Stand 22.11.2011 Als PDF herunter laden…

Gesetzentwurf

der Beauftragten Dr. Marcella Becker, Norbert Denef, Susanne Schröder, Gaby Lübben, Norman Schultz, Stefan Schulze, Anett Hildebrand, R. Ossig und der Mitgliederversammlung von netzwerkB

Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen, sowie der Aufhebung der strafrechtlichen Verjährungsfristen bei Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung

A. Problem

Während Vergewaltigung und sexuelle Nötigung erst nach 20 Jahren verjähren, verjährt sexueller Missbrauch innerhalb von nur 10 Jahren (im Falle von minderjährigen Schutzbefohlenen innerhalb von nur 5 Jahren). Im Zivilrecht verjähren die Ansprüche Betroffener „sexuellen Missbrauchs“ sogar innerhalb von nur 3 Jahren. Zwar beginnt gemäß §208 (BGB) die Verjährungsfrist im Zivilrecht erst mit der Vollendung des 21. Lebensjahres bzw. der Beendigung der häuslichen Lebensgemeinschaft (im Strafrecht mit Vollendung des 18. Lebensjahrs), dennoch erweisen sich die Verjährungsfristen prinzipiell als unangemessen.

Beide Verjährungsfristen sowohl im Straf- als auch im Zivilrecht sind unangemessen, da Betroffene aus vielen wesentlichen Gründen nicht klagen können. Sowohl Angst, Scham, Selbstbeschuldigung, Abhängigkeit vom Täter als auch Verdrängung und Traumatisierung führen dazu, dass Betroffene, wenn überhaupt, sich erst im hohen Alter zu einer Klage durchringen können. Für zivilrechtliche Belange kommt hinzu, dass sich die Spätfolgen der Tat erst viele Jahrzehnte später zeigen können und somit nicht abzusehen ist, wann eine Klage im Zivilrecht erfolgen kann.

Verjährungsfristen setzen Betroffene „sexuellen Missbrauchs“ unter Druck im vorgegebenen Zeitrahmen zu klagen. Die Verantwortung liegt so beim Betroffenen, der unter gesellschaftlichem Zeitdruck eine Aufarbeitung seiner Verletzung durchführen soll, was oftmals auch Retraumatisierungen zur Folge hat. Verjährungsfristen implizieren an dieser Stelle, dass es sich bei den Taten um einfache Tatbestände handelt, die ohne psychologische Aufarbeitung vom Betroffenen schlicht festgestellt werden könnten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Für viele Betroffene ist der Durchbruch des Schweigens an viele, komplizierte Weichenstellungen im Leben geknüpft, die nicht notwendig nach 3 Jahren, 20 Jahren oder 30 Jahren geschehen. Gerade der Durchbruch des Schweigens hängt von vielen, zufälligen (kontingenten) Lebensereignissen ab. Die schwierige Aufarbeitung durch den Betroffenen ist der oftmals komplexen Beziehung zum Täter geschuldet. Auch der tiefgreifende Eingriff durch „sexuellen Missbrauch“ in die freie Persönlichkeitsentwicklung bewirkt eine schwer vorhersehbare Aufarbeitung durch Betroffene. Verjährungsfristen verkennen hier die komplexen Folgen „sexuellen Missbrauch“ für die Psyche des Betroffenen und auch die zeitlich nicht verobjektivierbare, komplizierte Geschichte der Aufarbeitung. Damit wird mit Verjährungsfristen vor allem die schwierige Lage der Betroffenen verkannt. Für Betroffene ergibt sich damit die Situation, dass die Gesellschaft ihr Leid nicht anerkennt. Verjährungsfristen sind somit ungerecht in Anbetracht des Leids der Betroffenen und dessen Aufarbeitung.

B. Lösung

Mit dem Gesetzesentwurf wird eine Aufhebung der zivilrechtlichen sowie der strafrechtlichen Verjährungsfristen bei einer vorsätzlichen Verletzung des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung vorgenommen.

