachrichten/politik/Immer-wieder-beschuldigt;art673,1628971
Nein, das reicht nicht.
Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden, und sie müssen für den Rest ihres Lebens für den beabsichtigten Schaden aufkommen – auch noch nach 30, 40 und mehr Jahren! Es gibt sie ja vielfach noch, die damaligen Zeugen. Damals mögen sie noch die Falschen beschuldigt haben, inzwischen das Unrecht erkennen und würden auch einer angemessenen Wiedergutmachung zustimmen.
„Christina“ und viele andere Alt-Betroffene empfinden die heute noch fehlenden oder halbherzigen Sanktionen auf verjährten Seelenmord als erneute Schande, weil die Gesellschaft nur besänftigt wird und nicht selten die Taten bezweifelt, nicht nur aus Mitleid mit alt gewordenen Verbrechern. So will es die Justiz.
Trotz verbriefter Rechte im Grundgesetz lieh uns als Kindern – in sehr langen 70 Jahren „Rechtsstaat“ – kein Mensch eine Stimme.
Und immer noch spielen Kirchen ‚Staat im Staat‘ …
In Unterdrückungsgesellschaften werden die schwächsten Mitglieder unmündig gehalten.
In Demokratien braucht es Regeln zur Verhinderung groben Unrechts, an die alle Beteiligten sich zu halten haben. Den Schutz gab es für uns damalige Kinder nicht; Kriegsfolgen ließen im neu verordneten Rechtsverständnis gerade in dieser Tabuzone lebensgefährliche Ausnahmen für Kinder zu. Innerhalb von Familien und in anderen geschlossenen Systemen blieb das verinnerlichte Obrigkeitsverhalten erhalten.
Beispiel:
Ganze Kollegien z.B. in Schulen – gleichermaßen in Elite- wie auch Dorfschulen – blieben in alten Mustern hängen, denn sie hatten sich nach wie vor unterzuordnen. Existenzielle Abhängigkeit entwickelte weiter ihre Eigendynamik. Über jede Gewalt gegen ‚Un-mündige‘, speziell über sexualisierte Gewalt hatte man zu schweigen, um das Image des Systems Schule zu wahren. Alle Beteiligten wussten von diesen Vorfällen, alle gingen in die Falle vor-demokratischer ‚Gewohnheitsrechte‘, alle ordneten sich unter. Niemand wagte sich dagegen zu wehren. Widerstand war zwecklos wegen einer Gesetzgebung, die mit Verjährungsfristen die Täter schonte, während man Mitwissern und Opfern die Beweislast auflud und sie anderenfalls der Lüge verdächtigte und des Rufmordes beschuldigte. Staatlichen Aufsichtsbehörden unterschlug man Fakten. Jede Ebene von Hierarchien versagte – auch aufgrund falscher/fehlender Gesetze. Alle wurden beherrscht vom Schweige- und Vertuschungsgebot in Familien, Kirchen, Schulen …
Für demokratisches Zusammenleben fehlt eine Art sozialer Normenkontrolle, die das geschlossene System für Entmündigte nicht leisten kann. Selbstverpflichtungen werden nie greifen. Bisherige Gesellschaftsstrukturen bedürfen dringend einer gründlichen Anpassung an die längst veränderten Verhältnisse.
Die Altbetroffenen müssen allererst einmal in die Gesellschaft re-integriert werden. Den heute betroffenen Kindern und anderen unterdrückten Minderheiten sollte künftig jeder Schutz sicher und selbstverständlich sein.
Politik muss sich jetzt bewegen, der bereits angerichtete Schaden ist immens.
Sehr bald sollte sich die Chefin unserer Probleme höchst persönlich annehmen.