netzwerkB 03.06.2012

Vatikan-Konflikt

Ein Kommentar von Doro

Endlich findet man im Vatikan einmal angemessene Worte: „Unmoralischer Akt von unerhörter Schwere“. Und zwar prompt, praktisch unmittelbar nach Aufdeckung dieser „Unmoralischen Akte unerhörter Schwere“.

Endlich werden einmal die Dinge gerade gerückt, die Verhältnisse geklärt, die Fakten klar beim Namen genannt.

Wie? Nein, es geht nicht um den zehntausendfachen weltweiten sexuellen Missbrauch an Kindern durch katholische Pfarrer.

Nein, nicht um den Fall des Gründers des konservativen Ordens Legionäre Christi und von seinem Freund Papst Johannes Paul II. gesegneten Maciel Degollado, seines Zeichens Bigamist, Drogenkonsument und Vater mehrerer Kinder, die er ab deren Alter von sieben Jahren vergewaltigte.

Nein, auch nicht um den Fall des Henk Heithuis, der – nachdem er über Jahre von katholischen Geistlichen gequält und sexuell missbraucht worden war – in der psychiatrischen katholischen Anstalt „Haus Padua“ in Brabant und danach in das St. Joseph Krankenhaus im niederländischen Veghel eingewiesen wurde, wo er laut Gerichtsunterlagen wegen seines „homosexuellen Verhaltens“ kastriert wurde, um ihn zu „heilen“ (man behauptete, der Junge hat die Geistlichen verführt).

Nein, auch der Fall des „Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofkonferenz“ Stephan Ackermann ist nicht gemeint, der Anzeigen von Missbrauchsopfern offenbar nicht als Anlass sieht, den schweren Vorwürfen in seinem Bistum nachzugehen und die Opfer zu schützen. Seine „Null-Toleranz-Linie“ bekommen vor allem die Aufklärer zu spüren, während sie bei sexuell missbrauchenden Pfarrern sehr dehnbar ist.

Nein, all dies und noch viel mehr ist mit den markigen Worten vom „Unmoralischen Akt von unerhörter Schwere“ nicht gemeint.

Als „Unmoralischen Akt von unerhörter Schwere“ bezeichnet Erzbischof Angelo Becciu, der nach dem Papst und dem Kardinalssekretär das drittwichtigste Amt im Vatikan ausübt, das Malheur mit dem päpstlichen Kammerdiener Paolo Gabriele. Dass der vertrauliche Dokumente nach draußen gebracht hat, ist aus Sicht des Vatikans ein „Unmoralischer Akt von unerhörter Schwere“.

Irgendwie verständlich, oder?

Ach ja:

1981 wurde Joseph Kardinal Ratzinger von Papst Johannes Paul II. zum Präfekten der Glaubenskongregation berufen (die Glaubenskongregation gilt als direkte Nachfolgeinstitution der Inquisition = „Untersuchung“). Als Präfekt der Glaubenskongregation erließ Ratzinger 2001 ein neues apostolisches Schreiben, in dem u.a. festgelegt wurde, dass „schwerwiegende Delikte“ (zu denen nach kanonischem Recht selbst sexueller Kindesmissbrauch zählt!) fortan dem „Apostolischen Gerichtshof der Glaubenskongregation“ vorbehalten sein sollen.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt wusste also Ratzinger über jeden gemeldeten Fall sexuellen Missbrauchs durch römisch-katholische Pfarrer, Bischöfe usw. Bescheid. Unter anderem war ihm der Fall Maciel Degollado (s.o.) seit mindestens 1998 bekannt; der Vatikan erhielt damals neun eidliche Aussagen von Opfern, doch die Glaubenskongregation blieb untätig. Erst 2006 griff der dann zum Papst mutierte Ratzinger richtig durch und forderte Maciel zu einem „zurückgezogenen Leben des Gebet und der Buße“ auf.

Auf die 2010 auch endlich in Deutschland öffentlich wahrgenommenen tausendfachen Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch durch Kirchenangehörige reagierte Papst Benedikt XVI., alias Joseph Ratzinger, dann auch „prompt“ und mit ebenso deutlichen Worten der Empörung und Erschütterung: „Ich bedaure wirklich zutiefst den Schmerz und das Leid, die die Opfer ertragen mussten, und ich versichere ihnen, dass ich als ihr Hirte ihr Leid mitfühle.“ Die Welle der Veröffentlichungen nannte er „belangloses Geschwätz der herrschenden Meinung“.

Merke:

Vatikan-Internas ausplaudern = „Unmoralischer Akt von unerhörter Schwere“

Zehntausende Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs in der Katholischen Kirche öffentlich ausplaudern = „belangloses Geschwätz der herrschenden Meinung“.

Irgendwie verständlich, oder?