Der Sonntag im Dreiland 18.03.2012

NORBERT DENEF kämpft für die Rechte von Opfern sexualisierter Gewalt

Norbert Denef wurde als Kind über Jahre hinweg Opfer von sexualisierter Gewalt, nun kämpft er für seine und die Rechte anderer Betroffener, gegen die Verjährungsfrist, für eine neue Denkweise in der Gesellschaft. Am Donnerstag spricht er in Lörrach.

Die meisten Betroffenen von sexualisierter Gewalt sprechen sich für eine Abschaffung der Verjährungsfristen aus. Der „Runde Tisch Sexueller Kindesmissbrauch“, der auf Initiative der Bundesregierung zwischen April 2010 und November 2011 fünfmal tagte, hat das ignoriert. Hat dieser Runde Tisch für die Opfer überhaupt etwas gebracht?

Nein, er hat die Betroffenen verraten. Die Prävention stand im Vordergrund, nicht die Aufarbeitung der bisherigen Verbrechen. Die können nicht aufgearbeitet werden, weil die Verjährungsfristen das verhindern. Der Runde Tisch war nicht bereit sich dafür einzusetzen, dass diese Fristen rückwirkend aufgehoben werden, damit die Verbrechen aufgeklärt werden können. Stattdessen überlässt man es den Täterorganisationen, über Entschädigung zu entscheiden. Deshalb sprechen wir hier von Verrat.

Wurden die Opfer aus Ihrer Sicht beim Runden Tisch nicht genügend mit einbezogen?

Es war von Anfang an überhaupt nicht geplant, dass Opfer am Runden Tisch sitzen sollen,  vorwiegend waren die Täterschutzorganisationen vertreten. Erst nach meinem  lautstarken Protest im Mai 2010, beim Ökumenischem Kirchentag in München, hat die Politik versucht, mit Opfern zu reden. Wir von netzwerlB haben sehr schnell gemerkt, dass wir nur instrumentalisiert werden sollen. Von Augenhöhe oder Mitbestimmung war nichts zu spüren.

Warum ist es so schwer, Opfern eine gemeinsame, laute Stimme zu geben?

Das liegt an der Genialität des Verbrechens. Man weiß, dass die Opfer für Jahrzehnte, viele für ewig schweigen. Und Betroffene, die anfangen zu reden, merken ganz schnell, dass sie von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Das Leid der Betroffenen will niemand hören. Die Opfer spüren das unbewusst, und deshalb schweigen sie. Ich weiß, was passiert, wenn man das Schweigen bricht. Man wird als Opfer abgestempelt und ausgegrenzt.

Welche Folgen hat dieses Stigma?

Sie haben immer Angst zu sagen: Ich wurde sexuell missbraucht. Da gucken Sie alle schon schief an. Und wenn Sie dann noch sagen, dass Sie psychische Folgeschäden haben, dann ist das überhaupt nicht salonfähig. Dann will man mit Ihnen nichts mehr zu tun haben. Man hat wenig Chancen sich im Beruf durchzusetzen. Also schweigt man lieber und denkt oft darüber nach, sich das Leben zu nehmen.

Wie oft haben Sie den Satz schon gehört: Reiß Dich zusammen, stell Dich nicht so an?

Den höre ich ständig. Ich habe 1993 mein Schweigen im Familienkreis und im Beisein der beiden Täter gebrochen. In der Gesellschaft und in der Herkunftsfamilie führte das überall zu Katastrophen. Meine Frau und meine beiden Kinder hielten zu mir. Wir wurden ausgegrenzt – bis zum heutigen Tag. Da hat noch keiner mit uns geredet. Auch die Täterorganisation Kirche nicht, wir bekämpfen uns nur in öffentlichen Diskussionsrunden. Dem braven Opfer wirft man ein paar Krümel hin, dann heißt es: Jetzt ist Rechtsfrieden, Du hast jetzt zu schweigen, jetzt wird nicht mehr darüber gesprochen. Diese Praxis erfahre ich seit 28 Jahren jeden Tag.

Wie oft wurde schon versucht, Sie als Opfer zu instrumentalisieren?

Ständig (lacht). Das hört nie auf. Ich muss da immer aufpassen. Vor allem religiöse oder politische Fanatiker sind schwierig, die versuchen einen immer zu vereinnahmen. Es ist uns bei netzwerkB wichtig, dass wir uns weder von rechts noch von links vereinnahmen lassen, sondern dass wir neutral bleiben. Wir haben das Ziel, Gesetze zu verändern, da müssen wir uns in die Politik einmischen.

Sie kritisieren grundsätzlich, dass die falschen Begriffe verwendet werden. Was müsste sich da ändern?

Es wird die Tätersprache verwendet. Der Begriff „Sexueller Kindesmissbrauch“ dient dem Täterschutz. Es geht bei diesem Verbrechen weder um Sexualität noch um Missbrauch – es geht um Gewalt, um sexualisierte Gewalt. Ein Kind ist kein Gebrauchsgegenstand. Die falschen Wörter werden von den Tätern dazu benutzt, um ihre Verbrechen herunter zu spielen. Der Gesetzgeber hat leider diese Tätersprache übernommen. Er spricht sogar von leichtem und schwererem sexuellen Missbrauch. Aber schon ein nach dem Strafgesetzbuch als leicht eingestufter Missbrauch kann dazu führen, dass sich jemand das Leben nimmt! Die falschen Wörter prägen die falsche Denkweise. Es ist ein Gewaltverbrechen, das Schlimmste, was man einem Kind antun kann. Die Gesellschaft muss den Schaden anerkennen und dazu muss es einen Ruck im Denken geben. Die Aufhebung der Verjährungsfristen wäre dazu ein erster Anstoß.