Auf diese Weise erhalten Opfer sexualisierter Gewalt mehr Raum für die Verarbeitung der Tat(en). Der Druck, binnen einer bestimmten Frist zwingend tätig werden zu müssen, um Strafanzeige zu erstatten und / oder Entschädigungsansprüche geltend zu machen, wird den Betroffenen somit genommen.

Darüber hinaus wird eine größere Abschreckung für potentielle Täter und somit auch eine gewisse Präventivwirkung hinsichtlich der Vermeidung künftiger Verletzungen des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung erzeugt.

Die Aufhebung der  zivilrechtlichen sowie der strafrechtlichen Verjährungsfristen bei einer vorsätzlichen Verletzung des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung auch für in der Vergangenheit verübte und nach bisheriger Rechtslage bereits verjährte Taten sowie die damit verbundene Durchbrechung des Rückwirkungsverbotes führt ferner zu einem höheren Gerechtigkeitsempfinden der Betroffenen.

Der Eindruck vieler Betroffener und auch nicht selbst Betroffener, Täter würden besser geschützt als Opfer, könnte somit erheblich eingedämmt werden.

C. Alternativen

Die Aufhebung der Verjährungsfristen im Zivilrecht sowie im Strafrecht ist alternativlos.

Insbesondere stellt eine bloße Ausweitung der Verjährungsfristen unter gleichzeitiger Abschaffung oder Verlängerung der Hemmungsregelungen keine gleichwertige Alternative dar.

Eine solche verhilft den Betroffenen nicht zu einem ausreichenden Zeitraum, um sich mit der erlittenen Traumatisierung auseinanderzusetzen und erhält darüber hinaus den Schutz der Täter vor einer zivil- und / oder strafrechtlichen Inanspruchnahme weitestgehend aufrecht.

D. Kosten

Durch die Aufhebung der Verjährungsfristen wird es zu einer nicht nur marginalen Mehrbelastung der Zivil- und Strafgerichte kommen.

Mit einer „Flut“ an Strafanzeigen und der damit verbundenen Einleitung von Strafverfahren sowie zivilrechtlichen Klagen ist indes nicht zu rechnen, da zum einen in vielen Fällen, in welchen die Taten weiter zurückliegen, die jeweiligen Täter bereits verstorben und aus diesem Grund strafrechtlich nicht mehr verfolgbar sind und zum anderen die üblichen zivilprozessualen Mechanismen zur Anwendung kommen, insbesondere das Erfordernis der zunächst außergerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen sowie der Vorschaltung einer Güteverhandlung vor Durchführung des eigentlichen Klageverfahrens.

Mit einer Mehrbelastung der Länder durch die Zahlung von Beratungs- und Prozesskosten(bei)hilfe sowie die Kosten der Beiordnung von Geschädigtenvertretern ist zu rechnen.

Dieser Mehrbelastung sind jedoch die Regressansprüche gegenüber den Tätern bzw. den Institutionen, für welche diese tätig sind oder waren, gegenüber zu stellen.

Ebenso ist diesen Mehrausgaben der volkswirtschaftliche Schaden, welcher durch eine weitere Traumatisierung der Betroffenen bei fehlender Durchsetzbarkeit ihrer Ansprüche sowie der fehlenden Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung der Täter entsteht, entgegen zu halten.

Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen, sowie der Aufhebung der strafrechtlichen Verjährungsfristen bei Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Januar 2011 (BGBl. I S. 34) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

§ 194 wird wie folgt geändert:

1. In Absatz 2 wird der Satz:

„Ansprüche, welche aus der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung resultieren, unterliegen der Verjährung nicht.

“

neu eingefügt.

