An der Heiligsprechung Johannes Pauls II. wird Kritik laut: Hat er sexuellen Missbrauch Jugendlicher durch Kirchenangehörige verschwiegen?

Rom – Bis ins Alter von 16 Jahren wurde Norbert Denef in seiner Heimatstadt Delitzsch regelmäßig von einem Priester sexuell missbraucht. Später wollte der heute 64 Jahre alte ehemalige Messdiener an die Öffentlichkeit gehen. Der Bischof von Magdeburg bot ihm im Jahr 2003 eine Entschädigung in Höhe von 25 000 Euro an, unter der Bedingung, dass Denef nichts von seiner Geschichte preisgebe. Daraufhin wandte sich der Katholik mit der Bitte um Hilfe an Papst Johannes Paul II. Der antwortete in einem persönlichen Brief, er werde Denef in sein Gebet aufnehmen. Außerdem solle er Gott um Beistand für seine „innere Heilung und um die Kraft der Vergebung“ bitten.

„Wer soll mir jetzt noch helfen“, fragte sich Denef. Er versuchte sich das Leben zu nehmen. 2010 gründete der gebürtige Sachse schließlich das Netzwerk der Opfer sexualisierter Gewalt netzwerkB und kritisiert die für kommenden Sonntag in Rom geplante Heiligsprechung Karol Wojtylas. „Johannes Paul II. war in seiner Amtszeit verantwortlich für das Verschweigen, Verleugnen und Vertuschen von sexualisierter Gewalt“, sagt Denef. Kein Heiliger also?

Auch mit Wojtylas Nachfolger, dem deutschen Joseph Ratzinger, der als Präfekt der Glaubenskongregation die rechte Hand Wojtylas war und als Papst immer wieder für seinen vorbildlichen Umgang mit dem Missbrauchsskandal gelobt wurde, geht Denef hart ins Gericht: „Um dem Ansehen der Kirche nicht zu schaden, wurden lieber die Verbrecher geschützt, anstatt den geschändeten Kinderseelen zu helfen.“ Johannes Paul II, sowie Benedikt XVI. seien die „Hauptschuldigen am Leid der Opfer“.

Schon vor der Seligsprechung Karol Wojtylas im Jahr 2011 war das Verhalten des polnischen Papstes in seinem beinahe drei Jahrzehnte währenden Pontifikat im Hinblick auf den Missbrauch in der katholischen Kirche kritisiert worden. Damals behauptete unter anderem der Theologie-Professor Hans Küng, dem Johannes Paul II. 1979 die Lehrerlaubnis entziehen ließ, Wojtyla und Ratzinger hätten die „Verbrechen systematisch vertuscht“. Küng bezeichnete Johannes Paul II. als „zwiespältigsten Papst des 20. Jahrhunderts“, der nicht dazu tauge, „den Gläubigen als Vorbild“ präsentiert zu werden. Wojtyla habe Lob verdient als „Mann von Charakter, als Vorkämpfer für Frieden und Menschenrechte“. Mit seinem „autoritären Lehramt“ habe er aber die „Menschenrechte von Frauen und Theologen unterdrückt“.

Der Postulator im Heiligsprechungsverfahren, der polnische Priester Slawomir Oder, verteidigte Wojtyla gegen die Vorwürfe. Während des Verfahrens zur Heiligsprechung habe es eine „spezielle Untersuchung“ gegeben mit dem Ergebnis: „Es gibt kein Anzeichen dafür, dass Johannes Paul II. in diese Angelegenheit verstrickt war.“ Slawomir Oder bezog sich damit auf den Vorwurf, Wojtyla habe eine enge Freundschaft mit dem mexikanischen Priester und Gründer der Legionäre Christi Marcial Maciel Degollado gepflegt, der nachweislich Dutzende Kinder und Jugendliche missbraucht hatte. Maciels zwei Geliebte, mit denen er mindestens drei Kinder hatte, sollen zur Finanzierung der Reisen Johannes Paul II. nach Mexiko beigetragen haben.

Wojtyla wird zudem vorgeworfen, den ehemaligen Erzbischof von Boston, Kardinal Bernard Francis Law im Vatikan aufgenommen zu haben. Law war 2002 wegen des Vorwurfs der Vertuschung von sexuelle Missbrauch in der Diözese Boston und wegen staatsanwaltlicher Ermittlungen zurückgetreten. „Johannes Paul mag eine revolutionäre Figur in der Kirchengeschichte sein, aber ein Mann, der in einer moralischen Krise wegschaute, kann nicht als Heiliger gelten“, schrieb die angesehene katholische Kolumnistin Maureen Dowd in der New York Times.

Julius Müller-Meiningen

Quelle: http://www.ovb-online.de

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