Von Norbert Denef

Vor 20 Jahren habe ich bei einem Geschwistertreffen im Beisein der beiden Täter mein Schweigen gebrochen und sprach zum ersten Mal den Satz aus, nachdem ich ihn ein Jahr lang vor einem Spiegel heimlich geübt hatte: „Ich bin sexuell missbraucht worden.“
35 Jahre lang hatte ich geschwiegen.

Die Erinnerungen an die ersten Jahre nach dem Bruch meiner Schweigemauer sind schmerzhafte Wunden die immer wieder aufreißen, denn es hat sich in unserer Gesellschaft am Leid der Betroffenen von sexualisierter und anderen Formen von Gewalt nicht‘s verändert – die Politik lässt uns Betroffene im Regen stehen, schützt lieber die Täter.

Nach meinem Bruch der Schweigemauer wollte ich eine Anzeige aufgeben, um eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Eine seriöse Zeitung sollte es sein und so kam ich auf die Frankfurter Rundschau. Die teilte mir mit, dass in der Frankfurter Rundschau keine Anzeigen zur Gründung einer Selbsthilfegruppe „Sexueller Missbrauch“ veröffentlicht werden. Bei dieser Entscheidung würde es sich um eine Grundsatzentscheidung handeln.

Alles muss raus! – dazu hatte ich mich entschlossen und keine Zeitung der Welt sollte mich davon abhalten. Aber so einfach war das nicht. Denn eigentlich wollte ich mit meiner Geschichte nicht an die Öffentlichkeit gehen – ich suchte nur Hilfe bei der Aufarbeitung.

Diese Absage der Frankfurter Rundschau liess mir keine andere Wahl. Um Reklame für meine Selbsthilfegruppe zu bekommen, rief ich wieder die Frankfurter Rundschau an, aber diesmal nicht die Anzeigenabteilung sondern den redaktionellen Teil der Zeitung. Ich schlug dem Redakteur vor, dass er von mir eine Kirchen-Missbrauchsgeschichte mit Namen und Telefonnummer bekommt und er macht Reklame für meine Selbsthilfegruppe. Er stimmte zu. Wenige Tage danach erschien meine Geschichte zum ersten Mal in der Zeitung: „Missbrauch: Erfahrung beider Geschlechter“

Mein erstes Ziel hatte ich erreicht, die Gründung einer Selbsthilfegruppe. Ich wollte im Kampf gegen das Verschweigen sexualisierter Gewalt nicht mehr allein sein.
In dieser Gruppe habe ich gelernt, über Gefühle zu sprechen.

In regelmäßigen Abständen versuchten wir die Medien dazu zu bewegen, über unsere Selbsthilfegruppe zu berichten, um immer wieder neue Mitglieder anzusprechen. Denn nicht alle wollten/konnten diese Schwerstarbeit der Aufarbeitung regelmäßig leisten.

Die Offenbach Post berichtete ein Jahr nach Beginn der Selbsthilfegruppe mit der Überschrift „Selbsthilfegruppe will Mauer des Schweigens durchbrechen“ und ein Jahr später mit „Gruppe rettet vor Fall in den Abgrund“.

Nach dem die Selbsthilfegruppe, nach zweijährigem Bestehen, im Frankfurter Raum immer bekannter wurde und auch Therapeuten Betroffene an uns verwies, berichtete die Frankfurter Rundschau, „Endlich reden zu dürfen: Welch eine Erleichterung“.

Ich wollte weiter, nicht nur im stillen Kämmerlein darüber reden, sondern war bestrebt, die Verbrechen der römisch katholischen Kirche, welche an mir begangen wurden, aufzuarbeiten. Diesbezüglich bat ich die Leipziger Volkszeitung, eine Anzeige von mir zu veröffentlichen, um Kontakt mit weiteren Opfern von meinen beiden Tätern aufzunehmen. Ich bekam eine Absage mit dem Hinweis, dass ich mit meinem 35jährigen Schweigen dem Täter zu dessen Vorteil verholfen hätte. Nach 20 Jahren sei in der Regel eine solche Tat verjährt. Daher würde es wenig Sinn machen, journalistisch so spät auf diese Problematik einzugehen.

Dies ist nun 20 Jahre her – Geschichte also!

Was hat sich seit dem verändert?

Man sollte meinen, heute sei alles besser, weil unsere Politiker etwas für die Betroffenen getan hätten. Das ist ein Irrtum! Denn die Täter werden nach wie vor durch Verjährungsfristen geschützt.

Allen MitstreiterInnen, Spendern und Freunden von netzwerkB wünsche ich hiermit für das Jahr 2013 alles Liebe und Gute.

Möge es uns gelingen niemals aufzugeben!

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