netzwerkB 16.05.2012
Am 3. Mai 2012 hat Norman Schultz, Beirat bei netzwerkB, einen Vortrag an der Universität Köln über die Frage der Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt gehalten. Zentrales Anliegen war es, eines der Hauptargumente aus den Positionspapieren von netzwerkB weiterzuentwickeln.
Gleichwohl die lebensweltliche Perspektive, Verjährungsfristen aufzuheben, den meisten Menschen intuitiv klar ist, gibt es vor allem Widerstände aus einer formaljuristischen Betrachtung der Tatbestände. Unter Berufung auf ein formal bestehendes Recht (welches aber aus Sicht von netzwerkB keine Gültigkeit besitzt, solange es derart dramatische Ungerechtigkeiten hervorbringt), rechtfertigen Juristen zumeist, dass eine rückwirkende Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt nicht möglich sei. Aus diesem Grund geht es in diesem Vortrag nicht allein um die lebensweltlichen Argumente, sondern auch und vor allem um die Frage, ob bei den Prämissen unseres Verfassungsstaates Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt zulässig sind. Das vorgetragene Hauptargument bezieht sich daher auf einen Widerspruch in der Argumentation der Aufhebungsgegner. Zwar hat dies keine Bedeutung für innerjuristische Argumentationen trägt aber dazu bei, die Forderung nach einer Systemänderung zu bestärken und durchsichtiger zu machen.
Der Vortrag dauerte ca. 40 Minuten und wurde von Christian Aldenhoff (studierter Jurist) beantwortet. Es folgte eine kurze Diskussion und danach ein Umtrunk mit der Möglichkeit, das Thema weiter zu entfalten. Der Videoausschnitt zeigt nur den Vortragsteil von Norman Schultz.
Norman,
guter Vortrag !
Was mit aber zu kurz kommt ist , dass es eigentlich bei sexueller Gewalt immer darum geht, Macht auszuüben, also die Freiheit der Opfer einzuschränken .
Nicht selten drohen die Täter .
Und durch diese große Machtausübung der Täter bekommen nicht wenige Opfer Todesängste, die wenn es chronisch geworden ist, anscheinend nie mehr heibar sind.
Ja, die Machtausübung ist mit Sicherheit noch ein Element, was in die Details mit aufgenommen werden muss, aber auch ebenso schwierig zu diskutieren.
Zunächst ging es mir daher darum, die Einschränkung der Freiheit, klarer aufzuzeigen, was ich allerdings auch im Bedarfsfall genauer ausarbeiten müsste. Gerade der Einwand, dass es sich bei den Freiheitsbegriffen, die ich verwende um zwei verschiedene Hüllen handeln würde, war mir schon im Vorfeld bewusst und müsste eben als längeres Projekt ausgeräumt werden. Hier zeigt sich aber, dass auch andere Wissenschaften hier noch ein breites Forschungsfeld hätten und es wäre an der Zeit, dass die Wissenschaft nicht die Augen verschließt.
Der Machtaspekt ist mir an dieser Stelle zum Beispiel auch noch in gewisser Weise unklar. Wir sagen immer bei den Taten geht es um Macht. Aber Macht erscheint mir immer ein merkwürdiger Begriff, den ich nicht zu ordnen kann. Wenn Macht ausüben bedeutet, dass derjenige Täter eben dasjenige, was kein Objekt sein kann, nämlich den Menschen, doch als Objekt verfügen möchte, dann war dies im Vortrag als zentrales Argument enthalten. Ich frage mich allerdings inwiefern es dem Täter um die abstrakte Macht als vielmehr um den Menschen als mögliches Objekt geht. Abstrakte Macht? Gibt es meines Erachtens eher selten. Es geht selten um Macht als vielmehr um ein konkretes Begehren, eine konkrete innere Leere. Damit schlägt sich auch eine Brücke zur Verdinglichung von Menschen durch den Täter im ungehemmten Sexualtrieb oder eben in der Schädigung des Täters durch ein psychologisches Trauma.
