Publik-Forum 06.07.2012

Norbert Denef wurde als Kind missbraucht. Jetzt ist er 63 und im Hungerstreik – gegen die Verjährung des Verbrechens

Er liest. Er trinkt Tee und Wasser. Und er schreibt Mails an Journalisten, in denen er berichtet, wie es ihm geht – nach fast vier Wochen im Hungerstreik. Lange kann er nicht mehr durchhalten. »Ich entscheide täglich neu, ob ich jetzt noch weitermache oder nicht«, sagt Norbert Denef.

Der Streik, dem sich zwei weitere Männer und drei Frauen angeschlossen haben, richtet sich gegen die Verjährung sexueller Gewaltverbrechen. Norbert Denef hat solche Gewalt als Kind erlebt. Über Jahre wurde er erst von einem Priester, dann von einem Kantor missbraucht. Der Priester lud ihn, den kleinen Messdiener, in seine Wohnung ein; dort begann, was der damals 10-Jährige nicht fassen konnte. »Die Wohnung lag an einer viel befahrenen Straße. Mir geht es heute noch so, dass ich Auto-Lärm nicht ertragen kann, weil er mich daran erinnert, was der Pfarrer mit mir tat.«

Jahrzehntelang schwieg Denef über das, was er erlebt hatte. Mit 40 kam der Zusammenbruch: Er, der in der Zwischenzeit geheiratet hatte und Vater zweier Kinder geworden war, konnte von einem Tag auf den anderen nicht mehr »funktionieren«. Der damalige technische Leiter am Stadttheater Rüsselsheim geriet in innere und äußere Konflikte. 1993 konfrontierte er seine Herkunftsfamilie bei einem Treffen in seinem Heimatort in Sachsen mit der Vergangenheit. Die Reaktion: Unglauben. Er lüge, wurde ihm vorgehalten, wolle die Familie kaputtmachen, den Pfarrer, einen Freund der Familie, ruinieren. Denef ließ sich nicht beirren, verklagte das Bistum Magdeburg auf Entschädigung. Mit 25.000 Euro wollte man ihn zum Schweigen bringen. Das akzeptierte er nicht. Nach langem Kampf wurde die Schweigeklausel gestrichen.

Sein Coming-out leitete eine biografische Wende ein. Denef schrieb ein Buch über den sexuellen Missbrauch, gründete das netzwerkB für Betroffene von sexualisierter Gewalt, gab Interview um Interview. 2010, beim Ökumenischen Kirchentag in München, richteten sich die Fernsehkameras auf ihn, als er ein großes Podium zum Thema Missbrauch kreativ störte: Denef protestierte dagegen, dass kein einziges Opfer sexueller Gewalt mitreden durfte. Und wurde so erst richtig bekannt.

Jetzt liegt er, geschwächt vom langen Hungern, auf einer Chaiselongue in seinem Haus in Scharbeutz; neben sich den aufgeklappten Laptop, mit dem er verfolgt, was Neues geschieht. Er wartet. Darauf, dass »die in Berlin« handeln. Dass die zivil- und strafrechtliche Verjährung sexueller Gewaltverbrechen aufgehoben wird.

Zwar gibt es einen Entwurf für ein neues Gesetz, aber der liegt seit Ende 2011 im Rechtsausschuss, und es geht nicht voran. »Verschleppung« nennt Denef das. Er ist wütend auf die SPD, auf deren Parteitag er das Thema vor Monaten in einer viel beklatschten Rede ansprach. »Hannelore Kraft hat mich umarmt«, sagt er. »Danach war Funkstille.« Auch auf die Regierung ist er sauer. An Ursula von der Leyen hat er geschrieben, für eine Sozialministerin müsse es doch eine Gewissenfrage sein, sich für ein Anti-Verjährungsgesetz stark zu machen. Denn das Verjähren der Taten sei für Opfer, die erst Jahre nach dem Erlebten darüber sprechen könnten, eine Katastrophe.

Denef ist selbst so ein Mensch, der Jahrzehnte brauchte, um sich zu öffnen: »Heute endlich kann ich darüber nachdenken: Wieso habe ich das alles mit mir machen lassen?« Er protestiert, wenn es sein muss, sein Leben lang. Der Mann ist ein Durchhalter. Was bleibt ihm übrig?

Britta Baas

Quelle: Publik-Forum Nr. 13 / 2012