Eine kleine Geschichte vom Rückblick in die Gegenwart der Zukunft?

von Beate Lindemann-Weyand

2010 fingen Betroffene nicht nur an zu sprechen, sie bekamen Gehör, Mikrofone, Räume in ersten mutigen Medien, Raum in der gesellschaftlichen Diskussion- jedenfalls dachten das viele.

Kirchliche Institution, staatliche, Familien und auch Odenwaldschule. Man sieht die Gebäude der Orte vor sich und einige wenige erwachsene Kinder, die sich zeigen können, weil es gibt viel zu verlieren, wenn man sagt, man habe sexualisierte Gewalt erleiden müssen- und das von renommierten Pädagogen, und auch von weniger Renommierten.

Unter dem Schutz von Persönlichkeiten, im Schutz einer Gesellschaft die immer noch Gänsehaut bekommt, wenn sie den „großen Mann“ vor sich sieht und daraufhin lieber ihre Kinder opfert, als die Zähne auszufahren, wie es der Mensch nämlich auch kann, wie es die Täter taten, nicht zur Verteidigung, sondern in Gewaltausübung an kostbaren Kindern.

Es bildeten sich Tische unter Ausschluss selbstbewusster fordernder Betroffener, denn Opfer sind gebrochen und dürfen nicht fordern, sonst sind sie keine!

Tische unter der Kontrolle jenseits jeder Betroffenen-Realitäten agierender hochrangiger Persönlichkeiten.

Diese konnten sich dann feiern und von nun an sagen: wir haben etwas Großartiges für die Betroffenen geschaffen, jetzt können wir uns angesichts verteilter Krumen und Mitleidsbekundungen zurücklehnen und auf von diesen Sorgen nicht mehr geschüttelten Kissen schlafen- keine Alpträume mehr von unzufriedenen Nervensägen wie diesen unsäglichen, nie klein zu kriegenden Betroffenen.

Wenn man dann doch etwas hörte, das einen selbst und eine wieder sehr schläfrige Gesellschaft störte, machte man einfach das eine Ohr zu, auf dem man noch nicht taub geworden war.

Irgendwo im Südwesten wurde es dann auch Mal lauter- im Jahre 2013. Da kam doch tatsächlich ein Politiker zur Entgegennahme eines Preises angereist. Aber was regten sich diese Leute so auf? Nur weil dieser Mann in einer französischen Talkshow vor einer halben Ewigkeit von kleinen Mädchen sexualisiert schwärmte? Nur weil er in einem seiner Bücher das Gleiche noch einmal tat, und das aus der Perspektive des „Erziehers“. Alles sowieso nur Phantasie! Ein paar Leute, die sich aufregen, das wird man schnell wieder los- außerdem ist bald Wahlkampf.

Undenkbar, dass Menschen wirklich und jenseits wahltaktischer Erwägungen gegen solche Verantwortungsträger vorgehen möchten, um Kinder zu schützen und den ehemaligen Kindern von damals ihre Solidarität und Unterstützung zu erklären?

Verjährungsfristen wurden verlängert. Nun war es immerhin so, dass die sexualisierte Gewalt, die Kinderkörper, Kinderseele, Kinderentwicklung alleine irgendwie aushalten musste- wenn es nicht zu Tode kam- nach 20 Jahren, ab dem 21. Lebensjahr gezählt, und auch nicht rückwirkend, eventuell noch Gültigkeit hat. Danach leider nicht mehr. Irgendwo muss ja auch Mal Schluss sein mit der Jammerei!

Für diese „Fälle“ ist niemand zuständig, und Derjenige, der dem Kind diesen unermesslichen Schmerz zufügte schon gar nicht, schließlich muss dem Rechtsfrieden Genüge getan werden.

Man kann einem Täter schließlich nicht zu Muten, nach so vielen Jahren noch für seine Taten verantwortlich gemacht zu werden. Da heißt es einfach„ A Ruah is“!

2013, auch ein Jahr der Aufdeckungen, eigentlich nichts Neues, denn es handelte sich nur um einen Abklatsch von vielem, das ja auch schon vorher Mal, bekannt war. Auch wenn man davon heute nichts mehr weiß, denn man kann ja nicht auf alles aufmerksam gewesen sein. Das wäre auch irgendwie aggressiv.

Damals, vor 2010, in jenen Zeiten, als es geschah und auch dann als es von mutigen sehr einsamen Inseln der Aufdeckungen in die Gesellschaft eingebracht wurde, wurde müde abgetan: was nicht sein kann, kann nicht sein. „Haltet doch den Mund!“

Was, die Grünen, da gab`s pädokriminelle Strömungen? Nein, ach was, das kann nicht sein! Da waren doch nur so ein paar Verrückte, die mal ein Podium stürmten. Was, Kinder waren da dabei? Naja, die waren ja irgendwie komisch und ungepflegt, man hätte natürlich…

Über die Kinder wurde sich weiter kein großer Gedanke gemacht. Wo kein Opfer da kein Täter und umgekehrt gilt Gleiches. Wo käme man da auch hin!

Das waren keine Täter, in den alternativen Strömungen- denn eigentlich waren sie ja sowieso alles selbst Opfer, ihrer Eltern- kein Wunder, da muss man sich ja befreien!

Und Gewalt kann das keine sein, weil sie ja die Friedlichen waren! Das waren doch die Harmlosen mit der Friedensbewegung und dem Strickpulli, die die sich selbst befreiten. Das waren doch die, die Kindern erst Mal ihre ihnen zustehenden Rechte zugestanden- das Recht auf Selbstbestimmung und die optimale Entwicklung! Keine Unterdrückung der Sexualität mehr- wir stellen alles auf den Kopf, nie wieder Prüderie!