2. Der bisherige Absatz 2 wird Absatz 3.

Artikel 2

Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch

Das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2494; 1997 I S. 1061), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 17. Januar 2011 (BGBl. I S. 34) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

In Artikel 229 wird folgender § 13 eingefügt:

㤠13

Übergangsvorschrift zum Gesetz zur Aufhebung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen bei Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung

Die Vorschrift des § 194 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt auch für die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Aufhebung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen bei Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung entstandenen Ansprüche, auch soweit diese nach der vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Rechtslage bereits verjährt waren.“

Artikel 3

Änderung des Strafgesetzbuchs

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI vom 16. März 2011 (BGBl. I S. 418) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

§ 78 Absatz 2 wird wie folgt geändert:

Nach dem Wort „(Mord)“ werden die Worte „sowie Verbrechen und Vergehen nach den §§ 174 bis 174c und 176 bis 180“  eingefügt.

§ 78b wird wie folgt geändert:

In Absatz 1 Nummer 1 Halbsatz 1 werden die Worte „den §§ 174 bis 174, 176 bis 179 und“ gestrichen.

In Absatz 1 Nummer 1 Halbsatz 1 wird vor der Ziffer „225“ das Zeichen „§“ eingefügt.

Artikel 4

Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch

Das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469; 1975 I S. 1916; 1976 I S. 507), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Nach Artikel 316e wird folgender Artikel 316f eingefügt:

„Artikel 316f

Übergangsvorschrift zum Gesetz zur Aufhebung der strafrechtlichen Verjährungsvorschriften bei sexualisierter Gewalt gegenüber und sexuellem Missbrauch von Kindern und minderjährigen Schutzbefohlenen

Die Änderung von § 78 des Strafgesetzbuchs gilt auch für vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Aufhebung der strafrechtlichen Verjährungsvorschriften bei sexualisierter Gewalt gegenüber und sexuellem Missbrauch von Kindern und minderjährigen Schutzbefohlenen begangene Taten, auch, soweit deren Verfolgung zu diesem Zeitpunkt nach der vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Rechtslage bereits verjährt war.“

Artikel 5

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.

Scharbeutz, den 22. November 2011                Norbert Denef und netzwerkB

Begründung

A. Allgemeines

Das Schweigen Betroffener sexuellen Missbrauchs hat viele Gründe. In gängigen Gesetzentwürfen werden vor allem die Zeitabstände zwischen Tat und Klageerhebung erörtert, wobei jedoch die Gründe des Schweigens erheblich verkannt werden. Die Gründe des Schweigens bestehen nicht einfach in der Tatsache, dass Betroffene allein Zeit bräuchten, um sich zu äußern. Die Gründe für das Schweigen liegen vielmehr in einer komplizierten Traumatisierung, in Scham und Ängsten, als auch in der Weise, wie gesellschaftlich das Leid Betroffener anerkannt wird. Diese Anerkennung des Leids ist auch wesentlich durch eine Aufhebung der Verjährungsfristen gesellschaftlich zu vermitteln. Erst mit solch machtvollen, symbolischen Gesten wird die Anerkennung des Leids Betroffener hinreichend gewährleistet.

