Hamburger Abendblatt 13.07.2012

Marlies Fischer

63-Jähriger aus Scharbeutz kämpft damit gegen die Verjährung von Sexualstraftaten

Scharbeutz. Norbert Denef will sich nicht selbst erpressen. „Ich entscheide jeden Tag neu, ob ich weitermache.“ Weitermachen mit dem Hungerstreik, den der 63-Jährige am 8. Juni begonnen hat. Der Mann mit der sportlichen Figur hat mittlerweile zwölf Kilo abgenommen und kämpft in seinem Reihenhaus in Scharbeutz mit dieser Aktion gegen die Verjährung von Sexualdelikten.

Norbert Denef aus Delitzsch in Sachsen ist ein Missbrauchsopfer in der katholischen Kirche. Er wurde in den 50er- und 60er-Jahren als Teenager im Bistum Magdeburg von einem Priester und einem Kirchenmitarbeiter sexuell missbraucht, jahrelang. Mittlerweile ist er Sprecher des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt.

Bisher verjähren nur Mord oder Völkermord nicht. Sexuelle Gewalt verjährt im Strafrecht zehn Jahre nach dem 18. Geburtstag des Opfers, in besonders schweren Fällen nach 20 Jahren. Zivilrechtliche Ansprüche wie Schadenersatz oder Schmerzensgeld verfallen nach drei Jahren. Weil aber Missbrauchsopfer aus Scham oft jahrelang schweigen, werden die Täter nicht rechtzeitig zur Rechenschaft gezogen. Wie bei Norbert Denef.

Er konnte erst 35 Jahre nach dem Missbrauch darüber sprechen, was seine Peiniger ihm angetan hatten. 2005 erhielt er zwar 25 000 Euro als Entschädigung vom Bistum Magdeburg. Er schrieb auch ein Buch über seine Qualen. Aber für Norbert Denef ist die Geschichte nicht vorbei.

„Ich verstehe mein Engagement jetzt als Job, ein Sprachrohr zu sein für die Sprachlosen“, sagt Denef. Therapie sei sein Einsatz nicht. „Das ist für mich die Ostsee, deshalb bin ich vor dreieinhalb Jahren hierhergezogen.“

Im vergangenen Dezember hat der frühere Katholik auf dem Bundesparteitag der SPD als Gastredner über die Situation und Leiden der Opfer gesprochen. Der Parteitag beschloss einstimmig, sich für eine Aufhebung der Verjährungsfristen im Bundestag einzusetzen. „Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft kamen und haben sehr persönlich mit mir gesprochen“, sagt Denef. „Aber politisch ist nichts passiert, es heißt, es gebe keine Mehrheit für dieses Vorhaben.“

Deshalb also verzichtet Norbert Denef jetzt aufs Essen. Er trinkt nur Tee und Gemüsebrühe, Wasser und Limonensaft. „Ich habe schon häufiger gefastet, werde von meinem Hausarzt und meiner Frau, die Krankenschwester ist, sehr gut betreut“, sagt Denef und will damit Zeitgenossen, die seine Aktion für gefährlich halten, beruhigen. Außerdem hat er mehr als 60 000 Unterschriften für sein Anliegen gesammelt.

Heute wird der Aktivist nach Berlin gefahren und sich auf der Wiese vor dem Reichstag aufhalten. „Ich habe einen Stuhl und eine Decke dabei, meine Frau begleitet mich.“ Norbert Denef möchte SPD-Politiker fragen, wie sie zum Parteitagsbeschluss stehen. Verabredungen hat er nicht getroffen. „Mal sehen, wer kommt.“

Quelle: http://www.abendblatt.de/region/article2337282/Missbrauchsopfer-im-Hungerstreik.html


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