Einfach das Gegenteil der Elterngeneration machen, dann wird’s schon Recht werden! Kommunen in denen alle die gleichen Rechte haben, sich zu befreien- auch die Kinder, wenn sie dazu kämen! Wovon auch?

Gewalt? Sexualisierte Gewalt? Nein, es ist doch keine Gewalt, es ist doch schön und eine besondere Zärtlichkeit, das kann doch gar keine Gewalt sein! Wie die verklemmten Leute da drauf kommen? Das ist nur Sexualfeindlichkeit!

Viele renommierte Wissenschaftler, und auch Politiker standen auf der Seite Derjenigen, die sich endlich austoben konnten, endlich keine Grenzen mehr, von niemandem, für niemanden! Wer nicht mitmacht ist „out“!

Die Kinder bekommen doch, was die Generation vor ihnen nie bekam: Aufmerksamkeit, und ihnen wurde geholfen sich völlig frei zu entfalten- so frei wie es deren Nahestehenden ihnen zeigten.

Und jetzt?

Es gibt auch 2013 nicht viele, die sich im Nachhinein beklagen. Wie auch, ihnen ging es doch gut, die Täter und Loyalen waren doch nette Leut, und auch keine Penner, die haben Karriere gemacht, die sind nach vorne soft, erfolgreich, die sind sich in ewiger Freundschaft verbunden…

Ja, früher, da war alles besser. Nein, nicht bei Adolf sondern damals, als man sich noch austoben konnte, ungestraft… bis heute, denn da gibt’s ja dem Himmel sei Dank die Verjährungsfristen!

Politiker vereinen sich nicht nur in Parteien, sondern in anderen Vereinigungen- merkwürdige Zufälle, wie man sich von früheren pädophilen Vereinigungen distanziert, im Brustton der Empörung, wie lange das doch schon so gehandhabt würde! Politische Entscheidungen haben natürlich nach wie vor nichts damit zu tun, dass man sich Mal näher war und wenn man sich jetzt über den Weg läuft, muss man selbstverständlich annehmen, dass das Zufall ist.

Das Neueste und doch schon gestern: ein Name taucht neben Politkern auf, die sich nicht reinwaschen müssen, weil niemand sie anklagt: Kinderschutzbund. Ein Bund also der Kinder schützt.

Und heute, heute steht doch tatsächlich in der „taz“, dass Herr Trittin mehr zu verantworten hatte, als er uns weiß machen wollte. Sein beständiges Schweigen seit Jahrzehnten, und bis heute, war wie das seiner Kollegen schon notorisch. Auch das Zurückweisen einer geradezu lächerlichen Forderung nach einer Anlaufstelle für Opfer pädokrimineller Machenschaften in der „Welt am Sonntag“ vom 11.8.2013, sprach für sich.

Schon im November 2012 zeigte die Partei auf ihrem Parteitag nur allzu deutlich ihre Praxis mit Betroffenen umzugehen, als sie Norbert Denef wenig soft von der Bühne warfen. Wenn man es nicht mehr verschweigen kann, schmeißt man eben vom Podium herunter. Eine Begründung findet man immer, das ist sicher!

Schaut man auf all das, was herauskommt und das muss noch nicht einmal genau sein- eröffnet sich eine klare Erkenntnis: die Gesellschaft macht sich selbst zu einer nur kurz aufschreienden Masse, dann aber wird einfach weitergegrast und alles bleibt beim Alten. Die „da oben“ können machen was sie wollen! Denn die wissen genau, wie wir „da unten“ ticken! Dazu muss man nicht Psychologie studieren, nur beobachten.

Wer glaubt, ohne personelle Konsequenzen und Gesetzesänderungen wird sich etwas ändern, der irrt gewaltig.

Und wo ist dafür der Beweis? Die Vergangenheit und die Gegenwart stehen uns glasklar vor Augen! Jeden Tag kommt ein vergangener Tag dazu, in dem nebulös und zugleich offensichtlich versickert, was uns alle schreiend machen müsste.

Es sollten alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um eine Anzeigenpflicht bei sexualisierter Gewalt ins Leben zu rufen- die Konsequenzen, dass dies nicht längst passiert ist, kann man an der Gegenwart ablesen!

Die Taten dürfen nicht verjähren, egal wie lange her, denn Verbrechen bleibt Verbrechen. Nur was ans Licht kommen kann, kann aufgearbeitet werden!

Die Täter müssen auch 50 Jahre später Täter genannt werden dürfen und die Opfer Opfer. Ohne dass Letztere sich auch nur einen Moment mehr zum Opfer machen müssten- was heute automatisch geschieht, in einer Gesellschaft in der sie die Verantwortung für das was ihnen angetan wurde, selbst tragen müssen und nicht sprechen dürfen, weil die Tat verjährt ist! Das ist so gut wie „nicht existent“ Und was nicht da ist, darum muss man sich auch nicht mehr kümmern!

All diesen Aufzählungen, bei denen so viele Orte und Ereignisse fehlen, weil unzählbar, ist eines gemein, auch 2013:

Es herrscht über allem, durch alle und alles hindurch zähes Schweigen, es tönt lauter als jede neue Nachricht, als jeder Schrei!

Deshalb geht nur weitermachen, nicht aufgeben, einen langen Atem für eine durchdringende Stimme aus unseren Kehlen! Wir werden nicht aufhören damit und eines Tages lauter sein als das gesellschaftliche Schweigen!

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