Offener Brief an den Bischof von Trier, Dr. Stephan Ackermann

Vertuschung von Missbrauchsfällen im Bistum Trier

,Niemals tut der Mensch das Böse so vollkommen und fröhlich, als wenn er es aus religiöser Überzeugung tut.‘ (Blaise Pascal)

Sehr geehrter Herr Bischof,

gemäß uns vorliegender Dokumente haben sich in der zu ihrem Bistum gehörenden saarländischen Pfarrei Herz Jesu, Püttlingen-Köllerbach zahlreiche Missbrauchsfälle ereignet.

Im Jahr 2009 meldete sich ein Missbrauchsopfer bei Pfarrer Guido Ittmann, der unser Familienmitglied ist, und berichtete ihm, dass er durch den Priester V. sexuell missbraucht worden sei. Der mutmaßliche Täter soll, wie wir inzwischen wissen, an die dreißig(!) Kinder vergewaltigt haben, viele der Opfer stammen aus der Pfarrei Herz Jesu, Püttlingen-Köllerbach. Der Täter wurde bereits vor Jahren verurteilt und befindet sich wieder im Dienst des Bistums Trier. Von Pfarrer Ittmann hierauf angesprochen, teilte ihm ein Mitarbeiter der Bistumsleitung mit, dass Priester V. ein hochangesehener Priester des Bistums sei.

Im Jahr 2010 erfuhr Pfarrer Ittmann von weiteren Missbrauchsfällen innerhalb seiner Pfarrei.

Auf dem Gebiet der Pfarrei Herz-Jesu, Püttlingen-Köllerbach befindet sich auch das Kirchengebäude der Gemeinde St. Martin, einer Gruppe traditionalistisch eingestellter Katholiken.
Hier soll es durch zwei der dort vormals tätigen Priester und einem ehrenamtlich tätigen Laien zu Sexualdelikten an Kindern bzw. Jugendlichen gekommen sein.

Priester H. soll ein Kleinkind vergewaltigt haben. Der Vater dieses Kindes soll seine Tochter missbraucht haben. Als diese sich hilfesuchend an den damaligen Seelsorger der Gemeinde, Priester U. gewandt habe, soll sie durch diesen ebenfalls vergewaltigt worden sein. Die Täter deckten sich dabei wohl jahrelang gegenseitig.

Von diesen Vorfälle erlangte Anfang 2010 der zu dieser Zeit in der Gemeinde St. Martin tätige Seelsorger, Herr Pater Gorges, mehr und mehr Kenntnis und leitete diese an seine Oberen, an das Bistum Trier als auch an den Ortspfarrer von Püttlingen-Köllerbach, Herrn Pfarrer Ittmann weiter.

In der Karwoche 2010 stellten Sie, Herr Bischof, im Rahmen einer Pressekonferenz die Beratungshotline der Deutschen Bischofskonferenz für Opfer sexuellen Missbrauchs der Öffentlichkeit vor. Zuvor waren Sie zum Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz für alle Fragen im Zusammenhang des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger im kirchlichen Bereich ernannt worden.

Im Anschluss an diese Pressekonferenz teilte ein Mitglied der Bistumsleitung Pfarrer Ittmann mit, dass die Trierer Bistumsleitung beschlossen habe, die Missbrauchsfälle in Püttlingen-Köllerbach aus dem Bistum Trier heraushalten zu wollen. Pfarrer Ittmann wurde aufgefordert, in der Angelegenheit nichts zu unternehmen.

Die Bistumsleitung erklärte sich Pfarrer Ittmann gegenüber wiederholt für die Aufklärung und den Schutz möglicher weiterer Opfer nicht für zuständig. Man argumentierte beispielsweise, Priester H. habe sich zum Zeitpunkt der Vergewaltigung des Kleinkindes nicht in einem Dienstverhältnis des Bistums Trier befunden.

In Absprache mit Pater Gorges ist Pfarrer Ittmann daraufhin auf eigene Verantwortung den im Raum stehenden Missbrauchsvorwürfen weiter nachgegangen, um etwaige Zweifel an den Geschehnissen auszuräumen. In einem Gespräch mit einem Betroffenen wurde er Zeuge einer Morddrohung gegen einen der möglichen Täter. Daraufhin erstattete er im Sommer 2010 pflichtgemäß Anzeige bei der Kriminalpolizei Saarbrücken gegen die drei Täter wegen sexuellen Missbrauchs an Schutzbefohlenen.

