Uns liegt der erste Entwurf für den Koalitionsvertrag der kommenden Großen Koalition in der Fassung vom 24. November 2013 vor:
2013/11/2013-11-24_Koalitionsvertrag_Gesamtentwurf.pdf 

Bezüglich der Regelungen für die Situation der Opfer von interpersoneller Gewalt müssen wir feststellen, dass die Situation der Betroffenen in einem großen Dunkelfeld hängen bleibt – ebenso wie die Taten. Diese Situation ist ein Triumph für die Täter.

Die Verjährungsfristen im zivilrechtlichen und strafrechtlichen Bereich für Opfer von interpersoneller Gewalt und für Opfer sonstiger fremdverschuldeter Gesundheitsschäden sind gründlich zu reformieren, denn die Opfer und ihre Angehörigen leiden unter den Folgen ihr Leben lang – verbunden mit gesundheitlichen, materiellen und sozialen Problemen und Schäden.

Wir halten aufgrund der erlebten und erlittenen Realität eine völlige Aufhebung der Verjährungsfristen für erforderlich. Dies geht nicht nur mit den Belangen eines Rechtsstaats konform,  sondern ist sogar seine Pflicht.

Die Kompensation dieser Schäden muss endlich dem tatsächlichen Schaden entsprechen. Dieser  erstreckt sich über Einbußen in der schulischen und beruflichen Entwicklung, berufliche Ausfälle, psychische und physische Spätfolgen, bis hin zu Todesfällen. Als Interessenvertretung sind wir regelmässig mit der ganzen Bandbreite des Leids der Betroffenen konfrontiert. Die heute üblichen Sätze sind so niedrig, dass sogar die Richter selbst zum Ausdruck bringen, dass diese Summen beschämend seien.

Hier muss auch rückwirkend eine Lösung gefunden werden, die es auch Altopfern, ermöglicht, gegen Täter und Mitwisser vorgehen zu können. Die Reform der Verjährungsfristen durch den Deutschen Bundestag im Frühjahr 2013 lief auf eine Generalamnestie für alle Täter, die ihre Verbrechen vor 2010 verübt haben, hinaus.

Wir erwarten eine grundlegende Reform des Strafrechts. Es ist ein Skandal, dass ein Täter, der seine Töchter geschwängert hat, auf freiem Fuß bleibt. Es kann nicht sein, dass ein gewalttätiger Vergewaltiger nicht als solcher verurteilt wird, weil das Opfer in seiner Todesangst nicht geschrien hat und sich nicht gewehrt hat. Es kann nicht sein, dass ein Vertretungslehrer Überschreitungen ungestraft begehen kann, weil seine Schüler nicht mehr als schutzbefohlen gelten.

Wir erwarten eine Unterstützung der Betroffenen bei der Beweisssicherung auch im Zivilrecht. Es kann nicht sein, dass z.B. die Katholische Kirche ihre Archive verschliessen darf, weil sie außerhalb des Rechtsstaats steht.

Aus unserer Erfahrung heraus diente die Stelle des Bundesmissbrauchsbeauftragten nur dem Hinhalten der Betroffenenverbände, damit am Runden Tisch die großen Täterorganisationen ihre Vorstellungen von einer täterfreundlichen Welt durchsetzen konnten.

Wir schließen uns daher Markus Grübel (CDU), Mitglied in der „AG Familie, Frauen, Gleichstellungspolitik“ bei den Verhandlungen (und unter anderem Mitglied der „Kommission sexueller Missbrauch“ der Diözese Rottenburg-Stuttgart) in der Ablehnung der Fortsetzung dieser Stelle an.

Wir halten die Ergebnisse des Runden Tischs für komplett unbrauchbar.

Der vorgeschlagene Fonds hat zum Ziel, diejenigen Organisationen, die Täter beschäftigten und dies immer noch tun, aus ihrer Verantwortung zu entlasten. Hierfür ist ein einmaliger Betrag vorgesehen, um Betroffenen Therapien zu gewähren, die von den gesetzlichen Krankenkassen nicht anerkannt sind. Es handelt sich also im wahrsten Sinne des Wortes um ein Placebo. Wir können die Länderregierungen, die sich daran nicht beteiligen vollumfänglich verstehen.

