● Die Deutsche Bischofskonferenz hat am Mittwoch hat den Drittmittelvertrag mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut (KFN) aufgekündigt. Damit steht die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche wieder am Anfang. Überrascht sie die Kündigung?
Nicht wirklich. Wir hatten schon Bedenken, als die Zusammenarbeit im Juni 2011 angekündigt wurde. Zu glauben, die Kirche hätte Interesse an einer ehrlichen Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, ist so, als würde man glauben, die Mafia könnte ihre Verbrechen selber aufarbeiten.
● Was hat Sie damals so skeptisch gemacht? Immerhin war den Forschern vom KFN ja umfassender Aktenzugang garantiert worden. In einigen Diözesen sollte dies gar für alle Personalakten seit 1945 gelten.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine Organisation freiwillig die Akten rausgibt, in denen die Verbrechen von Mitarbeitern und das Mitwissen von deren Vorgesetzen dokumentiert wurden.
● War der der Chef des KFN, Christian Pfeiffer, zu blauäugig, als er sich auf das Projekt einließ?
Es war halt ein Versuch. Prof. Pfeiffer ist ein sehr anerkannter Wissenschaftler, der ganz sachlich vorgegangen ist und die Aufarbeitung wissenschaftlich betreiben wollte, indem er auch Doktoranden mit einbezog. Und jetzt sagt die Kirche, wir wollen nur veröffentlichen, was zuvor unsere Zustimmung bekommen hat. Sie zensiert ihn und seine Arbeit. Das ist keine Wissenschaft. Diese muss neutral und komplett unabhängig forschen können. Darum ist der nun erfolgte Bruch einfach nur konsequent.
● Die Deutsche Bischofskonferenz sucht nun nach einem neuen Institut. Das wirft die Aufarbeitung doch um Jahre zurück.
Es gab doch noch gar keine Aufarbeitung, die diesen Namen verdient hätte. De facto ist auch seit 2010 nichts passiert. Staat und Kirche sind immer noch eng verwoben. Da kann eine ehrliche Aufarbeitung nicht funktionieren.
● Was müsste ihrer Meinung denn geschehen?
Wir brauchen eine Anzeigepflicht, damit interveniert werden kann, wenn Missbrauchsfälle bekannt werden. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen können das in der Regel nicht selbst leisten. Neben den Tätern müssen auch Vorgesetzte, die ihre Mitarbeiter decken, gesetzlich zur Verantwortung gezogen werden können. Zudem muss das Schadensersatzrecht reformiert werden. Wir fordern mindestens 100 000 Euro als Kompensation dort, wo sich neben den die Leiden der Betroffenen ebenso auch Einschränkungen im privaten und beruflichen Bereich durch die Gewaltwiderfahrnis und gesundheitlichen Folgen der Betroffenen ergeben haben. Was hier bislang nach jahrelangen Verhandlungen als Abfindung angeboten wird, entspricht nicht dem Schaden und widerspricht dem Prinzip der Menschenwürde.
● Aber die Bischöfe berufen sich auf das Kirchenrecht …
Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Die Kirchen und ihr Umfeld dürfen nicht mehr ausserhalb der Rechtsstaatlichkeit stehen.
● Tun sich »christliche« Parteien nicht ohnehin schwer, der Kirche konkrete Vorgaben zu machen?
Das ist ja der Filz, den wir kritisieren. Wie kann ich der Kirche schmerzhafte, aber notwendige Vorschriften machen, wenn ich selbst dieser Organisation nahestehe? Wir brauchen eine klare Trennung von Staat und Kirche. Der Staat ist dem Grundgesetz verpflichtet und muss seine Bürger schützen.
● Sie selbst wurden als junger Messdiener missbraucht und haben dies vor 20 Jahren öffentlich gemacht. Hat sich die Kirche je bei ihnen entschuldigt?
Nein, nicht mit einem Wort.
Fragen: Fabian Lambeck
Quelle: Neues Deutschland
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