Als Filmemacher unterstütze ich seit 2009 das netzwerkB ideell, seit 2013 auch aktiv als Fördermitglied und neues Gesicht im Beirat des Vereins. Mein Dokumentarfilm „Wenn einer von uns stirbt, geh‘ ich nach Paris“ hat mir die Augen geöffnet, ich kann sie nicht wieder schließen. In dem Film geht es um sexualisierte Gewalt in meiner eigenen Familie. Jahrelang ist meiner Mutter von einem befreundeten Pater sexuelle Gewalt angetan worden – sie hat sich selbst getötet und dies als die letzte Freiheit in ihrem Leben begriffen, auch wenn es gar keine war – sie war nicht frei, sondern verfolgt von der Vergangenheit, die sie immer wieder einholte. Ich als Filmemacher und ihr jüngster Sohn bin nach Tod meiner Mutter 1996 dem Fall nachgegangen, habe keine Ruhe gegeben. Ich war der einzige in der Familie. Und bin es bis heute.

Der aufwühlende und viel diskutierte Film hat seine Wirkung nicht verfehlt. Am 19.11.2009 war die Premiere in Berlin. Knapp zweieinhalb Monate später brach ein Sturm der Entrüstung los, als die Missbrauchsfälle im Berliner Canisius-Kolleg endlich den Weg in die Öffentlichkeit fanden. Ein Zufall? Weitere Enthüllungen folgten bundesweit, Opfer trauten sich endlich, ihr Schweigen zu brechen, standen im Kinosaal auf und fassten ihren ganzen Mut zusammen. Immer wieder. Überall in Deutschland. Der Film gab und gibt einem einzelnen Opfer ein Gesicht, einen Namen und ein Stück weit auch die Würde zurück. Stellvertretend. Es war längst überfällig, dass Betroffene die Empathie und Anerkennung ihres Leid erhalten, das ihnen von der Gesellschaft verweigert wird. Noch immer. Sexualisierte Gewalt, eine der perfidesten Arten von Macht und Unterdrückung – darum geht es den Tätern vorwiegend, es passiert in mehr als 90 Prozent aller Fälle in engen Geflechten wie Familie, Kirche, Schule – dort, wo Vertrauen missbraucht werden kann, wo Nähe für Kinder zur Gefahr werden kann. So war es auch in der Familie meiner Mutter, eine ganz normale Familie – schwer zu ertragen, die Brutalität dieses Alltags, die Normalität und die Verschwiegenheit aus Angst und Scham.

Mein Film und die mehr als 40 Gesprächsrunden, denen ich beiwohnte, haben mir verdeutlicht, dass mein Film auch als Plädoyer für die Aufhebung aller Verjährungsfristen verstanden werden kann – ein wichtiger, politischer Vorstoß. Die Abwehr und der parteipolitische Widerstand dagegen ist nach wie vor groß. Zu groß. Das war auch schon 2009 so. Von der Aufhebung der Verjährungsfristen wollte keiner etwas wissen, außer das netzwerkB. Von sexualisierter Gewalt wollte keiner etwas wissen, obwohl es seit 30 Jahren bundesweit vom Frauennotruf thematisiert wird. Die Öffentlichkeit hat es ausgeblendet. So wollte auch kein Filmfestival meinen Film mit dieser Thematik 2008/2009 zeigen, nur hinter vorgehaltener Hand wurde mir beigepflichtet und Mut gemacht. Erst 2010 gab es das Filmfestival „This Human World“, das den Film für wichtig erachtet hatte und ihn in Wien zeigte – außerhalb von Deutschland, protegiert vom Frauenfilmfestival Wien. 2011 folgte 3sat und zeigte mein Werk als TV-Erstausstrahlung. Und die Diskussionen gehen weiter, ein Erfolg. Am 30.10.2013 wird „Wenn einer von uns stirbt, geh‘ ich nach Paris“, der erste Film seiner Art in Deutschland, erneut in einem Kino in Sinsheim vorgeführt mit anschließender Diskussion. Das macht Sinn für mich.

Den Beirat von netzwerkB zu bereichern macht genauso Sinn – mit meinem Gesicht und Idealismus. Ich habe mit meiner Filmarbeit versucht die Strukturen, die sexualisierte Gewalt erst ermöglichen, aufzuzeigen. Es sind die immer gleichen, egal ob vor 50 Jahren oder heute. Und ich habe damit etwas auf mich genommen, was nicht mehr rückgängig zu machen ist. Das war kein Spaziergang, von Kontaktsperre zur Familie und Klageandrohung mal abgesehen, ist es ein harter, steiniger Weg auch für Angehörige von Opfern sexualisierter Gewalt. Denn die Überlebenden, so wie meine Mutter bis zu ihrem Freitod mit 53, tragen den Tod in sich. Eine Wahrheit, die bis heute auch gerne ausgeblendet wird, der wir uns aber stellen müssen. Sonst greift der Tod auch in den nächsten Generationen weiter um sich – davon bin ich überzeugt. Gebt den Opfern ein Mitgefühl und nicht den Tätern, die weiter nur ihre Macht ausüben wollen. Da sind Pädokriminelle, Politiker und Kirchenvertreter gleich, es geht ihnen nur um Macht und Machterhalt. Das mag radikal klingen, muss aber auch mal gesagt werden dürfen.

Dafür mache ich mich stark – als neues Beiratsmitglied von netzwerkB und als Filmemacher, der sich weit aus dem Fenster gehängt hat und es immer wieder tun würde, solange, ja solange jedes dritte, vierte Mädchen und jeder siebte, achte Junge bei uns sexuelle und andere brutale Gewalterfahrungen über sich ergehen lassen muss und sich gesellschaftlich nichts ändert.

Filmemacher Jan Schmitt, Wiesbaden/ Berlin
http://www.schmitt-film.de/hintergrund.html


Jetzt netzwerkB noch stärker machen …