Wir erwarten von der Politik, dass sie endlich auch die Organisationen in Haftung nimmt, in deren Zuständigkeits- und Wirtschaftsbereich Vergehen an Menschen verübt werden. Für Organisationen die im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit tätig sind, verlangen wir die Einführung einer verbindlichen Haftpflichtversicherung.

Auf Druck der am Runden Tisch beteiligten Organisationen hin wurde im Sommer 2013 von der Öffentlichkeit unbemerkt die Meldepflicht für Ärzte und Therapeuten abgeschafft, Hinweise auf drittverursachte Gesundheitsschäden, einschliesslich der Angaben der Ursachen und dem möglichen Verursacher, den Krankenkassen mitzuteilen (gemäß § 294a SGB V). Die Täter bleiben nunmehr von Regressforderungen verschont. Die Kosten werden auf die Allgemeinheit umgelegt. Die Chance auf Beweissicherung wird auch hier unterlassen. Damit wurde der Täterschutz komplettiert.

Wir brauchen eine gesetzliche Anzeigepflicht für Gewalt an Kindern und Jugendlichen, damit Dritte nicht mehr sagen können: „Klar habe ich von den Verbrechen was gehört und gewusst. Ja, ich habe den Täter geschützt. Mir hat kein Gesetz gesagt, dass ich dem Opfer helfen muss. Dabei war mir durchaus klar, dass das Opfer weiter leidet und der Täter straffrei ausgeht.“ Eine entsprechende Gesetzesinitiative von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) wurde 2003 niedergerungen. Wir verlangen, dass Zypries‘ Vorschläge wieder aufgegriffen werden.

Wir verlangen eine klare Distanzierung gegenüber Forderungen der Grünen, Inzest zu legalisieren (namentlich unter anderem Christian Ströbele und Jerzy Montag). Das wäre ein Einstieg, innerfamiliäre sexuelle Gewalt zu enttabuisieren.

Oftmals kommen verschiedene Formen von Gewalt in Familien vor, die sich über psychische, physische und sexuelle Gewalt, aber auch Vernachlässigung erstrecken können. Die Betroffenen steuern der Katastrophe und der Trennung zu, die Kinder kommen dann oftmals in die Betreuung. Wir brauchen im ganzen Land nicht nur mehr ortsnahe Frauenhäuser, sondern auch Schutzraum für hilfesuchende Männer. Insbesondere aber brauchen wir Schutzraum für gefährdete Familien, die gemeinsam eine Hilfe und geschulte Intervention suchen. Das wäre insbesondere eine Chance für die Kinder, dass sie Schlimmeres nicht erleben müssen und Auswege erleben.

Die etwa 600 Jugendämter in Deutschland brauchen einheitliche Richtlinien für ihre Arbeit. Die Nachrichten über das Heim-Unternehmen Haasenburg in Brandenburg und über die dort aktiven persönlichen Verbindungen sind ein Skandal. Der Fall Haasenburg, der sich bis hin zu Todesfällen und schweren Verletzungen von Jugendlichen erstreckte – über die derzeit noch Ermittlungen stattfinden – zeigt auch, dass Jugendämter das Wohl von Kindern und Jugendlichen nur marginal interessiert, denn physische, psychische und sexualisierte Gewalt gegen die Jugendlichen dort waren den Jugendämtern seit Jahren bekannt.

Wir verlangen die Auflösung der Geschlossenen Heimunterbringung und den Ersatz durch eine Einzelbetreuung, die den Jugendlichen mehr Hilfe bietet. Das Recht von Kindern und Jugendlichen auf eine gewaltfreie Erziehung muss auch im Bereich der Heimerziehung garantiert werden.

Wir kritisieren, dass der Feminismus die Rechte der Kinder marginal im Verhältnis der Selbstbestimmungsrechte von Erwachsenen sieht. Im Rahmen der konsumorientierten anstatt einer verantwortlichen Sexualität werden ungeborene Kinder als Kollateralschaden gesehen. Etwa 100.000 ungeborene Kinder in Deutschland werden alljährlich abgetrieben.

