Deutschlandfunk 05.07.2012 · 19:15 Uhr
Opfer fordern Aufhebung der Verjährungsfristen
Von Rainer Link
Als Norbert Denef den Pfarrer und den Kirchenangestellten, die ihn als Kind sexuell missbrauchten, anzeigen will, sind deren Taten bereits verjährt. Gegen die Verjährung von sexuellen Gewalttaten wehrt sich der Anfang 60-Jährige jetzt mit einem Hungerstreik.
Norbert Denef sitzt aufrecht auf einem Stoffsofa, in der Hand eine Flasche Mineralwasser. Trotz Hungerstreiks wirkt er hoch konzentriert. Er schildert seine eigene Opfergeschichte, beginnend in den späten 50er-Jahren in Delitzsch in Sachsen.
„Also der eine, der erste Täter, das war ein Pfarrer, ein katholischer Pfarrer, der wurde sieben Mal immer wieder versetzt in andere Gemeinden, immer dann, wenn man in der Gemeinde angefangen hat darüber zu sprechen. Nach meinen Recherchen hat er ungefähr 150 bis 200 Kinder, Jugendliche, missbraucht. Ich bin ganz klassisch groß geworden, war glücklich darüber, nun endlich Messdiener zu sein. Ich hab mich dann sogar noch von dem Pfarrer, der mich sechs Jahre lang missbraucht hat, trauen lassen. Den schönsten Tag meines Lebens.“
Norbert Denef ist Anfang 60 und Rentner, die traumatischen Erlebnisse aus seiner Kindheit begleiten ihn noch immer und lassen ihn nicht zur Ruhe kommen.
„Mit 40 ging nichts mehr: Depressionen, Wutanfälle, Panikattacken, Herzrhythmusstörungen, die ganze Palette. Wo der Papst mir geschrieben hat, als ich ihn angefleht hatte: Bitte hilf mir, der Bischof von Magdeburg will mich mit 25.000 Euro zum Schweigen zwingen. Bitte hilf mir! Und der mir dann nach einem halben Jahr hat schreiben lassen, dass er für mich betet, dass ich wieder vergeben kann. Das war die Antwort. Da ging das Licht aus bei mir, und ich hab versucht, mir das Leben zu nehmen.“
Sexuelle Gewalt verjährt im deutschen Strafrecht nach zehn Jahren, im Zivilrecht sogar nach drei Jahren. Die Männer, die Norbert Denef als Jungen missbrauchten, konnte er deshalb nicht mehr zur Verantwortung ziehen. Mit anderen Opfern sexualisierter Gewalt hat Denef den Verein „netzwerkB“ gegründet, der sich ausdrücklich nicht als Selbsthilfegruppe, sondern als politische Interessenvertretung versteht. Eine der Hauptforderungen: die Abschaffung der Verjährungsfristen. Weil nur die Politik den Missbrauchsopfern Gerechtigkeit widerfahren lassen könne, besuchte Denef im vergangenen Dezember den Bundesparteitag der SPD – weil das die einzige Partei sei, die sich überhaupt mit dem Thema beschäftige. Obwohl kein Parteimitglied darf er zu den Delegierten sprechen. Er hält ein Foto hoch. Ein Foto, das ihn als Kind zeigt.
„Dieser kleine Junge wurde von einem Priester bis zu seinem 16. Lebensjahr missbraucht. Und danach weitere zwei Jahre bis zum 18. Lebensjahr von einem Kirchenangestellten. Er hat 35 Jahre geschwiegen aus Scham, Angst und Schuldgefühlen. Später versuchte er noch die Taten bei der Polizei anzuzeigen, weil er Tateingeständnisse von den Tätern hat. Dann musste er sich anhören, geht nicht, da ja alles verjährt ist. Verjährt? Alles verjährt, und ich soll wieder schweigen?“
Es ist still geworden in den Reihen der Delegierten. Einige Sozialdemokraten haben Tränen in den Augen.
„Deshalb fordere ich Sie auf und bitte Sie herzlich darum, uns zu unterstützen, dass die Verjährungsfristen aufgehoben werden. Das müssen wir aufheben, das müssen wir möglich machen, dass es geht, die Verjährungsfristen aufzuheben.“
Einstimmig spricht sich das Plenum für die Abschaffung der Verjährungsfristen aus. Kein bindender Beschluss zwar, aber ein eindeutiger Wille.
„Und da hat sich die Hannelore Kraft zu mir gesetzt, hat den Arm um mich gelegt. Und da sind Tränen geflossen. Und dann kam die Frau Schwesig noch, da ist das Gleiche abgelaufen.“
Manuela Schwesig, Sozialministerin von Mecklenburg Vorpommern.
