Als Dokumentarfilmautorin der ARD (u. a. die beiden „Höllenleben“-Filme) möchte ich die Frage in die Runde werfen, wer Zahlen und Fakten darüber hat, wie viele Menschen in Deutschland DIS aufgrund frühkindlicher Gewalt erlitten haben und damit leben müssen.
Gibt es dazu erste Untersuchungen und Hochrechnungen? Wer kann da weiterhelfen?
Vielen Dank und freundliche Grüße,
Liz Wieskerstrauch
Informationen bitte an:
liz@wieskerstrauch.com
Sehr geehrte Frau Liz Wieskerstrauch,
ich fürchte, dass Ihnen diese Frage keiner beantworten kann. Zur Beantwortung dieser Frage wären Langzeitstudien erforderlich. Diese sind bis heute nicht erfolgt, obwohl seit Jahrzehnten behauptet wird, eine DIS entstünde nur in Folge extremer sexueller/ritueller Gewalt.
Ich selber vermag Ihnen jedoch etwas erzählen, was derartige Hochrechnungen (wenn sie existieren würden) in Frage stellt. Bei mir wurde fäschlicherweise eine DIS diagnostiziert. Wie bei der Borderline Persönlichkeitsstörung, so gingen meine Therapeuten davon aus, dass ich sexuell missbraucht worden sein MUSS, da ich ja eine Multiple Persönlichkeit sei. Sie begannen bei mir nach Erinnerungen und Erinnerungspersönlichkeiten zu suchen und suggerierten mir falsche sexuelle und rituelle Missbrauchserinnerungen. Gegen zwei dieser Therapeuten habe ich inzwischen Klage eingereicht.
Solche Hochrechnungen, sofern sie existieren würden, sind kritisch zu betrachten. Die Annahme, dass eine DIS nur in Folge sexueller und ritueller Gewalt entsteht, hat zur Folge, dass Therapeuten nach solchen Erinnerungen suchen. Sie gehen davon aus, dass sie vorhanden sein müssen. Ihre eigenen Erwartungen und Annahmen haben nicht selten zur Folge, dass sie Klienten falsche Erinnerungen suggerieren, die dann der Öffentlichkeit als „So viele Fälle DIS-Sexueller Missbrauch gibt es“ verkauft werden. Ich selber hänge auch in sämtlichen DIS-Statistiken, Diplomarbeiten über DIS usw. rum, weil keiner nachprüft und nicht nachprüfen kann, ob die berichteten Erinnerungen auch tatsächlich stimmen oder dadurch entstanden sind, dass Therapeuten erwarten bei ihren Klienten Missbrauchserinnerungen finden zu müssen.
Die moderne Auffassung zur Schizophreniegenese ist simplizistisch-positivistisch,rein neurobiologistisch, wie Psychiater das nennen, denn die Biologen sind sehr viel vorsichtiger.
Für Psychiater ist der Zusammenhang mit dem entsetzlichen Erleben evident, aber beweisen gerichtsrelevant kann man ihn natürlich nicht.
Aber man weiß, daß Stressoren zur Ätiopathogenese der Schizophrenie beitragen, biologisch z. B.
über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse.
Anders ausgedrückt.
Auslöser von DIS ist also sicher eine schwere und protrahierte Traumatisierung anzusehen. Fraglich ist, ob diese auch die Ursache war, oder nur eine von vielen ursächlichen Elementen. Diese Frage läßt sich m.E. nicht mit hinreichender Sicherheit beantworten.
Interessant finde ich die ZUsammenfassung bei Wikipedia über DIS.
http://de.wikipedia.org/wiki/Dissoziative_Identit%C3%A4tsst%C3%B6rung
Muster, Raster, Schubladen, ….
monokausale Erklärungsansätze
Irgendwann hat sich dann wieder eine neue Modediagnose
gefunden und wird ein Opferprototyp zementiert
Wem dienen solche Suggestionen ?
Menschen sind wandlungsfähig.
Positives Empowerment, nicht: Verhilflosen
Es ist schon länger her, dass ich Fachliteratur zur DIS gelesen habe. An eine Aussage, dass sie zwwangsläufig im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt oder satanistischen Ritualen entstand, kann ich mich nicht erinnern. Entscheidend ist, dass ein Kind mit irgendeiner Art massiver Gewalt konfrontiert wird und dann eeine sehr wirksame Abwehrmethode benötigt, damit das Bewusstsein nicht endlos vom Horror besetzt bleibt. Das Alter, in dem ein Kind traumatisiert wird, spielt auch eine Rolle, damit es zur Entwicklung einer DIS kommen kann.
