Betroffene von sexualisierter Gewalt beteiligen sich an einer Sammelklage gegen den deutschen Staat
Betroffene sexualisierter Gewalt stoßen häufig auf das Problem, dass sie ihre Ansprüche auf Entschädigungsleistungen und somit auf Anerkennung als Opfer von Gewalttaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nicht durchsetzen können. Verursacht wird dies durch die im deutschen Zivilrecht derzeit sowie in der Vergangenheit geltenden Verjährungsfristen. Gegen diese Regelung wollen wir gemeinsam vorgehen, bitte unterstützen sie uns, indem sie sich beteiligen.
Zur Erklärung
Vor dem 01.01.2002 (Inkrafttreten des sogenannten Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes) galt eine regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren ab Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen, maximal bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres der Betroffenen. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sah insoweit zwar eine absolute Verjährungsfrist von 30 Jahren vor, dies jedoch ausschließlich für die allenfalls in Einzelfällen auftretende Konstellation, dass die Betroffenen von den an ihnen begangenen Taten und den Tatumständen keine Kenntnis hatten oder haben konnten. Diese Regelungen gelten auch heute noch für Taten, welche zum 01.01.2002 bereits verjährt waren.
Sämtliche Ansprüche, welche sich aus Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ergeben, die vor dem 01.01.2002 begangen wurden, sind daher nach derzeitiger Gesetzeslage nicht mehr durchsetzbar. Ansprüche, die sich aus Taten ergeben, die nach dem 01.01.2002 begangen wurden, verjähren ebenfalls nach 3 Jahren; dies jedoch mit der Möglichkeit der Verjährungshemmung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres der Betroffenen. Dies bedeutet, dass die Verjährungsfristen für Betroffene, welche im Kindesalter sexualisierte Gewalt erleiden, spätestens mit Vollendung des 24. Lebensjahres enden. Ebenso werden die Verjährungsfristen gehemmt, soweit zwischen dem Betroffenen und dem Täter eine häusliche Gemeinschaft besteht bis diese beendet wird.
Bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist es jedoch immanent, dass die hiervon Betroffenen die Taten häufig über viele Jahre oder gar Jahrzehnte verdrängen, sei es aus Scham, aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird oder zum reinen Selbstschutz.
Der Kreis der Täter ist hierbei äußerst vielfältig. Diese finden sich insbesondere in Familien, in der erweiterten Verwandtschaft, in der Nachbarschaft, in Heimen, in Kindergärten und Schulen, in Kirchen oder anderweitigen religiösen Vereinigungen und Orden. Angesichts der geltenden Verjährungsfristen gehen diese Täter in vielen Fällen nicht nur straffrei, sondern darüber hinaus auch ohne jegliche Entschädigungsleistungen an ihre Opfer aus.
In vielen Fällen führen die geltenden Verjährungsfristen somit faktisch zu Verstößen gegen das Verbot unmenschlicher Behandlung, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung sowie das Gebot des Bereithaltens eines wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelfs und damit zu Verstößen gegen Menschenrechte.
Für die von diesen unhaltbaren Umständen Betroffenen besteht die Möglichkeit, eine Individualbeschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGMR) zu richten. Aus diesem Grund hat netzwerkB das Projekt „Sammelklage“ ins Leben gerufen, an welchem sich alle Betroffenen, die ihre eigene Geschichte in den vorstehenden Ausführungen wiedererkennen, kostenfrei beteiligen können. Bitte beteiligen Sie sich!
Unter welchen Bedingungen können Sie sich beteiligen
Für eine Beteiligung ist die Angabe etwaiger Tatzeugen, die Vorlage von Gutachten und ärztlichen Attesten sowie von Nachweisen über den (erfolglosen) Versuch, den oder die Täter strafrechtlich und zivilrechtlich zu belangen.
Obwohl in den meisten Fällen Strafanzeigen aufgrund der strafrechtlichen Verjährungsfristen zu Verfahrenseinstellungen führen, können diese Strafanzeigen hilfreich sein, um die entsprechenden Einstellungsnachrichten der Staatsanwaltschaft als Nachweis der Ineffektivität und Aussichtslosigkeit der innerstaatlich zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe vorlegen zu können.
Ein Musterformular für eine solche Strafanzeige können Sie unter nachstehendem Link herunterladen:
http://netzwerkb.org/wp-content/uploads/2012/04/Musterformular.pdf
Wenn Sie sich beteiligen möchten, so lesen sie bitte die weiteren Angaben unter:
http://netzwerkb.org/aktuell/sammelklage/http://netzwerkb.org/aktuell/sammelklage/
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Für Journalisten-Rückfragen:
netzwerkB – Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt e.V.
Norbert Denef, Vorsitzender
Telefon: +49 (0)4503 892782
Mobil: +49 (0)163 1625091
Ich bin der Meinung, dass in dieser Klage unbedingt auch medizinische Fakten stehen sollten zum Thema Trauma und Posttraumatische Belastungsstörung. Warum genau sind Missbrauchsopfer nicht dazu in der Lage sind, innerhalb einer bestimmten Frist über das zu reden, was sie erlebt haben. Gegen medizinische Fakten kann niemand etwas einwenden. Das wäre fast das Wichtigste an dieser Klage.
@ Wilma,
deinem Kommentar könnte ich zustimmen.
Aber ich habe den Eindruck, dass sich Politiker und die Justiz sich kaum für die traumatischen lebenslangen Folgen bis zu schwersten Posttraumatiscvhen Belastungstörungen und schwersten Psychosen und Selbstmord überhaupt nicht interessieren.
Das Problem liegt wohl auch darin, dass verschiedene Ärzte / Gutachter zu unterschiedlichen Meinungen kommen.
Wie überlebendnotwendig für uns Menschenrechte auch sind, sie sind es auch für andere Menschen anderswo:
https://secure.avaaz.org/de/uzbekistan_sterilisation_de/?vl
Ganz interessant zum Thema war ein 2-teiliges Interview mit Hans Joas über sein Buch „Die Sakralität der Person“, gestern und heute im Deutschlandfunk: http://www.dradio.de/aod/html/
– und ebenso nachzuhören dies: http://www.wdr5.de/sendungen/philosophische-radio/s/d/16.12.2011-20.05.html