KÖLN/MZ. Der Missbrauchsskandal in der Katholischen Kirche ist durch das Zerwürfnis mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer plötzlich wieder zum Thema geworden. Harald Biskup sprach darüber mit Norbert Denef (63), Vorsitzender des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt.

„Was die Kirche macht, ist Manipulation“Opfer-Sprecher Denef hält den Vorwurf der Zensur für glaubhaft Wie beurteilen Sie das Scheitern des Aufklärungs-Projektes?

Norbert Denef: Das hatte sich ja schon abgezeichnet, und ich fühle mich mit meinen Befürchtungen bestätigt. Das Modell konnte auf der Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung der katholischen Kirche einfach nicht funktionieren. Die gemeinsame Unterzeichnung des Vertrags durch den Vertreter der Bischofskonferenz und den Kriminologen Christian Pfeiffer war eine große Aktion für die Presse. Passiert ist danach nichts mehr.

Am Anfang hatte man durchaus den Eindruck, dass es aufseiten der Amtskirche, getrieben vom Mut der Verzweiflung, einen ernsthaften Aufklärungswillen gab.

Norbert Denef: Der stand auf dem Papier, aber letztlich gilt auch hier der alte Bibelspruch: An ihren Taten werdet ihr sie erkennen. Die katholische Kirche als hierarchisch strukturierte Organisation hätte die Riesenchance gehabt – und sie hat sie immer noch – zu sagen: Wir setzen jetzt ein Zeichen und machen den Weg frei, indem wir die von meiner Vereinigung und vielen Opfern seit langem geforderte Aufhebung von Verjährungsfristen bei Sexualstraftaten vorantreiben.

Fehlt es der katholischen Kirche trotz aller Bekundungen an der wirklichen Bereitschaft zu einer schonungslosen Offenheit bei den Missbrauchsfällen?

Norbert Denef: Seit drei Jahren wird das Thema jetzt öffentlich diskutiert, aber es ist im Grunde nichts passiert. Auch der Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“, bei dem ja Politik und Kirche einen gemeinsamen Weg gegangen sind, hat aus Sicht der Betroffenen komplett versagt. De facto hat sich nichts verändert.

Was halten Sie von der Ankündigung der Kirche, nach dem Bruch mit Christian Pfeiffer einen neuen wissenschaftlichen Partner zu suchen?

Norbert Denef: Wir haben den Verdacht, dass die Kirche an einer wirklichen Offenlegung aller Daten nicht interessiert ist und halten den Zensur-Vorwurf von Professor Pfeiffer für glaubhaft. Wenn man sich jetzt einen anderen Gutachter sucht, der zu Bedingungen arbeiten soll, die von der Kirche diktiert werden, hat das mit wissenschaftlicher Aufarbeitung nichts zu tun. Man kauft sich sozusagen Leute, die das Ergebnis liefern, das man haben möchte. Das nenne ich Manipulation statt Objektivität.

Wie groß ist der erneute Vertrauensverlust, der durch die Aufkündigung des Projektes entstanden ist?

Norbert Denef: Da war leider nicht mehr viel zu verlieren, weil es von Anfang an bei sehr vielen Opfern an Vertrauen gegenüber der Institution Kirche gemangelt hat. Die Kirche könnte eine Pionierrolle übernehmen und dadurch sicher viel verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen, wenn sie im Sinne einer Abschaffung der Verjährungsfristen auf den Gesetzgeber einwirken würden. Die Schweiz hat uns gerade vorgemacht, dass in dieser Frage Bewegung möglich ist.

Wie entscheidend ist die finanzielle Wiedergutmachung für Opfer sexueller Gewalt?

Norbert Denef: Sehr wichtig, im Wortsinn von überlebenswichtig. Aber die von Politik und Kirche vereinbarten Entschädigungssummen für Therapiekosten (die Kirche zahlt pro Fall 5000 Euro, d.Red.) ist keine angemessene Kompensation, sondern bloß ein Almosen.

Quelle: http://www.mz-web.de