Das polizeiliche Ermittlungsverfahren musste kurz darauf allein aufgrund der geltenden Verjährungsfristen für Sexualstraftaten abgebrochen und eingestellt werden.

Bis zur Stunde gibt es von Ihrer Seite zu diesen Geschehnissen keine öffentliche Erklärung an die Katholiken und Betroffenen in Püttlingen-Köllerbach.

Der tatverdächtige Laie ist weiterhin in leitender ehrenamtlicher Funktion innerhalb der Gemeinde tätig. Priester H., der wegen Sexualdelikte bereits einmal verurteilt wurde und in vier weiteren Ländern Kinder missbraucht haben soll, ist nach unserer Kenntnis 2011 in der Schweiz erneut verhaftet worden und sitzt seitdem im Gefängnis. Priester U. feiert nach wie vor im Saarland die Hl. Messe.

Zur Abklärung (Vertuschung?) der Missbrauchsfälle in Püttlingen-Köllerbach sowie anderer Konflikte innerhalb der Gemeinde St. Martin war durch bischöfliche Ernennung der Dechant des Dekanates Völklingen, wozu auch die Gemeinde Püttlingen-Köllerbach gehört, Herrn Pfarrer Klaus Leist, zuständig.

Dieser hat die Missbrauchsfälle in Püttlingen-Köllerbach in offensiver Weise von Anfang an unter Berufung auf die Bistumsleitung bestritten.

Pater Gorges, der die Missbrauchsfälle wesentlich mit aufgedeckt hat, wurde durch Dechant Leist als unglaubwürdig diffamiert. Pfarrer Ittmann gegenüber bezeichnete Dechant Leist wiederholt Pater Gorges als psychisch krank und deshalb als nicht glaubwürdig. Er würde haltlose und unbewiesene Gerüchte verbreiten. Ohne je Pater Gorges Gelegenheit zu geben, sich gegen die Verleumdungen zur Wehr zu setzen, vertrat Dechant Leist seine Position auch offen gegenüber anderen Priestern des Dekanates Völklingen.
Pater Gorges wurde als Seelsorger der Martinkirche entpflichtet und in die Arbeitslosigkeit entlassen.
Dann folgte eine Rufmordkampagne gegen unser Familienmitglied, Pfarrer Ittmann.

Dechant Leist streute innerhalb der Pfarrgemeinde das Gerücht, Pfarrer Ittmann habe sich selbst etwas zu Schulden kommen lassen. Er sei deshalb aus seinem Heimatbistum Paderborn rausgeflogen. Schlimmer noch: Es sei in Berlin, wo Pfarrer Ittmann in einer renommierten Jugendhilfeeinrichtung einige Jahre tätig war und Jugendliche betreut hat, etwas vorgefallen, worauf Pfarrer Ittmann fünf Jahre vom priesterlichen Dienst suspendiert worden sei.

Durch derartige Verleumdungen aufgeputscht, kam es zu einer regelrechten Hetz- und Rufmordkampagne seitens einer kleinen Gruppe der Pfarrgemeinde gegen Pfarrer Ittmann. Seit Herbst 2010 erhielt Pfarrer Ittmann zahlreiche anonyme Drohbriefe. Es wurde ihm auch körperliche Gewalt angedroht.

Derart selbst als Sexualstraftäter diffamiert und von bischöflicher Seite im Stich gelassen, flüchtete Pfarrer Ittmann Ostern 2011 aus seiner Pfarrei und kehrte nach Berlin zurück. Aufgrund der Bedrohungslage und der Verleumdungen erkrankte er und verblieb neun Monate in Berlin. Die Kriminalpolizei bot ihm Polizeischutz an.

In diesen Monaten gab es weitere Verleumdungen gegen ihn. Man bescheinigte ihm im Sommer 2011 seitens der bischöflichen Behörde eine Paranoia. Auch sei er selbst schuld an den anonymen Drohbriefen.
Noch Anfang dieses Jahres unterstellte ihm der als Pfarrverwalter für Püttlingen-Köllerbach eingesetzte Pfarrer Hans Thul auf einer öffentlichen Sitzung des Pfarrgemeinderates erneut eine Paranoia.