Mit gegenwärtigen Lösungsvorschlägen zur Verlängerung der Verjährungsfristen wird der Tat des „sexuellen Missbrauchs“ jedoch ein unbegründetes und angeblich objektiv-zeitliches Maß der Aufarbeitung gesetzt. Mit der prinzipiellen Verjährbarkeit dieser Verbrechen verkennt der Gesetzgeber jedoch den Umstand, dass Verbrechen wie „sexueller Missbrauch“ nur an das individuelle Maß der Aufarbeitung seitens des Betroffenen gebunden sind. Der Gesetzgeber verkennt auch, dass gerade der Durchbruch des Schweigens von der gesellschaftlichen Akzeptanz des Schweigens abhängt als auch von der gesellschaftlichen Kenntnis des komplizierten Gegenstandes „Sexueller Missbrauch“. Die Aufhebung der Verjährungsfristen für Betroffene „sexuellen Missbrauchs“, das heißt die Möglichkeit, zu jeder Zeit klagen zu dürfen, stellt daher einen wesentlichen Teil der Anerkennung des Leids Betroffener dar und legt damit den Grundstein, die erhebliche Belastung der Gesellschaft durch sexualisierte Gewalt aufzuarbeiten. Die Gründe des Schweigens, welche stark von dem zufälligen Lebensverlauf jedes Einzelnen abhängig sind, werden mit Verjährungsfristen nicht erfasst. Mit Verjährungsfristen wird der Betroffene weiterhin dem Druck einer zeitlich begrenzten Klageerhebung ausgesetzt und erfährt nicht die Anerkennung seines Leids durch die Gesellschaft. Durch eine Aufhebung der Verjährungsfrist wird die Vielfalt der Gründe seines Schweigens anerkannt und damit der Grundstein für das Durchbrechen des Schweigens gelegt, denn der Betroffene wird hier des Vertrauens der Gesellschaft versichert. Die Gesellschaft beseitigt mit der Aufhebung der Verjährungsfristen also vor allem symbolisch einen Grund für das Schweigen und wirkt anerkennend für die Betroffenen. Erst nach dieser Anerkennung der Gesellschaft kann ein ernsthafter Diskurs über die Gründe des Schweigens innerhalb der Gesellschaft beginnen.

Zu den Gründen des Schweigens

Ein wesentlicher Grund für das Schweigen ist die Scham, Missbrauchsopfer zu sein. Der Status als Betroffener wird von außen als Schwäche interpretiert. Betroffene können es sich daher nicht immer leisten, durch Klageerhebung Aufmerksamkeit zu erregen. Dies trifft erheblich auf Betroffene zu, die in der Mitte ihrer Karriere stehen oder verstärkt der Öffentlichkeit ausgesetzt sind. Nur eine Aufhebung der Verjährungsfristen kann hier den Druck der Klageerhebung unterbinden und es den Betroffenen freistellen zu welchem Zeitpunkt sie Klage erheben.

Mit der Scham, Betroffener zu sein, sind zudem viele Ängste verknüpft. Betroffene, die sich oftmals selbst die Schuld an einer manipulativen „Liebesbeziehung“ zum Täter geben, haben Angst, dass innerfamiliär Ihnen dieses Verhältnis angelastet wird. Diese Aufarbeitung der innerfamiliären Verhältnisse ist nicht an ein objektiv zeitliches Maß gebunden, sondern von den zufälligen Lebensumständen der Betroffenen abhängig, somit zeigt auch hier die Aufhebung der Verjährungsfristen symbolische Anerkennung des Schweigens und der Schwere des Verbrechens an.

Bei vielen Fällen sexualisierter Gewalt wirkt sich zudem in besonderem Maße aus, dass der Gegenstand der sexualisierten Gewalt keineswegs immer mit den klaren Sexualverbrechen gleichzusetzen ist, die es in das Licht der Öffentlichkeit schaffen. Der Knackpunkt liegt in der diffusen Liebesbeziehung, die Pädokriminelle ohne Einsicht ihren Opfern aufzwingen. An dieser angeblichen Liebesbeziehung haben Betroffene unter dem falschen Selbsteindruck der Freiwilligkeit Jahrzehnte danach noch zu leiden und geben sich daran die Schuld. Die Erkenntnis, dass der damals Erwachsene die Verantwortung für die manipulative Beziehung hatte, wird durch verquere Idealisierungen lange Zeit nicht durchdrungen. Bestehende psychische Störungen Jahre nach dem Verbrechen werden mit dieser Beziehung zum Täter oftmals nicht in Verbindung gebracht. An Scham und Angst, sowie an die Selbstbeschuldigung knüpfen sich in der Folge Verdrängen und Vergessen. Ein wesentlicher Teil der Lebensgeschichte wird so von Betroffenen einfach ausgeblendet, weil er mit schwer zu verarbeitenden, negativen Gefühlen verbunden ist. Hinzu kommen die schweren posttraumatischen Belastungsstörungen. Die Folge ist, dass Betroffene sich erst nach Jahrzehnten der Therapie in der Lage sehen, überhaupt die Gründe für ihre seelische Qual zu benennen. Die Aufhebung der Verjährungsfristen bewirkt auch hier, dass Betroffene bestärkt werden, sich früher und effizienter mit ihrem Leid auseinanderzusetzen, da die Gesellschaft die Schwere der Verbrechen und deren Auswirkungen auf das Leben anerkennt.