„Sie sagte noch, wir rennen hier ständig gegen Mauern, und Sie haben das jetzt in drei Minuten erreicht.“
Norbert Denef ist vor einigen Jahren in den kleinen Badeort Scharbeutz an der Lübecker Bucht gezogen. Die Ostsee ist mein Therapeut, sagt er und blickt aus dem Fenster seines Arbeitszimmers. Von hier aus ist ein Zipfel der Badebucht zu sehen. Seit einem Monat befindet sich Denef im Hungerstreik, nimmt nur noch Wasser und Tee zu sich. Äußerlich hat sich der Nahrungsentzug kaum bemerkbar gemacht. Er sagt, es gehe ihm gut. Seine politische Bilanz fällt dagegen bitter aus: Nach seinem Auftritt auf dem SPD-Bundesparteitag habe sich kein einziger Sozialdemokrat mehr bei ihm gemeldet. Auch die Forderung nach der Abschaffung der Verjährungsfristen hätten die SPD-ler fallen gelassen. Sie würden jetzt nur noch für eine Verlängerung der Fristen eintreten.
„Das war ein eindeutiges Votum, das war ein eindeutiges Bekenntnis. Das war ein Ehrenwort.“
Nach wie vor glaubt Norbert Denef, dass die SPD-Delegierten in ihrer Mehrheit seine Position teilen, und darauf will er mit seiner Protestaktion aufmerksam machen.
„Ich hab sehr viel nachgelesen bei Gandhi. Und mein Hungerstreik hat nichts mit Wut und nichts mit Hass und auch nichts mit Erpressung zu tun. Ich benutze diese gewaltfreie Aktion, um den Spiegel vorzuhalten, den Spiegel der Politik. Der Anlass war, weil die SPD nicht bereit ist, sich dafür einzusetzen, die Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt aufzuheben In den anderen Parteien sieht es genauso aus.“
Auch wenn er aus gesundheitlichen Gründen in den nächsten Tagen seinen Hungerstreik abbrechen muss, werden Denef und seine Mitstreiter vom „netzwerkB“ weiterkämpfen – es geht nicht nur um Fristen, es geht auch um angemessene Entschädigungszahlungen für alle Opfer, die bisherigen Sätze empfinden sie als ungerecht.
„Die nämlich dann gesagt haben: Wir finden die Opfer mit 5.000 Euro ab. Das heißt, die Kirche hat sich da ganz billig rausgekauft, und die Politik hat zugeschaut. Die Politik hat Mitverantwortung, dass die wie die katholische sowie auch die evangelische Kirche, ja und andere Institutionen ähnlich, die Opfer wieder verhöhnt.“
Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/dlfmagazin/1803789/
Lieber Norbert Denef, leider sind auf dieser Seite des Deutschlandfunks keine Leserbrief möglich. Ich möchte Ihnen hier für dieses Interview danken. Sie finden Worte über das, was so viele Opfer jahrelangen systematischen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter erlebt haben, ohne darüber reden zu können. Es ist Ihnen selbst sehr sehr schwer gefallen. Es dauerte Jahrzehnte, bis Sie das konnten.
Es ist so erschreckend, dass sich Opfer im kirchlichen Bereich vom eigenen Täter später trauen lassen. Das zeigt, wie machtvoll die Täter ihre Opfer in Strukturen der Abhängigkeit und jahrelanger Unterdrückung zwängen. Wie schwer muss es sein, dem zu entkommen? Wie groß muss der Schock sein, wenn sie endlich begreifen, was man ihnen angetan hat?
Ist „Hohn“ wirklich das richtige Wort, wenn sich die Kirchen in Deutschland und Österreich mit 3.000 oder 5.000 Euro aus ihrer Schuld freikaufen? Wie oft mußten sich die Opfer als Kinder vergewaltigen lassen? So etwas wie Spott kann ich nicht erkennen. Ich sehe vielmehr nur totale Kälte und einen furchtbaren Diebstahl: Sie erkennen eine zerstörte Kindheit nicht an. Sie erkennen ein schwer belastetes Leben nicht an. Sie stehlen den Opfern die Würde.
Ein kirchlicher Orden, der weiter Dach und Tisch mit den Tätern teilt, schlug vor, dass sich die Opfer mit ihren Peinigern treffen, unterhalten und sich zum gemeinsamen Gebet einfinden können. Das sei doch in vielen Fällen für die Opfer besser als die Zahlung eines Geldbetrags. Ich sehe das als eine neue Vergewaltigung an. Man lockt die Opfer in die alte Struktur und Unfreiheit zurück.
Ist es allein Hohn, wenn der Papst fordert, dass die Opfer endlich vergeben sollen, während er selbst die Akten, die Aufklärung bringen könnten, im päpstlichen Archiv unter strengsten Verschluss hält? Wer die Täter schützt, macht sich selbst zum Täter.
