Norbert Denef wurde als Messdiener vom Pfarrer missbraucht. 45 Jahre später kämpft er mit dem „netzwerkB“ gegen die Verjährung solcher Taten.

VON KLAUS-PETER LOHMANN

Sein Leidensweg begann 1959 in seinem Heimatort Delitzsch bei Leipzig. Norbert Denef war zehn Jahre alt und wollte Messdiener werden. Nach dem Gottesdienst nahm ihn der Geistliche K. mit ins Pfarrhaus. Dort schloss er die Tür ab, setzte sich in einen Sessel und nahm den Jungen auf den Schoß. Dann fing er an, den Kleinen auszuziehen und ihn im Intimbereich zu berühren. „Mit seinen Händen, mit denen er kurz zuvor die heilige Kommunion ausgeteilt hatte. Nach 20 Minuten hatte ich das Gefühl, auf die Toilette gehen zu müssen und wollte auch gehen. Doch K. hielt mich auf seinem Schoß fest und machte weiter bis mein Geschlechtsteil angeschwollen war.“ Die perversen Handlungen wieder- holten sich unzählige Male. „Mit zehn Jahren hat mir dieses widerliche Schwein seine ekelerregende Zunge in meinen kleinen zärtlichen Kindermund gesteckt. Seitdem habe ich starkes Brennen der Haut um den Mund herum. Besonders stark ist es nach dem Essen. Und das die letzten 45 Jahre nach jeder Mahlzeit.“

Vor der Schule war Norbert oft in der Frühmesse als Messdiener, wenn diese vom Seelsorger K. gefeiert wurde. „Bei der heiligen Wandlung kam es vor, dass ich mir in die Hose machte. In Panik bin ich dann nach Hause gerannt und habe meine Hose weggeschmissen. Niemand hat gemerkt, wie viele Hosen ich in die Toilette geworfen habe. Wenn ich nachts ins Bett gepinkelt habe, hat es meine Mutter am Tag wieder getrocknet. Ich sollte mich schämen, sagte sie. Am nächsten Tag weckte sie mich wieder, um als Messdiener zum Gottesdienst zu gehen. In der Schule war ich geistig immer abwesend, ein Außenseiter.“ Das Martyrium dauerte sechs Jahre, bis der Pfarrer versetzt wurde. „Mein Seelenmord war vollzogen!“

Der Junge schloss sich mit 16 dem Kirchenchor an. Bei gelegentlichen Feierlichkeiten „fing die Scheiße neu an“, so der 64-Jährige. „Nie wieder habe ich ein solches Vertrauen zu einem Menschen gehabt wie zum Chorleiter und Kantor Rolf K. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben einen richtigen Freund, meinen Rolf.“ Bei dem Chorleiter war immer Haus der offenen Tür, so Norbert. Viele Jugendliche hätten sich dort getroffen und auch geschlafen. „Nach einem Treffen war ich der Letzte und er bot mir an, bei ihm zu schlafen. Nachdem ich mich hingelegt hatte, legte er sich neben mich, fing an mich am Bauch zu streicheln und missbrauchte mich sexuell auf verschiedene Weise. Die gleiche Scheiße ging weiter bis ich 18 Jahre alt war, mehrere Male in der Woche.“ Die Bilder haben sich bei Norbert, der heute in Scharbeutz lebt, eingebrannt. Er zeigte seine Peiniger an. „Erst nach 45 Jahren war ich in der Lage, den sexuellen Missbrauch von Rolf K. beim bischöflichen Ordinariat in Limburg anzuzeigen. Beide haben die Verbrechen schriftlich gestanden. Die Kirche bot 25 000 Euro Schweigegeld an. Abgelehnt.

Stattdessen gründete Norbert Denef das „netzwerB“, eine unabhängige Interes- senvertretung. Er sagt: „Betroffene setzen sich für die Rechte Betroffener ein, indem sie das gesellschaftliche Schweigen brechen, über Auswirkungen und Ursachen sexueller Misshandlung informieren, beraten und sich für konkrete Veränderungen stark machen.“ netzwerkB ist in Lübeck als gemeinnütziger Verein eingetragen. Spenden sind steuerbegünstigt.

Was er vor allem will, sagt Norbert Denef so: „Die Aufhebung der Verjährungsfrist von sexuellem Missbrauch. Der Staat schützt die Täter, nicht die Opfer“, so seine Sichtweise.

Sein zweites, ebenso wichtiges Ziel ist ein „Akt der Versöhnung“, wie er sagt. „Ich beabsichtige eine gemeinnützige Stiftung zu gründen. 35 Jahre habe ich geschwiegen und war nicht in der Lage, über die sexualisierte Gewalt, die man mir angetan hat, zu sprechen. Das Tabu, das auf dem Thema sexualisierter Gewalt lastet, behindert massiv die Aufarbeitung für diejenigen, die sie erlebt haben. Ziel der Stiftung soll es sein, die Schweigemauer zu durchbrechen. Das schaffen die Opfer nicht allein und sind deshalb auf Hilfe angewiesen – auf Personen, die sich in der Öffentlichkeit gegen das Verschweigen, Verleugnen und Vertuschen von sexualisierter Gewalt einsetzen. Das erfordert Mut, und diesen gilt es zu unterstützen. Genau das soll die Stiftung leisten, indem sie einen Preis ausschreibt, der an Personen vergeben wird, die außergewöhnliches leisten, um Opfern zu helfen, ihr Schweigen zu brechen.“

Die Stiftung soll Transparenz fördern, besonders bei Berufsgruppen, die viel mit Kindern und Schutzbefohlenen zu tun haben wie Erzieher, Lehrer, Geistliche, Ärzte, Psychotherapeuten, Anwälte und Richter. Bei denen die Gefahr einer Vertuschung besteht, weil aus Korps-Geist Täter geschützt und Opfer bei der Aufarbeitung ihres Traumas behindert werden, so Norbert Denef.

Der Akt der Versöhnung bestünde darin, dass „nicht nur die Täter-Organisationen in die Stiftung einzahlen, sondern wir alle unseren Teil dazu beitragen“, sagt Denef. So würde bekannt, dass Menschen mit der Stiftung geehrt werden, die sich gegen das Verschweigen einsetzen. Zudem würden Betroffene und die Angehörigen „die Anerkennung finden, die sie so sehr zum Überleben brauchen.“

netzwerkB – Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt
Scharbeutz, Tel. 04503/892782, www.netzwerk.org

Quelle:
Ein Opfer klagt an: „Der Staat schützt die Täter“
sh:z/Schleswig-Holstein Journal, 19.10.2013, Text: Klaus Lohmann

Mehr auf netzwerkB:
Akt der Versöhnung – N. 555.086