Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag 13.07.2012
Norbert Denef will Opfern mehr Zeit für die Verfolgung von Tätern verschaffen – er fordert von der Politik das Ende der Verjährungsfrist
Seit 36 Tagen verweigert Denef die Nahrung. Der gelernte Elektriker ist glücklich verheiratet, lebt in einem Reihenhaus in Scharbeutz, zehn Minuten vom Ostseestrand. „Mit der Ostsee“, sagt Norbert Denef, „verbinde ich positive Kindheitserinnerungen.“ Gelitten hingegen hat er im Pfarrhaus von Delitzsch bei Leipzig. Er war neun Jahre alt und Ministrant, als ein Missbrauch begann, der neun Jahre andauern sollte. Erst war es der Pfarrer der Kirche „Unbefleckte Empfängnis Mariens“, der sich an ihm verging, später der Kantor.
Die Taten sind der Grund für seinen Hungerstreik, für dieses Aufbäumen gegen Kirche, Parteien und Bundestag. Norbert Denef hat bereits viel erreicht. Er war das erste Opfer, das die katholische Kirche für erlittenen sexuellen Missbrauch entschädigte. Zuvor hatte Denef den Pfarrer angezeigt, den Kantor ebenfalls. Beide gestanden, die Kirche aber kämpfte unbeirrt weiter um ihren Ruf. „Der Papst schrieb mir, ob ich nicht vergeben könnte“, erzählt Denef. Ohnmächtig sei er damals gewesen und wütend. Aber er hat nicht aufgegeben.
„Ich habe das Gefühl, ich drehe mich im Kreis“
25.000 Euro zahlte das Magdeburger Bistum ihm 2005, forderte dafür eine Schweigeverpflichtung – über die Taten und die Entschädigung. Dagegen kämpfte Denef zwei Jahre, am Ende gab die Kirche klein bei. Und Norbert Denef sprach laut über den Missbrauch. Er ist der Gründer von „NetzwerkB“, dem Netzwerk Betroffener, mittlerweile der größte Verband von Missbrauchsopfern in Deutschland. So wie Mord soll nach dem Willen von Denef nun auch sexueller Missbrauch nicht verjähren, und er begründet das so: „Um den Schmerz ertragen zu können, kapseln missbrauchte Kinder das Erlebte ab. Meist können sie erst darüber sprechen, wenn sie 40 oder 50 Jahre alt sind. Doch dann ist die Tat längst verjährt, die Täter kommen davon.“
Doch die Verjährungsfrist im Strafrecht hat ihren Grund. Rechtsanwalt Jan Weiss aus Eutin erklärt: „Sie dient der Gesellschaft als Instrument des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit. Beides soll, gestaffelt nach der Schwere des Deliktes, irgendwann eintreten.“ Denef kennt diese Argumentation, in seinen Augen nutzt sie nur den Tätern: Für sie ist die Tat tatsächlich schon lange Vergangenheit, während sie für die Opfer erst in der Gegenwart ihren Schrecken entfaltet. Auf dem letzten Bundesparteitag der SPD im Dezember 2011 bekam Denef für seine Rede gegen die Verjährungsfrist Standing Ovations von allen Delegierten, die stellvertretende Bundesvorsitzende Hannelore Kraft umarmte ihn innig. „Passiert ist nichts“, erklärt er. Kein Antrag sei gestellt worden, und an den Runden Tischen säßen nur „Opfervertreter, die alles abnicken“, was die Politik ihnen vorbete. denef sagt: „Ich habe das Gefühl, ich drehe mich im Kreis. Deshalb habe ich nun innegehalten.“
Gewaltfreier Protest
Der Politik scheint sein Hungerstreik nicht zu passen. Ein Mitglied der Kieler Grünen habe ihn angezeigt, damit er aufhöre, sagt Denef. Und Manuela Schwesig vom Bundesvorstand der SPD rief ihn persönlich an. Sie hoffe, dass er seinen Hungerstreik beende. Sie mache sich Sorgen um seine Gesundheit. „Sie sollte sich Sorgen um die Kinder machen, war meine Antwort.“ Norbert Denef bestreitet, den Staat erpressen zu wollen. Sein Hungerstreik sei keine Drohung mit Selbstmord. „Wie mein Vorbild, Mahatma Gandhi, protestiere ich gewaltfrei und halte Gesellschaft und Politik den Spiegel vor.“
Sein Arzt hat gesagt, nach sechs Wochen werde es kritisch. Norbert Denef sagt, dass er nicht aufgeben werde.
Hinterlasse einen Kommentar