Sicherlich ist es eine anspruchsvolle Aufgabe, Symptome einer DIS und andere, ähnlich erscheinende psychische Erscheinungen voneinandeer abzugrenzen. Psychiater können sich dafür hoffentlich die nötige Zeit nehmen und haben hoffentlich die nötigen Mittel für die Diagnostik zur Verfügung, denn sonst sollten sie öffentlich protestieren. Wenn anstelle einer tatsächlichen DIS eine andere psychische Störung diagnostiziert wird, wird der/die Patient(in) ebenfalls einen Preis bezahlen.
zu:
Psychotherapiegeschaedigte schreibt am 12.09.2014
Also Ihr Beitrag wirkt auf mich unfassbar. Wäre ich Sie und hätte bereits geklagt, könnten dann nicht auch Namen genannt werden??
Sollte da wirklich solche gravierenden Fälle existieren, wo „gutherzige“ Psychotherapeuten „irrtümlich“ „false memories“ (…lach, die es ja so garnicht gibt), „eingepflanzt haben, dann wären sie doch „reumütig und würden sich gegebenenfalls auch outen???
Also, an alle Profis diesbezüglich mal ein Aufruf, welche Erfahrungen habt ihr hier in eurer Praxis gehabt?
Das kommt mir persönlich hier als manipilative Schwingung rüber ansonsten.
Traumatisches Wachstum kann soviel durchmachen, von Dis bis „minipsychosen“, welche fälschlicherweise in Schubladen von Psychosen oder sogar Schizophrenie sortiert werden mit allen dazugehörigen bitteren Folgen. Am Ende weiss jeder Traumatisierte der mal wieder alles „überlebte“, dass die Indikatoren für gelungenes traumatisches Wachstum „Verständnis“, „Kontrolle“ und „Sinnfindung“ sind. Eine positive Unterstützung und Neugier seitens der Therapeuten für den dann folgenden Werdegang wäre gut und wichtig, um wenigstens ein bisschen „heilsein“ leben zu können.
Isolation, traumatische Vermischungen und reelle kriminelle Energien, Verluste, und und und….jedes für sich kann wahrscheinlich (so denke ich als laie)zu einem gestörten Hirnstoffwechsel führen und somit in Grenzbereiche. Aber dies ist doch noch lange nicht die Ursache…..wenn es denn dann keine Geisteskrankheit ist oder anatomisch begründet oder wasauchimmer. Eine Ausschlussdiagnose ist schwer bei ursächlichen Traumata, aber zu finden doch nicht abzuwenden. Deshalb denke ich dass proffessionelle ja wohl eher mehr als vorsichtig damit umgehen, wenn überhaupt.
Es kann doch nicht sein dass verdreht wird, nur weil es charactere gibt denen es zu „lästig“ ist oder die zu „bequem“ sind der Ursache auf den Grund zu gehen. Viel Kraft und Ausdauer allen professionellen, die Gesicht zeigen und sich nicht beirren lassen sage ich da nur…puhhhh
@ Liz Wieskerstrauch,
Ich habe mal im internet rumgestoebert.
Ausgangspunkt: WIkipedia. Deutsche WIkipedia ist sehr aermlich/unzureichend, die englische Wikipedia jedoch ist wesentlich besser, ein guter Einstieg zu DIS (auf Englisch: DID/ Dissociative Identity Disorder):
en.wikipedia.org/wiki/Dissociative_identity_disorder
Ich habe dann „prevalence of DID“ gegoogelt.
Wenn Sie Englisch koennen, moechte ich Sie an die englische Wiki und die unten folgenden wissenshcaftlichen Studien verweisen.
Ich habe (leider nur auf Englisch) folgendes gefunden:
„Prevalence of dissociative disorders among psychiatric inpatients in a German university clinic“ (Praevalenzrate von dissociativen Stoerungen bei stationaer aufgenommenen Patienten in der psychiatrischen Abteilung eines deutschen Universitaets Klinikums)
PMID: 11339321
(PMID = PubMed ID.