Unabhängig von diesen Fragen versucht die Regierung nun allerdings die Experten die Verjährungsfristen wegdiskutieren zu lassen. Anstatt das tiefer in die Materie mit mehr Forschung eingedrungen wird, werden schon die Professoren schon gerufen, die der Regierung genehme Positionen liefern sollen. Das ist eine Bügeleisenmentalität gerade das komplizierte dieser Schädigungen einzustampfen und auf ein systematisch formales Rechtsprinzip glatt zu streifen. Auf der anderen Seite wird dieses Forum natürlich auch gerne beobachtet 😉
Es ist schade, dass sich auf unserer Seite so wenig Energien für die Sache bündeln lassen. Doro hat einen guten Anfang gemacht, Argumente gegen die Inzestbefürworter zu sammeln. Was übrigens sehr sehr gute Artikel waren, Doro. Aber wo sind die anderen Mitstreiter, die auch tiefer vordringen und wirklich mitmachen? Wir brauchen Experten und Menschen, die die Inhalte in den sozialen Netzwerken regelmäßig verbreiten, so vielleicht auch Professoren holen, die für die Aufhebung sind. Ich würde gerne die Frage stellen, warum wir bei der Rettung der Regenwälder schnell Millionen Unterschriften zusammen kriegen und dort oben „erst“ 20.000 stehen.
„… warum wir bei der Rettung der Regenwälder schnell Millionen Unterschriften zusammen kriegen und dort oben “erst” 20.000 stehen“?
In materiellen Bereichen lassen Leute heute sich leicht lenken – alle werden (äußerlich!) spürbar an Risiken und Auswirkungen beteiligt.
Nur ca. 1% der Bevölkerung gelangt über Reichtum zur Macht. Seit der Banken-Krise begreifen die „restlichen“ 99%, wie jene Minderheit gerissener Kapitalisten sie (z.T. legal!) verschaukelt und betrügt – dem gemäß empören sich sehr viele Menschen. Es geht um Besitz.
In Religionen liegen die Schattenseiten weniger offen. Die unangenehmen Wahrheiten verleugnet man verschämt, oben wie unten. Aber die sehr konkreten Auswüchse von geistigem und geistlichem MACHT-Missbrauch wiegen um so schwerer, je tiefer der perfide Verrat einem Menschen an die innere Substanz geht.
Kritik innerhalb der Religionen war immer schon – und ist auch heute noch – lebensgefährlich; unverzichtbar deshalb die saubere Trennung von Staat und Religion!
In unserer fraglichen „Moral-Instanz“ besetzt die grausame Praxis früherer Ketzer- und Hexenprozesse immer noch das kollektive Unbewusste der gesamten Bevölkerung. Wie wir als Erwachsene nun wissen, steckt in jedem Kind diese Angst …
Es handelt sich hier also um einen inneren Super-GAU: um perfekte Verwirrung immaterieller Werte, um Vertrauensbruch, um Zerstörung des Menschseins und der Würde durch pervertierte Macht (oder allmächtige Perversion) – und ja! – aus innerer Leere – Leere entsteht, wo Inhalt fehlt …
Dass „in der Schädigung des Täters durch ein psychologisches Trauma“ die Ursache für seine Verirrung liegen mag, die im verweihräucherten Dunst zu Verbrechen führen musste, könnte fast logisch erscheinen.
Die Schuld aber für die Verleugnungspraxis tragen mächtige Männer, die viel zu schnell zu viel zu viel Macht kamen, die in ihrer eigenen Welt eher schweben und von Idealisierung leben.
Diese und auch ihre frommen AnhängerInnen können Kritik aus der realen Welt nicht zulassen. Das heilige Kartenhaus und damit der gesamte Machtapparat würde sofort in sich zusammen fallen.
Klerikale Sitten-Lügen samt daraus resultierender Sitten-Strolche werden jetzt endlich als Blasphemie (und als Kriminelle vor dem Herrn) erkannt und entlarvt. Die Reaktion ist gewaltig – eine Chance für die Wahrheit?
