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Der Bundesgerichtshof bestätigte im Dezember 2012 das Urteil des Landgerichts Osnabrück, dass ein pädokrimineller Täter Schmerzensgeld an sein Opfer zu zahlen habe. Das Opfer, heute Polizist von Beruf, war im Alter von 11 Jahren und später unter anderem gezwungen worden, Oralverkehr mit dem Täter vorzunehmen, ferner hatte der Täter in den Mund des Opfers uriniert.

Das Opfer litt als Folge einer psychischen Traumatisierung an einer retrograden Amnesie. Das Erinnerungsvermögen setzte erst wieder ein, als ihm seine Schwester offenbart hatte, ebenfalls vom Täter missbraucht worden zu sein.

Der aus diesen Verletzungshandlungen folgende Schmerzensgeldanspruch war nach Feststellung der Gerichte nicht verjährt, weil die Verjährungsfrist erst mit Kenntnis des Geschädigten beginnt.

Norbert Denef, Vorsitzender des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt, nimmt zum Urteil des Bundesgerichtshofs folgendermaßen Stellung:

  1. Nachweislich handelt es sich hier um einen Serientäter. Die Problematik von pädokriminellen Tätern, die sich systematisch über Jahre und Jahrzehnte hinweg unerkannt und daher unbehindert Opfer aussuchen können, wird in der Gesellschaft und in der Wissenschaft noch nicht ausreichend verstanden. Man geht fälschlich und zu oft von „Einzeltaten“ und „Fehltritten“ aus. Hinweise auf den Täter werden im verantwortlichen Umfeld oftmals sogar vertuscht, ohne dass dieses strafbar wäre. netzwerkB spricht sich daher für eine Anzeigepflicht aus, wie sie von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries bereits 2003 dem Bundestag als Gesetzesentwurf vorgelegt  wurde.
  2. Das vorliegende Urteil verschafft im Einzelfall den Betroffenen, die an einem postraumatischen Belastungssyndrom leiden, mehr Rechte. Doch bleibt den Opfern auch die Beweislast auferlegt, ob und wie lange ihr Erinnerungsvermögen beeinträchtigt war. Auch im vorliegenden Fall musste das Opfer hierzu ein Gutachten erstellen lassen. netzwerkB fordert daher die generelle und vollständige Abschaffung der Verjährungsfristen im zivilrechtlichen und im strafrechtlichen Bereich für Delikte von sexualisierter Gewalt.
  3. Im Zusammenhang mit Rechtskosten und Gutachterkosten darf es nicht zu weiteren Benachteiligungen für Opfer von Gewalt kommen, die sozial schwächer gestellt sind, darunter oftmals Frauen. Allein die Kosten für Gutachten bewegen sich im Kostenrahmen von mehreren tausend Euro. netzwerkB nahm bereits gegen den von Bund und Ländern geplanten Abbau von Leistungen  der Prozesskostenhilfe Stellung (Pressemitteilung vom 27.01.2013 http://netzwerkb.org/2013/01/27/schwarz-gelb-will-waffengleichheit-einschranken/) und wiederholt an dieser Stelle ausdrücklich die Kritik, dass die Politik hier unter anderem auch Gewaltopfer schlechter stellen will. Von einer Gesellschaft, die Gewalt ächten will, erwarten wir etwas anderes.
  4. Wir halten das von den Gerichten in diesem Fall ausgesprochene Schmerzensgeld in Höhe von 7.500 Euro für zu niedrig. Ein solcher Betrag mag sich im allgemeinen Rahmen der Beträge bewegen, die für Schäden an Körper und Psyche sowie in der weiteren sozialen und berufliche Entwicklung von der Rechtsprechung angesetzt werden – der tatsächliche Schaden und das tatsächliche Leid wird hier jedoch in keiner Weise gerecht kompensiert. netzwerkB fordert eine komplette Überarbeitung und Reform des Schadensersatzsystems für Schäden an der Gesundheit und ihren Folgen in der Gesetzgebung und der Rechtsprechung.

Die vollständigen Urteilsbegründungen in diesem Verfahrensgang können hier eingesehen werden:

LG Osnabrück, 29.12.2010, Az. 12 O 2381/10
http://openjur.de/u/326313.html

OLG Oldenburg, 12.07.2011, Az. 13 U 17/11
http://openjur.de/u/327047.html

BGH, 04.12.2012, Az. VI ZR 217/11
http://openjur.de/u/597180.html 

Die Presseabteilung des BGH ist folgendermaßen zu erreichen:

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

Für Journalisten-Rückfragen:
netzwerkB – Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt e.V.
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