PubMed ist eine internetVeroeffentlichung der Amerikanischen Regierung fuer wissenschafltiche Studien.
Dies ist eine sehr serioese QUelle mit Studien aus der ganzen Welt).
Etwas tieferes Recherchieren:
„Epidmiology of dissociative diorders: An Overview“
http://dx.doi.org/10.1155/2011/404538
(in „Epidemiology research International“/ 2011)
Dies schient eine sehr gute internationale Studie zu sein, einschliesslich Praevalenzraten fuer Deutschland.
Vielleicht koennen Sie auch hier etwas weiter finden:
http://www.isst-d.org
Es ist dies die URL der „International Society for the Study of Trauma and Dissociation“.
Leider haben sie keine deutsche Sektion, jedoch je eine
Franzoesische und Spanische. Soviel ich weiss, hat die isst auch wissenschafltiche Verbindungen in Deutschland.
vielleicht kann isst ihnen Kontakte in Deutschland nennen.
Dann noch:
„Prevalence of dissociative disorders in psychiatric outpatients“
http://ww.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16585436
Dies ist eine Studie vergleichbar mit der obigen „German university clinic“ Studie, jedoch in USA. SIe ist deshalb interessant weil sie einen Anhaltspunkt zur Praevalenzrate gibt. USA und Deutschland sind sich vermutlich relativ aehnlich. AUch diese URL ist eine internetveroeffentlichung der Amerikanischen Regierung und sehr serioes.
Dies ist eine dis-Betroffene URL:
http://www.pods-online.org.uk/problemofprevalence.html
Erscheint mir serioes und beleuchtet dis auch von der Seite des Betroffenen.
Sollten Sie Schwierigkeiten mit dem Englischen haben, bin ich gerne bereit, Ihnen per Telefon mit einer muendlichen Uebersetzung zu helfen. Sie koennen mich ueber Herrn Denef erreichen.
Viel GLueck
Eva Phoenix
Als speziell ausgebildete Traumatherapeutin behandele ich u.a. Missbrauchsopfer und Patient/innen mit DIS. Zahlen darüber kenne ich leider nicht, aber es gibt eine äusserst erfahrene Trauma-Expertin in Deutschland, die Bücher darüber veröffentlicht hat und auch im Fernsehen zu solchen Fragen auftritt. Sie heisst Michaela Huber, ihre homepage : http://www.michaela-huber.com enthält auch zahlreiche Artikel und Vorträge zum download . Kann ich nur empfehlen !
Viel Erfolg bei Ihrer Recherche. Mich würde es freuen, diese sicherlich nicht leicht zu verstehende Störung endlich einmal fachlich korrekt und angemessen im Film dargestellt zu finden.
Man bedenke dabei auch, daß es bis heute offiziell keine Therapiezusage seitens der öffentlichen Kranken-Kassen gibt für die Diagnose Traumastörung.
Nein, dazu müssen dem Patienten seitens des Therapeuten erst andere Diagnosen angehaftet werden, die dann auch der Liste entsprechen. Diese Diagnosen diffamieren den Patienten nicht selten unnötigerweise.
Ich frage mich, wieso das bis heute nicht dahingehend berücksichtigt wird.
Soweit mir bekannt, basieren diese Listen auf einem alten Stand um 1945 aus der Nachkriegszeit und wurden seit dem nicht verändert.
Warum nur??
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es dazu bereits mehr als genug.
@Hubert : Eigentlich müsste das unter PTBS ( Posttraumatische Belastungsstörung )kein Problem sein, die Therapie übernommen zu bekommen. Wenn dazu noch „dauerhafte Änderung der Persönlichkeit“ aus diesen Gründen, oder etwas in Richtung DIS dazu kommt, umso eher.
Es kann aber sein, dass die Sachverständigen der Krankenkassen mit der Umdefinierung von fachlichen Begriffen spielen, um die Übernahme verweigern zu können. Dieses Problem hatte ich. Deswegen ist wichtig, die medizinisch/psychologisch akkuraten Bezeichnungen zu verwenden, wie sie in der ICD-10
( F43.1 + F62. ) bzw. DSM IV verwendet werden.
http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-who/kodesuche/onlinefassungen/htmlamtl2011/index.htm
bzw.:
http://counsellingresource.com/lib/distress/dsm-codes/