Juristisch auffliegen kann dieses (fromme) Lügentheater dann, wenn bei PolitikerInnen der Untertanengeist mutigen, freien Entscheidungen weicht nach dem Motto „vor dem Gesetz und vor Gott sind alle gleich. Es geht um DEN MENSCHEN!
Die „schwerwiegenden Makel des deutschen Rechts“ entstammen der Schockstarre unserer schwer lastenden Vergangenheit.
Frisch-fromm-fröhlich-frei wie bei Occupy … – so wird die juristische Klarstellung kaum daher kommen können.
Zu lange blieben bleibende Schäden der Geschändeten der Justiz verborgen, sind für viele Juristen schier unfassbar, wurden von Psychologen lange nur vage wahrgenommen, werden von Psychiatern oft genug fehlinterpretiert, von Medizinern kaum verstanden – die Schuld scheint zu groß …
NEIN! – „unten rum die Scham ist nicht vorbei“! – – – aber: Das Schweigen.
Sehr guter Vortrag, Norman!
Für mich als Betroffene löst sich dadurch eine Verklebung im Denken. Diese Verklebung ist durch die Gehirnwäsche bzw. -schädigung, die mit Gewalt in dysfunktionalen Familiensystemen einhergeht entstanden.
Es tut gut, wenn analytisch präzise, aber dennoch empathisch über die Verbrechen und deren Unrechtmäßigkeit reflektiert wird.
Zum Thema Macht:
Ich denke, es geht um Macht-Missbrauch. Und um das Machtgefälle, das natürlicherweise zwischen Erwachsenen und Kindern besteht.
Macht an sich ist noch nichts Problematisches. Erwachsene haben im besten Fall gegenüber Kindern ja so etwas wie eine Schutz-Macht. Sie können sie vor allen möglichen Schädigungen bewahren.
Problematisch wird es erst, wenn diese Macht ausgenutzt wird, um die Bedürfnisse des Erwachsenen auf Kosten des Kindes zu befriedigen. Hierbei geht es ausschließlich um das Bedürfnis, Macht auszuüben, das Kind runterzudrücken, um sich selbst zu erheben (und dadurch den eigenen Schmerz der Ohnmacht zu betäuben).
Hierbei geht es niemals um einen unkontrollierbaren Sexualtrieb! Die Sichtweise, daß Täter ihren Trieb nicht unter Kontrolle hätten und deshalb Kindern sexualisierte Gewalt antun müssen, ist eine täterschützende, das hast du ja auch im Vortrag so angedeutet (Triebgesteuerte könnten ja einfach masturbieren).
Bei Gewalt gegenüber Kindern geht es einzig und allein um das missbräuchliche Ausüben von Macht. In diesem Fall mit sexualisierten Mitteln. Und hier wird der Zusammenhang zwischen den Begriffen Macht und Gewalt deutlich (Norman, du inspirierst mich wirklich genauer über diese Begrifflichkeiten nachzudenken):
Gewalt ist Machtmissbrauch
und
Machtmissbrauch ist Gewalt
Worüber sich auch noch nachzudenken lohnt:
Was du beschreibst über die Einschränkung der Freiheit des betroffenen Kindes, trifft natürlich ganz genau so auf körperliche Gewalt zu. Warum beziehst du diesen Aspekt nicht ein? Es würde deutlich, daß diese Art der „Freiheitsberaubung“ des Kindes jahrtausende lang von den Gesellschaften gebilligt wurde und daß es noch viel mehr Opfer/Betroffene gibt. In vielen Fällen sind diese beiden Gewaltformen untrennbar miteinander verknüpft (sadistische sexualisierte Gewalt, Einschüchterung des Opfers), da die Handlungsmotivation der TäterInnen die gleiche ist:
der Wille zum Machtmissbrauch
Auch die Schädigungen sind ähnlich. Man kann dann herausarbeiten, wie sich die unterschiedlichen Formen der Gewalt auf die Betroffenen auswirken, Susan Forward hat das in ihrem Buch „Vergiftete Kindheit“ präzise getan.