Humanistischer Pressedienst 08.06.2012
SCHARBEUTZ. (hpd) „Ich bin im Hungerstreik, weil die Bundestagsfraktion der SPD nicht dazu bereit ist, sich im Deutschen Bundestag für die Aufhebung der Verjährungsfristen von sexualisierter Gewalt einzusetzen, gleichwohl sich die Delegierten des Bundesparteitages der SPD am 6. Dezember 2011 eindeutig dafür ausgesprochen haben.“
Die Nachricht kommt per Mail und sie stimmt. Es ist Freitag, der 8. Juni 2012, Norbert Denef spricht am Telefon über die Hintergründe. Für die SPD ist dieser Freitag heute, Brückentag zwischen Fronleichnam und einen Juni-Wochenende, kein glücklicher Tag, um der Presse offizielle Auskünfte zu erteilen. Zu viele der SPD-Dienststellen sind gerade nicht in voller Besetzung oder schwer erreichbar.
Die Entscheidung von Norbert Denef, in den Hungerstreik zu treten, geht zurück auf den Bundesparteitag der SPD im Dezember 2011. Dort werden die Tagesordnungspunkte 38, 39, 40 zur Debatte um die Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt aufgerufen und Norbert Denef, Vorsitzender von „NetzwerkB – Betroffene von sexualisierter Gewalt“, geht ans Mikrofon und spricht.
Er stellt den Antrag, die Verjährungsfristen für sexuellen Missbrauch aufzuheben. Starker Beifall im Saal. Denef wählt als Beispiel den Fall eines Jungen, der vom zehnten bis zum 16. Lebensjahr von einem Priester und danach weitere zwei Jahre von einem Kirchenangestellten missbraucht wurde. 35 Jahre lang hat der Mann geschwiegen. Aus Scham und Angst. 1996 hat er den Täter angezeigt. Ein weiteres Jahr hat er gebraucht, den Satz auszusprechen: „Ich wurde sexuell missbraucht.“ 2003 traut er sich, den zweiten Täter zu nennen. Es werden ihm 25.000 Euro Schweigegeld geboten.
Er schreibt an den Papst, ein halbes Jahr später kommt eine Antwort und darin stand, der Papst würde für ihn beten, damit er wieder vergeben könne. Auf seine Anzeige hin antwortet man ihm, so gehe es nicht, alles sei verjährt.
„Alles verjährt“, fragt Denef in den Saal hinein. „Ich soll wieder schweigen?“ – Nein, das geht nicht, sagt Denef sich und fordert für viele Tausende Betroffener, dass die Verjährungsfristen aufgehoben werden. „Weil die Verjährungsfristen aus unserer Sicht“, so der Vorsitzende vom Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt, „die Täter schützen und nicht die Opfer“.
Dem Europäischen Gerichtshof liegt eine Beschwerde vor zur Aufhebung der Verjährungsfrist, weil der deutsche Staat vor fünf Jahren eine entsprechende Petition abgelehnt hat und Denef darin eine Menschenrechtsverletzung sieht. Es gibt Beifall im Saal, in die Stille hinein. Denef: „Ich fordere Sie auf, uns zu unterstützen, dass die Verjährungsfristen aufgehoben werden. Danke schön!“ Erneut Beifall, die SPD-Parteitags-Delegierten erheben sich. Standing Ovations.
Heute am Telefon war von Norbert Denef noch die Spannung zu hören, die sich bei ihm in den Tagen auf dem SPD-Parteitag vor diesem Moment aufgebaut hatte.
Eigentlich wollte er jenes Wochenende im Dezember 2011 zu Hause verbringen. Scharbeutz und die Ostsee sind seine Wahlheimat geworden. Er entschied sich innerhalb von Minuten neu und sprang quasi in den Zug nach Berlin.
Auf dem Parteitag angekommen, sah er sich einem für ihn ungewöhnlichen Chaos gegenüber. „Ich spürte“, so Denef, „hier muss ich reden, aber die Anwesenden zum Zuhören zu bringen erschien vorerst hoffnungslos.“ Die Chemie stimmte zwischen ihm und den Teilnehmern, die an dem Verjährungsbeschluss rütteln wollten. Es gelang, Norbert Denef ohne den üblichen Vorlauf auf die Rednerliste zu bringen. Er nennt diesen Vorgang eher sensationell.
Denef selbst hat in diesem Jahr Kontakt mit den Bundestagsfraktionen aufgenommen. Diese bestätigten ihm ein grundsätzliches Verständnis und sagten Unterstützung der eigenen Fraktion zu. Es schien Denef so, als würde nichts gegen die Aufhebung der Verjährungsfrist bei sexueller Gewalt sprechen. Selbst ein eindeutiger Beschluss der SPD-Bundesdelegiertenkonferenz hätte einen weiten Weg zur Umsetzung. Also steht es in den Sternen.
Es scheint, als sei ein sogenannter „Status quo“ bei der Frage zur Verjährung eingetreten, obwohl die Rücküberweisung an die SPD-Bundtagsfraktion wohl erfolgt ist.
Norbert Denef hat in den letzten Jahren festgestellt: Die Suche nach Auswegen, mit guten Absichten oder mit Resolutionen auf die Straße zu gehen, das war alles nicht erfolgreich. Und wenn erst alle anfangen hatten, miteinander zu jammern, war alles zu spät und die Dinge drehen sich im Kreis. Norbert Denef hat nun für sich entschieden.
Evelin Frerk
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