STIMME RUSSLANDS Vom 10 bis zum 16 Lebensjahr wurde Norbert Denef von einem Priester missbraucht. Als Entschädigung bekam Denef 25 000 Euro vom Bistum Magdeburg ausgezahlt.  Aber kann man ein kaputtes Leben mit 25 000 Euro wiedergutmachen?

Norbert Denef über sexualisierte Gewalt in Deutschland.

Norbert Denef, vom 10. bis zum 16. Lebensjahr von einem Priester missbraucht und vom Bistum Magdeburg mit 25 000 Euro entschädigt, fordert personelle Konsequenzen. Denef, Vorsitzender des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt, findet: „Cohn-Bendit muss zurücktreten.“ Eine Stellungnahme zu Cohn-Bendit gibt es von den Grünen nicht.

Herr Denef, eine der Hauptforderungen des „NetzwerkB„ ist die Aufhebung der zivilrechtlichen Fristen für Schadensersatz für die Betroffenen von sexualisierter Gewalt. Wie sieht die heutige Gesetzeslage aus und welche Änderungen des Gesetzes fordern Sie?

Norbert Denef: Ich möchte von hinten anfangen. Wir fordern die generelle Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt nicht nur im Zivilrecht, sondern auch im Strafrecht.
Denn nur im Zivilrecht die Verjährungsfristen aufzuheben – das bringt den Betroffenen nicht viel, denn ohne ein Urteil im Strafrecht ist eine Klage im Zivilrecht ist kaum möglich.

Heißt das, dass die Sexualstraftaten, die vor x-jahren begangen wurden, nicht strafrechtlich verfolgt werden?

Norbert Denef: Ja, das ist richtig. Wir diskutieren hier in Deutschland seit Anfang 2010, seit dem die Missbrauchsfälle im Canisius-Kolleg, der Odenwaldschule und anderen öffentlich wurden. Es ist klar geworden, dass die meisten Betroffenen erst nach Jahrzehnten darüber reden können. Und die neue Gesetzeslage, die die jetzige Bundesregierung CDU/CSU mit der FDP durchgesetzt hat, ist lediglich eine Erhöhung von drei Jahre. Das heißt 18 bis 21 Lebensjahr sind es jetzt.

Aus welchem Grund ist es so schwierig das neue Gesetz durchzusetzen?

Norbert Denef: Schauen Sie, bei diesem Thema – sexualisierte Gewalt – was immer noch in den Köpfen oben drin ist: Na ja, so schlimm war es ja nicht, denn so sehen die Gesetze aus. Die meisten, die bestraft werden, kommen mit Bewährung davon, wenn überhaupt, wenn es überhaupt zu einer Klage kommt. Also das Thema wird ganz klein gehalten. Das ist in den Köpfen noch so drin, dass es halt nicht so schlimm ist, dieses Verbrechen. Und genau das müssen wir ändern. Da müssen wir ansetzen. Wir müssen sagen: Wir brauchen die Aufhebung der Verjährungsfristen! Wir brauchen die Anerkennung dieses Verbrechens! Und vor allem die Anerkennung der Schäden, die dadurch entstehen, lebenslange Schäden. Und die Täter, die lachen sich ins Fäustchen und kommen, wenn überhaupt mit einer Bewährungsstrafe davon, und müssen für die Schäden in keinster Weise aufkommen.

Hängt dies ihrer Meinung nach damit zusammen, dass, sollte sich die Gesetzlage ändern, würden sich Opfer zu Wort melden, die möglicherweise das politische Leben manches Spitzenpolitikers gefährden würden?

