Gibt nicht auf: Auch nach Ende seines Hungerstreiks versucht Norbert Denef aus Scharbeutz seiner Forderung Nachdruck zu verleihen.

von Kay Müller

SCHARBEUTZ. Ein Ball kann mehr sein als ein Symbol. Norbert Denefs Ball ist zwei Meter hoch, und er lässt ihn nicht los. Der Ball gibt ihm Hoffnung, Hoffnung darauf, dass Sextaten an Kindern künftig nicht mehr zehn Jahre nach der Vollendung deren 18. Lebensjahrs verjähren. Für diese Forderung streitet Denef seit Jahrzehnten, auf den Tag genau vor einem Jahr ging er für 46 Tage in den Hungerstreik – doch das Gesetz ist immer noch nicht geändert. Was macht jemand, nachdem er vergeblich seinen Körper und seine Gesundheit eingesetzt hat, um für seine Forderung zu kämpfen?

Ein Jahr nachdem sich Norbert Denef für eineinhalb Monate nur von Säften und Tee ernährte, blinzelt der 64-Jährige in die Sonne über der Seebrücke in Scharbeutz. Hier will er heute erneut Vorstand seines Vereins netzwerkB werden, der die Interessen von Opfern sexueller Gewalt vertritt. Viele Missbrauchte bräuchten Jahre, um über ihre Erlebnisse sprechen zu können. „Wir wissen, dass es eine Menge sind, die statt zu schweigen, wieder erhobenen Hauptes durch die Straßen gehen sollten“, sagt Denef. Doch wenn ihn heute Betroffene fragen, ob sie sich öffentlich dazu äußern sollen, rät Denef meist ab. Dafür müsse sich erst die Gesellschaft ändern. Am Ende will Denef erreichen, dass Opfer später nicht selbst zu Tätern werden, dass weniger Kinder leiden müssen.

Und der Hungerstreik? „Der war ein riesiger Erfolg“, sagt Denef. Und: „Es war die beste Zeit, die ich bisher in meinem Leben hatte.“ Während des Hungerns habe er viel intensiver gelebt, so klar denken können, wie nie zuvor. Und natürlich war Denef, der viele Jahre technischer Leiter an Theatern war, auch auf der Bühne, denn die Journalisten standen Schlange vor seinem Reihenhaus in Scharbeutz (Kreis Ostholstein). „Ich kämpfe nicht für mich, ich kämpfe für alle, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind“, sagt Denef, der die Auswirkungen des Hungerstreiks noch immer spürt. Die Beine wollen noch nicht so ganz wie er will. „Aber es geht mir gut“, sagt der sportliche Mann, der jeden Morgen in der Ostsee schwimmt – Sommer wie Winter. „Ich wollte mich ja nicht zu Tode hungern, da habe ich aufgehört als es mir immer schlechter ging.“

Und nun?

Er demonstriert, sammelt Unterschriften, versucht Abgeordnete und Medien für sich zu gewinnen. Er redet viel, sehr viel, und er tritt in Talk-Shows auf, schreibt sogar Briefe an den Papst. „Johannes Paul II. hat mir geantwortet, ich solle vergeben – danach habe ich versucht, mich umzubringen. Vergebung gibt es nicht.“

Solche Sätze sagt Denef ganz unvermittelt. Er ist traumatisiert, ein Opfer sexuellen Missbrauchs – und er hat seinen eigenen Weg gefunden, damit zu leben. Ein besonderer Weg, in dem er seine Einfälle schon mal neben die eines Albert Einstein oder seine Taten in die Nähe der eines Mahatma Gandhi rückt. Das Trauma begleitet ihn: Von seinem 10. bis zu seinem 16. Lebensjahr wird Denef in seiner Heimatstadt Delitzsch in Sachsen als Messdiener von einem katholischen Priester missbraucht. Danach vergeht sich bis zum 18. Lebensjahr ein Kirchenmusiker an dem Jungen. Denef schweigt 35 Jahre, lässt sich sogar von dem Pfarrer trauen, der ihn missbraucht hat. Erst lange nachdem er Depressionen bekommt und über psychische Störungen liest, kann er sein Schweigen brechen. Als er die Täter anzeigen will, sind die Taten jedoch verjährt. Denef schreibt ein Buch: „Ich wurde sexuell missbraucht.“ Die letzten Exemplare hat er gerade an Interessierte verschenkt, mehr als 200 Leute hätten es haben wollen, sagt Denef.

Politische Unterstützung bekommt er vor allem von der SPD, aber dass die Verjährungsfrist aufgehoben wird, ist nicht in Sicht. Doch Denef ist sich sicher, dass sie irgendwann kommt. Wenn sie da ist, und er potente Geldgeber für eine Stiftung für sexuell Missbrauchte ins Leben gerufen hat – dann will er „Ruhe geben“. Vielleicht sogar den Ball, das Symbol seines Netzwerkes los und über die Ostsee schwimmen lassen.

Doch bis dahin macht er weiter – mit spektakulären Aktionen. Und nochmal einen Hungerstreik? Nein, das müsste dann schon etwas Neues sein, sagt Denef. „Dann bleibt nur der Hungerstreik bis zum Tod, so wie Gandhi das angekündigt hat – das wäre noch etwas.“ Gandhis Aktion habe zur Unabhängigkeit Indiens geführt, nicht weil die Briten vor ihm Angst gehabt hätten, sondern weil sie Angst vor der Gesellschaft hatten, die eine Revolte hervorgerufen hätte. Denef: „Aber wenn ich mich heute zu Tode hungern würde – das würde keinen interessieren.“
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