Klaus Mertes über Missbrauch in der Kircheklaus mertes

Geoffrey Robinson, der 78-jährige emeritierte Weihbischof von Sydney und langjährige Missbrauchsbeauftragte der australischen Bischofskonferenz, hat sich dieser Tage zu Wort gemeldet. Es war dem krebskranken Robinson ein großes Anliegen, noch einmal von der zuständigen Kommission in Australien gehört zu werden. Robinson war für mich in den letzten Jahren ein Vorbild, eine Trost- und Hoffnungsfigur.

Kaum einer hat als zuständiger Vertreter der Hierarchie so viel und intensiv mit Opfern von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche gesprochen, kaum einer hat einen so hohen Preis bezahlt für seine offenen Worte und seine Aufklärungsbemühungen. Seine kritischen Reflexionen über strukturelle Kontexte von Machtmissbrauch in der Kirche waren von einer großen Liebe zur Kirche und zur Theologie getragen, zugleich aber auch sachkompetent, radikal nachdenklich und von reicher Erfahrung geprägt.

Den Umgang von Johannes Paul II. mit dem Missbrauchsthema nennt er rückblickend „armselig“. Einer wie Robinson spricht so ein Wort nicht leichtfertig aus. Die Folgen dieses Umgangs sind bis heute nicht aufgearbeitet, zum Schaden insbesondere auch der Opfer. Wichtiger vielleicht noch, weil bedrängender, aktueller: Robinson bescheinigt auch Papst Franziskus, bei dem Thema nicht genügend Führungsstärke zu zeigen. Vielleicht war Bergoglio in Argentinien vor seiner Wahl zu weit weg von dem Thema – Missbrauch gab und gibt es allerdings in Lateinamerika ebenso wie in allen anderen Kontinenten -, um nun als Fremdling in Rom wirklich begreifen zu können, von wem er da umgeben ist.

Die Glaubwürdigkeit von Kardinälen wie Pell, Sodano und anderen ist jedenfalls tief und nachhaltig erschüttert. Auch die für die Verfahren zuständige Glaubenskongregation ist personell nicht gut besetzt, sondern eher mit Leuten, deren Wille zur Aufklärung aus guten Gründen sehr zweifelhaft ist. Namen liefere ich auf Anfrage gerne nach. Vor allem hapert es beim Thema Aufklärung: Wer spricht eigentlich in Rom mit Opfern? Wer befasst sich in der Glaubenskongregation mit Opferberichten? Wie glaubwürdig sind die Personen, die da für Aufklärung und Untersuchungen zuständig sind? Wird es jemals eine Veröffentlichung von Untersuchungs- und Aufklärungsberichten aus Rom geben, von denen ja einige bereits in den Schubladen liegen? Viele Opfer und mit ihnen viele andere Katholiken warten darauf. Aufklärung ist der erste und fundamentale Akt der Anerkennung, ohne den es weder Heilung noch Versöhnung geben kann.

Die Wortmeldung von Robinson ist kein rückblickendes Nachkarten. Vielmehr höre ich seine Sorge darum heraus, dass die tiefen Fragen an die Kirche, die sich unter dem Eindruck der Begegnung mit Opfern stellen, erneut hinter der glänzenden Fassade an armseligem Schweigen in Rom abprallen. Damit sollen die guten Bemühungen, die es in der Kirche ja auch gibt – in Rom etwa die Gründung der Kinderschutzkommission und Präventionsbemühungen aller Art – nicht abgewertet werden. Aber sie reichen nicht. Es geht um die Kirche als Ganze.

Der Missbrauch, und noch mehr der verschwiegene, nur scheinbar „erledigte“ Missbrauch ist immer noch eine wühlende Krankheit im Leib der ganzen Kirche. Um es am Beispiel der anstehenden Familiensynode deutlich zu machen: Was immer die versammelten Bischöfe dort sagen werden – ihre Glaubwürdigkeit zu Themen wie Familie, Sexualität, Ehe, Gender etc. ist so tief erschüttert, dass man sie in dem Maße nicht hören und ernst nehmen wird, wie sie sich ihrer tief erschütterten Glaubwürdigkeit nicht bewusst sind. Und dass sie so erschüttert ist, hat schwerwiegende Gründe, über die man bei Robinson viel erfahren kann. Man braucht ihn nur zu fragen.

Der Autor

Pater Klaus Mertes ist Direktor des katholischen Kolleg St. Blasien im Schwarzwald. 2010 brachte er in seiner früheren Funktion als Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin die Aufdeckung des kirchlichen Missbrauchsskandals ins Rollen.