Der Zugang zur „Pille danach“ sollte – wie in fast allen Ländern der EU – rezeptfrei erlaubt sein, um für einen Schwangerschaftsabbruch eine gewaltfreiere Situation zu schaffen, als bei späteren Abtreibungen in fortgeschrittenen Lebenswochen und -monaten. Die derzeitigen Regelungen in Deutschland bedeuten hier eine Bevormundung.

Wir fordern jedoch auch, dass ungeborene Menschen spätestens dann, wenn sie bereits fühlen und Schmerz empfinden können, als Person mit Schutzrechten anerkannt werden. Die Schaffung der Möglichkeit für Eltern, ein totgeborenes Frühchen an einem Ort der Trauer bestatten zu können, ist erst wenige Monate her. Damit sind aber noch längst nicht alle Belange erfüllt.

Generell sollten wir aber Wege finden für eine kinderfreundlichere Welt und insbesondere sind nicht nur die Frauenrechte, sondern auch die Belange von Müttern und Vätern in der Arbeitswelt mehr zu vertreten. Die Rechte von Kindern und ihre Entwicklung müssen einen höheren Stellenwert bekommen.

Wir fordern, dass der Kinderschutz in Deutschland als gemeinnütziger Zweck in § 52 der Abgabenordnung für damit befasste Organisationen endlich anerkannt wird.

Wir erwarten von der Bundesregierung mehr Kontrolle, damit nicht über staatliche Fördermittel Broschüren, Veranstaltungen und Lehrpläne unterstützt werden, die unter dem Deckmantel einer „sexualpädagogischen Erziehung“ Positionen Vorschub leisten, die auch Pädophile propagieren. Fälle, wie wir sie mit Publikationen aus dem Umfeld des Dortmunder Instituts für Sexualpädagogik und pro familia erlebt haben, dürfen sich nicht wiederholen.

Insbesondere darf es nicht länger verharmlost werden, dass Kinder und Jugendliche einem zunehmenden und unkontrollierten Druck durch pornografische Angebote ausgesetzt werden bis hin zu hardcore Pornographie, was von bestimmten Sexualpädagogen aufgrund einer angeblich aufklärerischen Wirkung verharmlost wird. Der Pornodruck auf Jugendliche führt mittlerweile zu kritischen Veränderungen in der Lebenseinstellung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die von der niederländischen Politikern Myrthe Hilkens als „Pornofizierung“ beschrieben werden.

Wir fordern, dass alle Frauen und Männer, die im Bereich der sogenannten Sexarbeit tätig sind – ähnlich Taxifahrern und anderen Gewerbetreibenden – als solche gemeldet sein müssen und eine Zulassung benötigen. Die Voraussetzung sollte eine gründliche Schulung und Kenntnis über Sicherheit sein und eine Unterrichtung über ihre Rechte in den Bereichen Sozialversicherung und Gewalt. Über Ansprechpartner und Ausstiegsmöglichkeiten müssen diese Menschen unterrichtet werden.

Wir betrachten Prostitution als einen Ausdruck von Ausbeutung und sexualisierter Gewalt. Der stark zunehmende Markt, insbesondere durch den Zustrom aus anderen europäischen Ländern bedeutet, dass die Arbeitsbedingungen kaum verbessert werden können. Da bei zu vielen Personen Unerfahrenheit, Schädigungen durch sexuelle Gewalt in der Kindheit und Jugend, soziale Notlagen oder sogar Druck durch Dritte nicht auszuschliessen sind, sollte das Schwedische Modell auch in Deutschland eingeführt werden. Sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt sind mit der Menschenwürde nicht zu vereinbaren.

Wir erwarten eine Politik, die den Mut hat, den Menschen mehr Würde, einen Schutz vor Gewalt und Hilfe bei Verbrechen zu gewähren.

netzwerkB Pressemitteilung vom 29.11.2013:
Stellungnahme zum Koalitionsvertrag 2013 von CDU, CSU und SPD


Für Rückfragen:
netzwerkB – Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt e.V.
Telefon: +49 (0)4503 892782 oder +49 (0)163 1625091
presse@netzwerkb.org
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