Nachdem Betroffene dann ihr Leid nach jahrelanger Aufarbeitung benennen können, beginnt heute die unangemessene Verjährungslage bei „sexuellem Missbrauch“. Diese gesetzliche Schieflage stellt somit nicht den Rechtsfrieden her, sondern hilft einseitig den Tätern. Gerade auch weil die Gesellschaft Verjährungsfristen nicht rückwirkend aufhebt, stellt diese sich auf Seiten der Täter. Erst mit der Aufhebung der Verjährungsfristen rückwirkend wird das Signal für den Opferausgleich gesetzt.

Schlussfolgerung

Der Glaube, dass Betroffene mit der Aufhebung der Verjährungsfristen Einmalzahlungen von 10.000 Euro oder welcher Summe auch immer durchsetzen wollen, ist ein Irrtum. Die tiefen seelischen Verletzungen können nicht ungeschehen gemacht werden. Die Anerkennung des Leids der Betroffenen durch Opferausgleich und Zahlungen ist zwar eine nötige Geste, bei der rückwirkenden Aufhebung der Verjährungsfristen geht es Betroffenen jedoch in erster Linie um die symbolische Akzeptanz ihres Leids und die Einsicht der Gesellschaft darin, warum sie lange Zeit schweigen. Gerade hier würde die Gesellschaft mit der Aufhebung ihr Schweigen respektieren und ihnen den von allen Verjährungsfristen unabhängig zu fassenden Entschluss zur eigenen Sprache zugestehen. Für die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt ist den Betroffenen mit den dargelegten Gründen kein zeitliches Maß zu setzen. Aufgrund der Lebenssituation ist ein objektiv gerechtfertigtes Maß für eine Durchdringung und Aufarbeitung nicht ansetzbar. Mit dem Gesetzesentwurf wird daher also eine Aufhebung der zivilrechtlichen und strafrechtlichen Verjährungsfristen erzielt. Durch diese Gesetzesänderung wird schließlich bezweckt, dass vor allem die Betroffenen in ihrem Leid gesellschaftlich anerkannt werden. Es verdeutlicht, dass gerade Verjährungsfristen für Betroffene das eigentlich schmerzliche Element darstellen.

Wie gezeigt gibt es gute Gründe, von der Gebundenheit der Verjährungsfristen an das Strafmaß eine Ausnahme zu machen und von Obergrenzen völlig abzusehen. Es handelt sich um eine machtvolle symbolische Geste, die nicht zur Folge hätte, dass der Rechtsstatt in nennenswertem Umfang Mehrkosten bekäme.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches)

Zu Nummer 1 (§ 194 Absatz 2)

Mit Wirkung zum 1. Januar 2002 sind die Verjährungsvorschriften im Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) grundlegend neu geregelt worden. Mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ist die zuvor geltende Regelverjährungsfrist von dreißig Jahren auf sodann drei Jahre reduziert worden. Im Hinblick auf Schadensersatzansprüche aus unerlaubten (deliktischen) Handlungen, darunter auch wegen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung, galt über Jahrzehnte eine Regelverjährung von drei Jahren (vgl. § 852 BGB a. F.).

