Lübecker Nachrichten 09.06.2012

Hungerstreik für die Rechte von Missbrauchsopfern

Von Susanne Peyronnet

Scharbeutz – Nach Gerechtigkeit hungert Norbert Denef (63) schon lange. Jetzt hungert er, um diese Gerechtigkeit zu erlangen. Seit gestern ist Denef, der in Scharbeutz lebt, im Hungerstreik. Er will die SPD-Bundestagsfraktion in die Knie zwingen. Und die Bundesrepublik Deutschland gleich mit.

Acht lange Jahre seines Lebens wurde der ehemalige Ministrant Denef (63) in der katholischen Kirche seiner Heimatstadt Delitzsch in Sachsen sexuell missbraucht, erst vom Pfarrer, dann vom Chorleiter. Danach hat er 35 Jahre lang geschwiegen. Jetzt will er nicht mehr schweigen. Seit Jahren kämpft er dafür, dass das ihm angetane Unrecht anerkannt wird. Und dass die Verjährungsfristen für sexuellen Missbrauch aufgehoben werden. Weil er keinen anderen Weg mehr sieht, hungert er jetzt für dieses Ziel. „Ich will ein Signal setzen und ein Symbol.“

Verjährungsfrist. Ein sperriges Wort. Hat das Opfer eines sexuellen Missbrauchs nach einer gewissen Zeit, je nach Straftatbestand bis zu zehn Jahre nach seinem 18. Geburtstag den Täter nicht angezeigt, geht der straffrei aus. Unerträglich für Denef. Er hat am eigenen Leibe erfahren, wie lange das Schweigen die Opfer beherrscht. Jahrzehntelang hat er ein ganz normales Leben geführt, eine Familie gegründet. Bis er unter den Nachwirkungen des Missbrauchs zusammenbrach. Er litt unter posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen, musste stationär behandelt werden. Wie ihm geht es vielen Opfern sexualisierter Gewalt.

Denef hat seine Scham- Schuld- und Angstgefühle überwunden. Er redet seitdem. Er kämpft um Gerechtigkeit, hat als erstes Missbrauchsopfer von der katholischen Kirche eine Entschädigung erwirkt, hat das Schweigegebot dieser Kirche zurückgewiesen und setzt sich unverdrossen für die Rechte der Opfer ein. In einer bewegenden Rede auf dem SPD-Bundesparteitag im vergangenen Dezember hatte er anhand seiner eigenen Geschichte dafür geworben, die Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch ersatzlos zu streichen. Die Delegierten stimmten ihm unmissverständlich zu. Die Bundestagsfraktion wurde zu einer Gesetzesinitiative aufgefordert. Doch nun kam die Ernüchterung. Es tut sich nichts. Zeit für Denef, zu handeln.

Alles hat er ausgeschöpft, um die Aufhebung der Verjährungsfristen zu erreichen. Er hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Die Entscheidung dazu steht noch aus. Denef hat sich, wie er selbst sagt, die vergangenen Wochen „im Bundestag herumgetrieben“. „Aber da dreht sich alles im Kreis, es wurden Runde Tische gegründet, aber nichts tut sich.“ Deshalb tut er jetzt selbst etwas, ganz für sich allein. Seinen Hungerstreik zieht er zu Hause durch. „Wenn ich so etwas ankündige, glaubt man mir“, sagt der ehemalige Technische Theaterleiter, Facilitymanager und ärztlich geprüfter Gesundheitsberater.

Seit seiner Ankündigung bekommt Denef viel Unterstützung. Auf dem Blog „netzwerkB.org“ des „Netzwerkes Betroffener von sexualisierter Gewalt“, dessen Vorsitzender Denef ist, sind gestern 40 Kommentare eingelaufen. „Ich bewundere ihren Einsatz für die Opfer wirklich sehr!! Aber wiederum finde ich das furchtbar: Sie setzen ihr leben aufs Spiel“, schreibt eine Leserin. Ein Leser formuliert: „Ich kann es kaum glauben, dass Du so weit gehst für den Schutz unserer Kinder. Da sollte sich manch einer eine ganz dicke Scheibe abschneiden. Vor allem unsere Politiker.“ Aber es gibt auch Kritik: „Das geht mir entschieden zu weit. Sie dürfen nicht Ihre Gesundheit riskieren, Sie werden gebraucht .“

Einen großen Fürsprecher hat Denef in dem katholischen Pastor Felix Evers (früher Eutin, heute Ratzeburg). „Er kämpft zu Recht gegen diese elende Verjährungsfrist“, sagt Evers über Denefs Hungerstreik. „Das finde ich großartig.“ Evers schließt sich der Forderung nach völliger Aufhebung der Verjährung an und begründet dies so: „Experten sagen, dass sich die Opfer erst 30 bis 40 Jahre nach der Tat öffnen können. Und das ist nur das Mittelmaß.“

Quelle…