Pfarrer Ittmann, der nicht durchgehend erkrankt war, wurde seitens Ihrer bischöflichen Behörde in den Monaten seiner Flucht untersagt, mit Mitgliedern seiner Pfarrei, wozu auch einige Freunde zählen, zu reden und Kontakte zu pflegen. Man verbot ihm, wie es in einem amtlichen Schreiben heißt, in seine Gemeinde hineinzuwirken.

Veröffentlichungen im Pfarrbrief wurden ebenfalls untersagt bzw. der Zensur unterworfen.

Angesichts dieser Faktenlage erklären wir:

Zum ersten:
In Übereinstimmung mit Papst Benedikt XVI sind wir der Auffassung, dass ein Priester, der ein Kind vergewaltigt hat, nie mehr Priester sein kann.

Zum zweiten:
In Übereinstimmung mit der christlich-abendländischen Moralauffassung und auf der Grundlage des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sind wir entschieden der Meinung, dass jeder Mensch, der von einer Vergewaltigung eines Kindes erfährt, moralisch unbedingt persönlich zuständig und zum Handeln verpflichtet ist.
Hier darf man sich nicht durch juristische Winkelzüge der Verantwortung entziehen.

Es ist ein beispielloser Skandal, dass kirchlich Angestellte um ihre berufliche Existenz, ja ihr Leben fürchten müssen, wenn sie Kapitalverbrechen pflichtgemäß zur Anzeige bringen (wollen). Ein solches, offenbar nicht nur im Bistum Trier herrschende Binnenklima, begünstigt und fördert geradezu weitere Sexualdelikte.

Zum dritten:
Pater Gorges und Pfarrer Ittmann sind unverzüglich öffentlich zu rehabilitieren.
In der einzigen amtlichen Stellungnahme, die es seit Ostern 2010 zu den Vorfällen in Püttlingen-Köllerbach gegeben hat, steht kein Wort zu den durch Pater Gorges und Pfarrer Ittmann aufgedeckten Missbrauchsfällen, kein Wort zu den Drohbriefen, kein Wort zu den Verleumdungen durch Dechant Leist und anderen Personen.

Die im Pfarrbrief vom 28. Januar 2012 veröffentlichte Mitteilung umfasst ganze sieben Sätze.
Wir zitieren den zweiten und dritten Satz:
‚Nach Absprache mit unserem Bischof hat er (Pfarrer Ittmann) seit 1. Januar einen neuen Dienst in einer Pfarrei in seinem Heimatbistum Paderborn angetreten. Wie sie aus der Presse bereits erfahren konnten, laufen auf verschiedenen Ebenen noch Ermittlungen.‘

Hierzu stellen wir klar: Es gab und gibt keine Ermittlungen gegen unser Familienmitglied Pfarrer Ittmann. Schon gar nicht auf verschiedenen Ebenen. Woran soll man dabei denken? Etwa an Kindesentführung, Steuerhinterziehung, Zuhälterei, Totschlag….?

Wahr ist hingegen, dass gegen Ihren bischöflich Beauftragten zur Abklärung der Konflikte und Missbrauchsfälle in Püttlingen-Köllerbach, Herrn Dechant Leist, zur Stunde noch kriminalpolizeiliche Ermittlungen wegen angedrohter Körperverletzung und Verleumdung gegenüber Pfarrer Ittmann laufen.

Zum vierten:
Nachdem Pfarrer Ittmann im Sommer 2010 Anzeige gegen drei Sexualstraftäter erstattet hatte, wurde er seitens bischöflicher Mitarbeiter wiederholt eingeschüchtert und genötigt.
Wir appellieren deshalb eindringlich an Sie, die auf Einschüchterung und Nötigung basierende Form der Mitarbeiterführung in ihrem Bistum unverzüglich zu beenden und durch einen Stil zu ersetzen, der von christlicher Humanität und Respekt vor der Menschenwürde Ihrer Mitarbeiter geprägt ist.