Diese dreijährige Verjährungsfrist hat sich als in jeder Hinsicht zu kurz erwiesen. Diesem Umstand wurde zunächst dadurch Rechnung getragen, dass in § 199 Abs. 2 BGB n. F. geregelt wurde, dass Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an verjähren.

Auch diese Regelung ist jedoch in keiner Weise auf die sich hinsichtlich der Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen aufgrund von Verletzungen des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung stellende Problematik des oft durch vielfältige Konstellationen – auch durch die Täter beeinflusst – erfolgten jahre- oder jahrzehntelangen Schweigens der Betroffenen zugeschnitten.

Aufgrund der häufig bestehenden schweren Traumatisierung der Betroffenen sahen sich diese regelmäßig nicht in der Lage, entsprechende Schadensersatz- und Schmerzensgeldklagen innerhalb der geltenden Verjährungsfristen geltend zu machen.

Diese Problematik wurde auch am Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ verdeutlicht.

Mit der Einfügung der Aufhebung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen in § 194 Abs. 2 BGB wird den Betroffenen sexualisierter Gewalt die Verarbeitung der Tat(en) erleichtert und wird eine für die Betroffenen weitaus gerechtere Regelung geschaffen, die den Opferschutz in den Vordergrund stellt und die Täter nicht aus ihrer Verantwortung für die begangenen Taten entlässt.

Zu Nummer 2 (§ 194 Absatz 3)

Es soll klargestellt werden, dass die bisherige Regelung des § 194 Abs. 2 beibehalten, jedoch künftig als Abs. 3 geführt wird.

Zu Artikel 2 (Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch)

Durch die Gesetzesänderung wird klargestellt, dass die Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch in § 194 Abs. 2 auch für bereits entstandene und auch für nach bisheriger Rechtslage bereits verjährte Ansprüche greift, mithin eine Durchbrechung des Rückwirkungsverbotes beabsichtigt ist.

Zu Artikel 3 (Änderung des Strafgesetzbuchs)

Zu Nummer 1 (§ 78 Abs. 2)

Mit der Regelung wird die bisher ausschließlich für das Verbrechen des Mordes (§ 211) bestehende Unverjährbarkeit ergänzt und auf Taten, welche sich gegen das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung richten, ausgeweitet.

Die Verfolgbarkeit der Täter wird somit erheblich erleichtert und der Schutz der (potentiell) Betroffenen verbessert.

Weiterhin wird die Durchsetzbarkeit zivilrechtlicher Ansprüche der Betroffenen, insbesondere im Rahmen der Beweislast, erleichtert.

Zu Nummer 2 (§ 78b)

§ 78 b Absatz 1 Nummer 1 StGB ordnet nach bisheriger Rechtslage das Ruhen der Verjährung für bestimmte Sexualdelikte an (§§ 174, 174a, 174b, 174c, 176, 176a, 176b, 177, 178, 179 StGB).

Der Beginn der Verjährungsfrist ist in diesen Fällen nach der geltenden Regelung bis zum Erreichen der Volljährigkeit der Betroffenen hinausgeschoben.

Aufgrund der Neuregelung des § 78 werden die Regelungen hinsichtlich der Verjährungshemmung für Delikte im Bereich sexualisierter Gewalt obsolet und sind daher zu streichen.

Im übrigen bleibt § 78b unverändert.

Zu Artikel 4 (Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch)

Durch die Übergangsvorschrift wird klargestellt, dass die Änderung des § 78 StGB auch für vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangene Taten gilt, auch wenn deren Verfolgung zu diesem Zeitpunkt nach bisher geltender Rechtslage aufgrund der Eintritts der Verjährung nicht mehr möglich war, demzufolge eine Durchbrechung des Rückwirkungsverbotes erfolgt.

Zu Artikel 5 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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netzwerkB Positionspapier Rückwirkungsverbot

Gesetzentwürfe der Politik:

Bundesregierung 17/6261

SPD 17/3646

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17/5774

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