Norbert Denef: Das sehen wir in den letzten Wochen, wenn da ein Forscher einige Akten öffnet, dann kann es sehr schnell dazu kommen, dass Politiker in Schwierigkeiten kommen, weil sie sich in der Vergangenheit für die Aufhebung der Pädokriminalität eingesetzt haben. Wie wir jetzt bei den Grünen sehen, oder bei den Liberalen. Aber es geht durch die ganzen Parteien, das betrifft im Prinzip alle. Das betrifft auch die Christlichen. Da haben wir in den letzten Jahren sehr viel sehen müssen, was an die Oberfläche gekommen ist. Ich denke, da ist sehr viel Angst mit drin. Sehr viel Angst auch vor der eigenen Geschichte, Angst davor entdeckt zu werden. Vielleicht auch, dass entdeckt wird, dass man auch Opfer ist, denn wer möchte schon Opfer sein?! In der Politik hat bis jetzt noch niemand öffentlich gesagt – ich wurde auch sexuell missbraucht. Im Deutschen Bundestag gibt es nicht einen einzigen, der den Mut hatte das zu sagen. Denn wenn er es täte, würde er von seinen eigenen Kreisen ausgegrenzt. Schauen Sie ein Beispiel: Ich habe 2011 beim Bundesparteitag der SPD die Möglichkeit gehabt drei Minuten für einen Antrag zu sprechen, bei dem es um die Aufhebung der Verjährungsfristen ging. Nach drei Minuten haben alle Deligierten einstimmig zugestimmt, dass die Verjährungsfristen aufgehoben werden sollen, und bis heute ist nicht wirklich viel passiert. Wobei die SPD die einzige Partei ist, die mit ihrer Forderung weiter geht als die anderen.

Bei dem Videoportal Youtube, ist eine Videoaufnahme von einer französischen Talk-Show zu finden, in dem Grünenpolitiker Daniel Cohn-Bendit über die Sexualität eines Kindes urteilt. Für ihn sei die, Zitat: „etwas Fantastisches“. In seinem Buch „Der große Basar“ beschrieb er seine sexuellen Erlebnisse mit fünfjährigen Kinder, in der Zeit seiner Beschäftigung im Kindergarten. Warum reagiert die Öffentlichkeit heute ganz lässig auf solche Entdeckungen? Warum beschäftigt so ein Verhalten der Politiker keinen?

Norbert Denef: Der Beweis dafür war, dass Cohn-Bendit noch den Theodor-Heuss-Preis bekommen hat, wir von „NetzwerkB“ haben dagegen noch eine Demonstration organisiert. Wir haben protestiert. Wir haben gesagt: Schämt euch! Erst dann ist man vorsichtig wach geworden. Seit dem gab es ja auch diese Welle, dass man gesagt hat – da muss etwas aufgearbeitet werden, bei den Grünen. Und das ist ein Schlag ins Gesicht, wenn so jemand einen Preis kriegt. Da hat man versucht das runterzuspielen. Im Fall Cohn-Bendit sagen wir:  Sie haben sich dafür eingesetzt, dass es überhaupt so weit kommen konnte in den 80-er Jahren. Das waren die Haupttäter, und die dürfen nicht in der Politik sein. Wir fordern den Rücktritt! Es kann nicht sein, dass solche Politiker in hohen Ämtern heute noch aktiv sind, und dafür sogar einen Preis kriegen.

Was ist Ihnen über die Opfer der Sexualstraftaten bekannt?

Norbert Denef: Ich schaue jetzt auf 20 Jahre zurück. Ich habe vor 20 Jahren mein eigenes Schweigen gebrochen, bin damit an die Öffentlichkeit gegangen.

Damals, als Sie an die Öffentlichkeit gegangen sind, wie ist es Ihnen damals ergangen? Haben Sie genug Unterstützung bekommen?

Norbert Denef: Nein! Das kann man heute noch klassisch nachlesen. Das habe ich schon damals in den Fachbüchern lesen können, was dann passiert, wenn man nach draußen ging.

Genau das ist auch eingetroffen. Das heißt die Abgrenzung aus der Familie. Ich habe das im Familienkreis bekannt gegeben im Beisein der beiden Täter.

Dann hat man mich von der Herkunftsfamilie bis zum heutigen Tag ausgegrenzt. Nicht nur aus der Familie, sondern auch aus der Kirchengemeinde und aus der ganzen Stadt.
Das heißt, wenn ich dort in die Stadt gehe, würde ich da nicht mehr alleine hingehen. Da gehe ich nur mit einem Fernsehteam hin, weil ich da Angst habe, dass irgendwelche Leute so viel Wut und Hass haben, dass sie mir was antuen könnten.

Daran erkennt man, auch an dem Weg den ich öffentlich gehe, wie die Familie, die Gesellschaft, wie die Politik…wie wir alle damit umgehen.
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