Wir werden ab sofort alle an Pfarrer Ittmann gerichteten Briefe Ihrer oder auch einer anderen bischöflichen Behörde, die Elemente der Einschüchterung und Nötigung enthalten und somit strafrechtliche Relevanz besitzen könnten, an die Staatsanwaltschaft Saarbrücken und die Medien, insbesondere an den ,Spiegel‘ zur Veröffentlichung weiterleiten.

Zum fünften:
Wie oben aufgeführt, wurde Pfarrer Ittmann das Recht auf freie Meinungsäußerung genommen.
Mehr noch: Ihm und seinen Mitarbeitern wurde unter Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen untersagt, die unzutreffenden Behauptungen bischöflicher Mitarbeiter, Pfarrer Ittmann sei paranoid und ein Sexualstraftäter, öffentlich zu dementieren.

Dies ist äußerst gravierend.

Jeder Bürger dieses Landes ist, auch dann, wenn er katholisch ist und sich in einem kirchlichen Arbeitsverhältnis befindet, jederzeit im vollumfänglichen Besitz der durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland garantierten Grundrechte.

,Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.‘ (Artikel 5,(1) des Grundgesetzes)

Zum sechsten:
Im Hinblick auf die möglichen Missbrauchsopfer in Püttlingen-Köllerbach fragen wir Sie:
Welche Hilfe bieten Sie den Opfern an?

Wir sind wie Hundertausende andere Bürger in diesem Land zutiefst darüber beschämt, dass Missbrauchsopfer und Vertreter von Missbrauchsverbänden bis heute allzu oft von kirchlichen Würdenträgern wie Bittsteller und Störenfriede behandelt werden. Gespräche werden verweigert, Aufklärungsmaßnahmen verschleppt oder ganz verhindert. Nicht selten werden die Opfer von Kapitalverbrechen, die von kirchlichen Mitarbeitern verübt wurden, nicht wie Opfer, sondern wie Täter behandelt.
Diese skandalöse, zutiefst unchristliche Vorgehensweise muss ein für alle Mal ein Ende finden.

Wir erwarten von den Bischöfen dieses Landes und ganz besonders von Ihnen, dem Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz, dass Sie Seite an Seite mit den Missbrauchsopfern für deren berechtigen Interessen und Anliegen kämpfen und aufhören, sich als deren Opposition zu verstehen.

Zahllose Missbrauchsopfer können, wie Sie wissen, oft erst nach dreißig oder vierzig Jahren über ihre erlittenen Folterungen erstmalig reden. Für sie gibt es aufgrund der skandalös kurzen Verjährungsfristen für Sexualdelikte bis zur Stunde überhaupt keine Möglichkeit der juristischen Aufarbeitung.
Was für eine Schande, dass diese Menschen dann auch noch von Personen, die sich auf Christus berufen, verhöhnt und im Stich gelassen werden!

Da sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen aufgrund der komplexen psychologischen Auswirkungen eine mit keiner anderen Straftat vergleichbare Verletzung der Menschenwürde darstellt und die Folgen für die Opfer ein Leben lang währen, muss auch der Gesetzgeber diesem Faktum endlich Rechnung tragen.

Wir fordern deshalb die Aufhebung der Verjährungsfristen für Sexualdelikte an Schutzbefohlenen und rufen Sie, Herr Bischof auf, dies konsequent politisch einzufordern und es nicht bei Sonntagsreden zu belassen.

Nach wie vor besitzen Missbrauchsopfer jedoch so gut wie keine Lobby in unserem Land.
Die Katholische und Evangelische Kirche in Deutschland mit ihren über fünfzig Millionen Mitgliedern könnte und muss diese Lobby sein. Bislang ist dies leider nicht der Fall.

Geben sie, Herr Bischof, Ihren misshandelten Brüdern und Schwestern, ohne Wenn und Aber Ihre Stimme.

Wir schließen mit einem Bibelzitat aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 25, Vers 40,45,46, in dem der Weltenrichter Christus spricht:

,Amen, das sage ich euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder (und Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan… Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan: Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben.‘

Lennestadt, den 23. März 2012

Annemarie Ittmann

Pia Wipper

Willi Wipper

Lydia Körber

Erich Körber

Ronald Körber

Gertrudis Klein

Manuela Klein