Gab es durch die verstärkten Bemühungen der Aufarbeitung in den vergangenen Jahren nicht schon eine Bewegung in diese Richtung?

Die Medien haben sich bemüht, nicht mehr die Tätersprache zu benutzen. Beim Gesetzgeber ist das leider noch nicht angekommen. Es fehlt nach wie vor Hilfe an der Basis. Viele Opfer warten ein Jahr und länger auf eine geeignete Therapie, daran hat sich überhaupt nichts geändert. Die Familienministerin Kristina Schröder stellt sich hin und sagt: Wir müssen die Kinder stark machen. Das ist Unsinn, eine Lüge, das funktioniert nicht! Und es schiebt die Verantwortung auf die Schwächsten. Wir als Erwachsene müssen uns verändern! Wir müssen unser Denken über Kinder ändern. Nach wie vor schlagen knapp die Hälfte aller Deutschen ihre Kinder. Das ist eine Schande für unser Land. Wir Erwachsene müssen stark werden – Kinder brauchen Liebe.

Warum wird Ihrer Ansicht nach nicht mehr getan?

Die Täterlobby ist sehr, sehr stark. Und es gibt fast keine Opferlobby. Wenn es eine gäbe, hätten die Ergebnisse des Runden Tisches anders ausgesehen.

Haben Sie sich jemals gedacht, dass es besser gewesen wäre, wenn Sie geschwiegen hätten?

Nein. Es ist wie ein kleines Krebsgeschwür, das immer größer wird, während sie schweigen. Sie agieren das nur in anderen Formen aus. Die sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Sie werden entweder krank oder zum Tyrann oder Ministerpräsident oder Chef einer Bank und steuern uns in eine Krise. Seit dem Bekanntwerden der Verbrechen an Promischulen ist davon auszugehen, dass auch Betroffene in den Chefetagen und in verantwortlichen Stellungen sitzen. Es gilt den Opfer-Täter-Opfer-Täter Kreislauf zu durchbrechen.

Aber genau diese Mächtigen könnten eigentlich helfen, dass sich die Situation verbessert.

Aber das sind diejenigen, die nicht wollen, dass sich etwas ändert, weil sie Angst haben, dass ihr eigener Mist hoch kommt. In der Politik gab es bislang noch nicht einen einzigen, der eingeräumt hätte, dass er auch Opfer sei, dass er sexualisierte Gewalt erfahren hat. Dort könnte sich keiner halten, der sich so outet. Hinter den Kulissen erlebe ich sehr viel. Da kommt ein 72-jähriger, gestandener Politiker zu mir und spricht zum ersten Mal in seinem Leben darüber, dass er auch missbraucht wurde – fügt dann aber hinzu, dass es ihm jedoch nicht  geschadet habe. Die Angst als Opfer abgestempelt zu werden und damit Macht zu verlieren, ist zu groß, um sich öffentlich auf die Seite der Betroffenen zu stellen.

Wenn in hohen Kreisen Opfer sitzen, dann müssen da ja auch Täter zu finden sein.

Täter sitzen überall, auch in Super-Promi-Positionen, die zu Hause ihren Kindern sexualisierte Gewalt antun.

Glauben Sie, dass Sie die nötigen Veränderungen in Politik und Gesellschaft je erreichen können?

Das Ende kann man nicht absehen. Aber wir werden weiter kämpfen, so dass sich was in unserer Gesellschaft ändert. Die Zeiten können sich ändern und die Denkweisen können sich ändern.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE KATHRIN GANTER

Norbert Denef
 ist Sprecher des deutschlandweiten Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt (www.netzwerkB.org). Er streitet öffentlich für die Rechte der Opfer. Denef, 62, wurde als Kind jahrelang von einem katholischen Priester und einem Kantor missbraucht. Beide Täter gestanden, wurden jedoch nicht belangt, weil ihre Taten verjährt waren. Denef erwirkte 2005 bei der Kirche eine Entschädigungszahlung – als erstes Opfer in Deutschland. Sein Buch „Ich wurde sexuell missbraucht“ ist Zeugnis vom Leidensweg eines Menschen, der sexualisierte Gewalt erlebt hat. Den Erlös seines Buches verwendet er für die Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof. Mit der Beschwerde soll erreicht werden, dass die im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelte Verjährung von zivilrechtlichen Ansprüchen wegen “sexuellen Missbrauchs” aufgehoben wird. Mehr als 21.300 Menschen haben bisher diese Beschwerde unterschrieben unter: http://netzwerkb.org/petition
Auf der Homepage von netzwerkB gibt es zudem weitere Informationen.

VORTRAG: Anlässlich des „Tags der Kriminalitätsopfer“ ist Norbert Denef auf Einladung des Weissen Rings in Lörrach. Am Donnerstag, 22. März, 20 Uhr, hält er einen Vortrag in der Stadtbibliothek, Basler Straße 152. Denef wird eine Bilanz des Runden Tischs ziehen und erläutern, wie Hilfe für Betroffene aussehen sollte. Zudem thematisiert er, wie man Kinder und Jugendliche wirksam vor sexualisierter Gewalt schützen kann. Der Eintritt ist frei, um Spenden für den Weissen Ring oder netzwerkB wird gebeten.

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