Natürlich sind die Vergewaltiger nicht allein im kirchlichen Bereich zu finden. Aber was leben uns da die großen kirchlichen Organisationen, die den Anspruch auf moralische Instanz und Vorbildlichkeit erheben, eigentlich selbst vor? Sie dominieren den Runden Tisch, der durchgreifende Hilfen und Entschädigungen für alle Opfer verweigert.
hallo Bernd R.
wer hilft uns eigentlich WIRKLICH? Es ist einfach nicht mehr wahr , was in diesem Land abläuft-einfach nur Stille und ENTSETZEN!!!
Sehr verehrter Herr Denef,
ich danke Ihnen für Ihre klaren Worte, wie hier im Radio-Interview, Ihre Kraft und Ihr Wissen, dass Sie für uns zur Verfügung stellen und ganz klar auf den Punkt bringen was Sache ist.
Auch bin ich dankbar, dass Sie so gut zu sich sorgen, dass Sie sich selbst nicht mehr zumuten als möglich ist.
In einem Rechtsstaat, muss sich auch die Politik der Wahrheit stellen. Diesen Spiegel zeigen Sie vor durch Ihre Aktionen und Forderungen und ich bin froh, dass ich mich hier auch äussern und engagieren kann, denn es ist einfach ZEIT, der Gesellschaft, den Politikern, den Kirchen etc. den Spiegel vorzuhalten, so dass sie sich dem Stellen müssen, wie wir es unserem Schicksal (der sexuellen Gewalt) ständig stellen müssen.
Wenn sich nicht in der Basis was ändert, geht das grosse Trauma weiter für die nächsten Generationen.
Auch denke ich, dass es auch zu den Menschenrechten gehört, selbst über sein Leben entscheiden zu können, durch die Verjährungsfristen (sind diese nur eineitig – für die Täter —– aber NICHT für die Opfer).
Und es gehört auch den Menschenrechten – Tätern Grenzen aufzuzeigen, schon alleine durch die Handlung.
Ein Täter, der sich nicht stellen muss, ist feige und fühlt sich zu sicher, dass er vermeintlich meint, weitermachen zu können.
Ein Täter, der sich dem stellen muss, der seinen Konsequenzen seiner Taten nicht entfliehen kann (wie wir dem Traum nicht), wird einsehen müssen, dass er unter Beobachtung steht.
Das ist die Sicherheit des Rechtstaates, die dem Täter aufzeigen soll, Du bist nicht allmächtig!
Die aktuelle Situation sieht anders aus, sie gibt dem Täter mehr Rechte wie dem Opfer je zustehen werden.
Und dieser Ausgleich über die Politik ist fällig – ÜBERFÄLLIG.
Für die Betroffenen als Ausgleich und wichtiger Punkt für Heilung und Ganzheit und Menschenrechte und für die nachfolgenden Generationen – dass GELERNT wurde und auch UMGESETZT wurde.
Ungleichgewichte machen krank – sind unharmonisch – destruktiv – und auch widernatürlich.
Da die Natur, das Leben stets das Beste sucht und Ausgleich auf allen Ebenen.
Diese Naturgesetzte, die auch für Körper, Geist und Seele gelten, missachten Politik und Kirchen etc…
Also sind die Forderungen von Netzwerkb – ein Weg – der allen dient, dem höchstem Wohle.
Mit herzlichen Grüssen – für Sie und alle Betroffenen – und auch Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreiter des Hungerstreikes
Jacqueline
EIN Sender geht nach drei langen Wochen auf Augenhöhe!
Klar und besonnen steht der Mann an der Ostsee für das Gerechte ein, mit seiner ganz persönlichen „Note“. Weder höre ich Wut, Hass, Erpressung heraus, noch sehe ich Absicht zur Selbsttötung – ganz im Gegenteil.
Wohl wird er der best-gefürchtetste Rufer in der Wüste des Krieges gegen Kinder sein, der Mahner gegen Gewalt – Gewalt gegen Abhängige.
Gewalt ging seit Generationen in die Gene – ein TEUFELSKREIS, den wir gerade durchbrechen.
Jacqueline sagt es: „Täter … Du bist nicht allmächtig!“
Der Rechts-Staat versagt, wenn er den Allmachts-Wahn von tausenden Tätern bei zehn Millionen Betroffenen-Biographien JETZT nicht stoppt.
Es geht um gestrige und heutige Opfer von kirchen-staatlich geschützten Tätern. Vertreter der Täter verhandeln im staatlichen Auftrag über Konsequenzen an Runden Tischen – „die schlimmsten Böcke haben sie zu Gärtnern gemacht – sei wachsam – die guten alten Werte sind fast immer die verkehrten …“ !!!
… und sage bitte keiner, das habe kein System bis in die heutigen Tage!