Ein Betroffener sexueller Gewalt schreibt an Papst Franziskus

Sehr geehrter Heiliger Vater Papst Franziskus,

der Vatikan hat in der letzten Woche vor dem UN-Kinderrechtsausschuss in Genf erstmals zum Skandal des Missbrauchs Minderjähriger innerhalb der katholischen Kirche ausgesagt. Papst Benedikt XVI. versetzte 384 Priester wegen Missbrauchs in den Laienstand, im Jahr 2012 waren es etwa 100, im Jahr 2011 etwa 300. Danach forderten Sie Ihre Kirche zu mehr Schuldbewusstsein auf. Wir Betroffenen haben mit großer Freude zur Kenntnis genommen, dass Sie die Taten als »Schande der Kirche« geißeln.

Aber genügt das? Jahrzehntelang wurden die Täter von ihren Vorgesetzten geschützt. Anstatt die Verbrechen aufzuklären und den Opfern zu helfen, wurden die Täter stillschweigend in immer neue Gemeinden versetzt. Fast 400 Priester weltweit wurden wegen Missbrauchs in den Laienstand versetzt – aber was passiert mit den Amtsträgern, die die Täter jahrzehntelang schützten?

Immer wieder geht es um die Täter, und die Opfer geraten aus dem Blick. Was werden Sie tun, um den Opfern wirklich zu helfen?

Ich nenne ein Beispiel von vielen. Der Fall des Serientäters Pfarrer Alfons Kamphusmann war bereits Ihrem Vorvorgänger Papst Johannes Paul II. bekannt. Er wurde vom Bistum Magdeburg viele Male versetzt, sobald in der jeweiligen Gemeinde seine Verbrechen bekannt wurden. So konnte er immer neue Opfer finden und sich zum Serientäter entwickeln: von 1950 an war er Vikar in Gerbstedt, dann in Hettstedt, 1952 Vikar und Kurator in Halle, im selben Jahr wurde er Vikar in Droyßig, 1959 Vikar in Delitzsch, 1967 Vikar in Nordhausen, 1970 Pfarrvikar in Langenweddingen, 1974 Pfarrer in Hecklingen, 1989 Pfarrer in Piesteritz, 1990 wurde er Geistlicher Rat, 1992 Subsidiar in Wanne-Eickel, 1992 Subsidiar in Niedertiefenbach (Bistum Limburg), 1996 Subsidiar in Berus (Bistum Trier), 1997 in Magdeburg.

Kamphusmann starb 1998 in Magdeburg. Im Nachruf der Kirche stand: »Freundlich und hilfsbereit tat er seinen Dienst. Manche bleibende Bekanntschaft und Freundschaft zeugen von seiner Menschenfreundlichkeit und Beliebtheit.« Dieser Mann hat auch dem Verfasser dieses Briefes sexuelle Gewalt angetan, viele Jahre lang.

Deshalb frage ich Sie: Wieso weigert die römisch-katholische Kirche sich, auf die Opfer und ihre Angehörigen zuzugehen? Wieso weigert sie sich, uns Hilfe bei der Aufklärung zu gewähren, medizinische Unterstützung zu ermöglichen und Entschädigungen zu leisten, die für die Schäden im Leben der Betroffenen einen Ausgleich bringen könnten? Offenbar werden Vorgesetzte, die die Täter schützten, weiterhin vor allen Konsequenzen geschützt. Nach wie vor werden Akten systematisch vernichtet – das konnten Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen und andere Gutachter aufdecken.

Ich bin Sprecher des deutschlandweiten Vereins Betroffener netzwerkB. Wir fordern die Aufhebung der Verjährungsfristen bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – damit endlich Schluss ist mit dem Täterschutz. Wenn sexuelle Straftaten passieren, sollte es für jeden Bürger verpflichtend sein, Anzeige zu erstatten. Schweigen müsste strafbar sein.

Heiliger Vater, wir würden es sehr begrüßen, wenn Sie unsere Forderungen unterstützen und der Vatikan hier eine Vorreiterrolle einnähme. Die Opfer leiden oft ein Leben lang. Sicherlich werden Sie uns recht geben, dass solche Verbrechen nicht verjähren dürfen, denn das, was man Kindern hier antut, sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Im Mai 2013 habe ich Ihnen persönlich geschrieben und Sie um einen Akt der Versöhnung gebeten. Wir benötigen Ihre Unterstützung, um eine gemeinnützige Stiftung zu gründen mit dem Ziel, Personen auszuzeichnen, die sich in der Öffentlichkeit gegen das Verschweigen und Verleugnen von sexualisierter Gewalt einsetzen. Dieser Einsatz erfordert Mut. Ihn gilt es zu unterstützen. Die ganze Welt würde erfahren, dass künftig Menschen geehrt werden, die sich für die Opfer sexualisierter Gewalt einsetzen.

Ein Akt der Versöhnung ist dringend geboten, um über Brücken zu gehen, wo die Wege bisher versperrt sind. Wir müssen den Opfer-Täter-Opfer-Täter-Kreislauf durchbrechen. Die Stiftung könnte der Anfang eines gemeinsamen Weges sein.

Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung

NORBERT DENEF

Norbert Denef, 64, ist Sprecher von netzwerkB.org. Er wurde als Kind von einem katholischen Priester und einem Kantor missbraucht. Beide Täter gestanden, wurden aber nicht belangt, weil ihre Taten verjährt waren. Das Bistum Magdeburg wollte Denef 2003 mit 25 000 Euro zum Schweigen bringen. 2005 erwirkte er einen Verzicht auf die Schweigeklausel. Er erhielt als erstes bekanntes Opfer von der deutschen Kirche eine Entschädigung. Seit 20 Jahren kämpft er für die Rechte der Opfer

Quelle: ZEIT_2014_05_00054

Akt der Versöhnung – N. 555.086

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