Badische Zeitung 19.07.2012
Hungern für eine Gesetzesänderung: Norbert Denef fordert die Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexueller Gewalt. Deshalb ist der Sprecher eines Opferverbandes in den Hungerstreik getreten.
SCHARBEUTZ (dapd). Norbert Denef, der Sprecher des Opferverbandes „netzwerkB“, ist im Hungerstreik. Seit sechs Wochen nimmt er nur Wasser, Tee, Limonensaft und Gemüsewasser zu sich. Damit will der 63-Jährige für die Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt kämpfen. Wie lange noch, das will der in Scharbeutz (Kreis Ostholstein) lebende Denef von Tag zu Tag entscheiden.
Er lasse sich von niemandem unter Druck setzen. „Ich habe immer gesagt, dass ich mich nicht umbringen will“, sagt Denef. Appelle von Politikern wie Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) oder die Anzeige eines Kieler Grünen-Politikers, um ihn zur Aufgabe zu zwingen, seien deshalb völlig unnötig.
35 Jahre lang hat Denef zu den traumatischen Ereignissen aus seiner Kindheit und Jugend geschwiegen. Als er nach Depressionen, Panikattacken und Burnout soweit war, darüber zu reden, sind die Taten bereits verjährt. Bei sexueller Gewalt ist dies nach deutschem Strafrecht nach zehn Jahren der Fall, in besonders schweren Fällen nach 20 Jahren.
Mit zehn Jahren war der damalige Ministrant in seiner Heimatstadt Delitzsch von einem katholischen Pfarrer missbraucht worden – das Drama dauerte sechs Jahre. Danach kam ein weiterer Kirchenangestellter. Denefs Martyrium endete erst im Alter von 18 Jahren. Noch heute leidet der Rentner an den Folgen.
Die Missbrauchsfälle des Pfarrers seien in seiner Heimat lange bekannt gewesen. Immer dann, wenn in einer Gemeinde darüber bereits gesprochen wurde, sei der Pfarrer „über Nacht in eine andere Gemeinde versetzt worden“. „Insgesamt hat der mittlerweile verstorbene Pfarrer nach meinen Erkenntnissen 150 bis 200 Kinder und Jugendliche missbraucht“, sagt Denef.
„Ab 10 missbraucht bis 18 und ab dann nur noch funktioniert“, sagt Denef heute über die Zeit danach. Mit 40 Jahren sei er jedoch am Ende seiner Kräfte gewesen. 2003 habe er zwar 25 000 Euro für eine Therapie vom Bistum Magdeburg angeboten bekommen, jedoch nur, wenn er wieder schweigt. Denef wandte sich an den Papst und bat ihn um Hilfe.
Ein halbes Jahr später erhielt er sogar eine Antwort aus dem Vatikan. „Der Papst ließ mir mitteilen, dass er für mich bete und mich ermutigt, den Allmächtigen Gott um die Kraft der Vergebung zu bitten.“ Nach diesem Schreiben hat Denef versucht, sich das Leben zu nehmen. Nach zweijährigem juristischem Kampf wurde die Schweigeklausel gestrichen.
Die Sache ruhen lassen wollte und konnte er trotzdem nicht. Denef schrieb ein Buch über sein Leiden („Ich wurde sexuell missbraucht“) und gründete den Verein „Netzwerk B“ (Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt). Aus der katholischen Kirche ist Denef bereits vor Jahren ausgetreten. In seinem Kampf für eine Aufhebung der Verjährungsfristen setzt Denef vor allem auf die SPD.
Ende 2011 sprach er auf dem SPD-Bundesparteitag in Berlin über die Leiden der Betroffenen. Kurz nach seiner dreiminütigen Rede habe der Parteitag sich einstimmig für die Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt ausgesprochen, sagt Denef. Anschließend kamen Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig zu ihm und umarmten ihn zustimmend.
Erst am Freitag suchte Norbert Denef in Berlin vor dem Reichstag erneut das Gespräch mit Vertretern der SPD. Er wollte die Sozialdemokraten motivieren, sich auf die Seite der Betroffenen zu stellen. Besucht hat ihn keiner der Abgeordneten. „Die Politik braucht Druck, damit sie zu einer Entscheidung kommt“, sagt Denef. Jeder Tag seiner Aktion sei deshalb bereits ein Erfolg.
Als Erpressung der Politik will er seine Aktion nicht verstanden wissen. „Ich bin kein Terrorist, ich möchte der Politik nur den Spiegel vorhalten.“ Nebenbei habe er mittlerweile mehr als 63 000 Unterschriften für sein Anliegen gesammelt. Dennoch sei der Weg bis zu einer Aufhebung „unglaublich lang“. Aufgeben will er nicht, auch wenn der Hungerstreik in wenigen Tagen aus gesundheitlichen Gründen vorbei sein könnte. Mittlerweile hat er zwölf Kilogramm abgenommen.
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